28.01.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 152 / Tagesordnungspunkt 3

Michael FuchsCDU/CSU - Regierungserklärung - Chancen des digitalen Wandels und Jahreswirtschaftsbericht 2016

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Flüchtlingsstrom ist sicherlich eine der größten Herausforderungen, die dieses Land jemals zu bewältigen hatte, und wir haben erhebliche Mühen, um das Thema in den Griff zu bekommen. Wenn wir diese Herausforderungen meistern wollen, dann müssen wir allerdings auch wirtschaftliche Stärke haben, und wenn wir diese wirtschaftliche Stärke nicht haben, dann werden wir Probleme bekommen.

Gott sei Dank – der Wirtschaftsminister hat das völlig zu Recht dargestellt – ist unsere Situation gut. Ja, sie ist sogar sehr gut und war eigentlich nie so gut wie jetzt. Dass wir auch hinsichtlich der Arbeitslosigkeit so gut aufgestellt sind wie noch nie, das muss man einfach anerkennen. Das ist hervorragend.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Aber – dieses Aber sollten wir uns merken – wir haben eine Menge an exogenen Faktoren, die unsere wirtschaftliche Großwetterlage positiv beeinflussen, die wir nicht außer Acht lassen können und die sich auch in kürzester Zeit verändern können. Ich will einmal folgende Punkte nennen: Der niedrige Ölpreis ist mit Sicherheit nicht nur für die Bürgerinnen und Bürger eine erfreuliche Sache, sondern natürlich auch für die Unternehmen. Die niedrigen Zinsen sind es genauso, auch wenn man da schon Zweifel haben kann, ob sie nicht in dem einen oder anderen Fall eher kontraproduktiv sind. Und wir haben einen Euro, dessen Kurs gegenüber dem Dollar sehr niedrig ist. Da gibt es enorme Windfall Profits für unsere Unternehmen, die in den Dollar-Bereich hinein exportieren. Das sollten wir nicht vergessen.

Es ist aber nicht garantiert, dass das unbedingt immer so bleibt. Im Gegenteil: Das kann sich von heute auf morgen ändern. Darauf haben wir keinerlei Einfluss.

Diese ökonomische Schönwetterlage, die wir momentan haben, ist erfreulich. Aber wir müssen darauf achten, dass wir diese gute Situation auch weiter nutzen und nicht anfangen, an irgendwelchen Stellen Veränderungen vorzunehmen, die die Wirtschaft nicht tragen kann.

Ich habe es für richtig gehalten, Herr Bundesminister, dass Sie eben über das Thema Werkverträge gesprochen haben. Aber wir dürfen auf keinen Fall dieses Flexibilitätsinstrument, das die Unternehmen brauchen, kaputtmachen –

(Beifall bei der CDU/CSU)

weder bei den Werkverträgen noch bei der Zeitarbeit.

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das hat er doch gesagt!)

Wir sollten auch nicht anfangen, im Bereich der Entgeltgleichheit neue Lohnbürokratie aufzubauen. Auch das muss verhindert werden. Bürokratie haben wir genug. Ich bin froh, dass Sie die „One in, one out“-Regel ins Gesetz hineingebracht haben. Das sollten wir auch weiter beachten.

Wir müssen auch im Umweltbereich aufpassen. Ich fand es völlig richtig, als die Bundeskanzlerin gesagt hat: Wir können gerade in der jetzigen Situation nicht unbedingt jede alte, liebgewonnene Regel beibehalten. – Nein, wir müssen darüber nachdenken, ob wir da Flexibilisierung hineinbringen.

Sie haben völlig recht: Das Thema Investitionen ist ein ganz wichtiges. Mir macht es Sorge, dass energieintensive Unternehmen – man kann sich die Statistiken vom VDMA ansehen – nur noch 80 Prozent ihrer Abschreibungen reinvestieren. Was ist das denn? Das ist nichts anderes als Desinvestition in Deutschland. Ich gehe einmal davon aus, dass die Unternehmen weiter existieren wollen, also auch weiter investieren werden, aber anscheinend nicht mehr bei uns. Da müssen wir uns fragen: Warum ist das so? Was ist der Grund dafür, dass nicht in Deutschland investiert wird? Das halte ich für einen Trend, den ich schon als dramatisch betrachte. Die Folgen sehen wir erst in einigen Jahren.

Ein sicher ganz wichtiger Punkt ist der hohe Energiepreis in Deutschland, der hohe Strompreis. Ich will einmal ein Beispiel nennen: Ein Badener Bürger kam vor drei Tagen zu mir und sagte: Hier ist meine Stromrechnung. Ich habe mir eine Wärmepumpe geleistet und zahle jetzt schon 600 Euro pro Jahr für die EEG-Kosten. – Wenn wir so weitermachen, wird dieser Betrag nicht bei 600 Euro bleiben, sondern in kürzester Zeit weit über die 600 Euro steigen und sich in Richtung 1 000 Euro entwickeln.

Die EEG-Umlage beträgt jetzt schon 6,3 Cent pro Kilowattstunde. Mit Blick auf den enormen, weit über die Korridore hinausgehenden Windkraftausbau – die Korridore haben wir uns selbst gegeben – kann man sagen, dass die EEG-Umlage in kürzester Zeit bei einer Größenordnung von 8 Cent, eher 10 Cent liegen wird. Dann wird dieser Badener Bürger 1 000 Euro pro Jahr allein an EEG-Kosten zahlen. Das ist Kaufkraft, die abgeschöpft wird und damit in anderen Bereichen fehlt. Ich möchte nicht nur dem Badener Bürger helfen, sondern ich möchte auch ganz gerne dafür sorgen, dass die Unternehmen, vor allen Dingen die Mittelständler, nicht so belastet werden, dass es zu Abwanderungstendenzen kommt. Genau das darf nicht passieren.

Ein Punkt ärgert mich ganz besonders. Wer E wie „Erneuerbare“ sagt, der muss auch L wie „Leitungsausbau“ sagen; denn der geschieht in Deutschland nicht. Der Leitungsausbau hinkt hinterher.

(Beifall des Abg. Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Sie alle kennen EnLAG.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer ist dafür verantwortlich?)

– Sie.

(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Fuchs, es ist ja ganz interessant, dass Herr Seehofer jetzt bei uns Mitglied ist!)

1 700 Kilometer sollen nach dem EnLAG gebaut werden, davon unter anderem 405 Kilometer in dem schönen Land Niedersachsen. Herr Minister, das liegt Ihnen nahe. Nun raten Sie einmal, wie viel davon bis jetzt gebaut wurde.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer regiert denn seit zehn Jahren?)

Ich sehe Sie verzweifelt, weil nämlich kein einziger Kilometer gebaut wurde.

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer regiert denn hier?)

Das kann nicht sein. Seit 2003 gibt es das EnLAG, seit 2007 ist es in Kraft. 405 Kilometer sollen in Niedersachsen gebaut werden, aber nicht ein einziger Kilometer ist bis jetzt gebaut worden.

Dafür haben wir aber in der gleichen Zeit 5 700 Windmasten aufgestellt, nur in Niedersachsen. Insgesamt sind es in Deutschland 26 000. Wenn wir es nicht schaffen, den Leitungsausbau mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien zu synchronisieren, dann wird genau das passieren, was uns immer mehr belastet, nämlich dass immer mehr Redispatch-Maßnahmen, also das Abschalten von Windkraftanlagen in der Nord- und Ostsee und das Hochfahren von alten Anlagen – das geht bis hin zu alten Ölkraftwerken –, im Südteil der Republik stattfinden. Das Wirtschaftsministerium hat mir auf Nachfrage mitgeteilt, dass wir im letzten Jahr bereits 1,2 Milliarden Euro zusätzliche Ausgaben nur für Redispatch hatten.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist ja Wahnsinn!)

Das fließt dann in die sogenannten Netzentgelte. Darüber wird sich der Badener Bürger demnächst auch wieder beschweren.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Wenn wir es nicht schaffen, den Windkraftausbau mit dem Leitungsausbau zu synchronisieren, und wenn wir es nicht schaffen, den Bürgerinitiativen gegen den Leitungsausbau, die es überall gibt, zu sagen, dass wir die erneuerbaren Energien nur dann ausbauen können, wenn wir auch bereit sind, parallel dazu den Leitungsausbau zu beschleunigen, dann werden Kosten entstehen, die wir uns nicht leisten können.

Ich würde gerne noch drei Worte zu TTIP sagen. TTIP ist eine Chance für uns, nicht ein Risiko für uns. Ich verstehe bis heute nicht, warum dieses Land, das das exportstärkste Land in Europa und das zweitstärkste Exportland in der Welt ist, meint, wir müssten ausgerechnet den Freihandel zusätzlich beschränken. Die Amerikaner haben in vielen Bereichen wesentlich strengere Regulierungen als wir. Herr Ernst, fragen Sie einmal bei VW nach, wenn Sie es mir nicht glauben. Zum Beispiel darf ein Dieselfahrzeug in den USA maximal 32 Milligramm NO x ausstoßen, 80 Milligramm sind es bei uns. Die Umweltmaßnahmen in den USA sind somit wesentlich strenger als bei uns. Das müssen wir irgendwo harmonisieren; diese Harmonisierung wollen wir zustande bringen. Dann haben wir auch die Probleme nicht mehr, die wir in den letzten Jahren dort sehen konnten.

TTIP ist eine Chance für uns. Wer bei TTIP schläft, der wird durch die Asiaten bestraft, weil TPP und die damit verbundenen Standards dann nämlich viel schneller kommen. Das wollen wir gemeinsam verhindern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Anton Hofreiter das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6478535
Wahlperiode 18
Sitzung 152
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung - Chancen des digitalen Wandels und Jahreswirtschaftsbericht 2016
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