Alexander UlrichDIE LINKE - Arbeitsprogramm der EU-Kommission 2016
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Europäische Union ist gerade dabei, an ihren zum Teil selbst verursachten Krisen zu zerbrechen.
(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was tun dagegen, Alexander?)
Herr Staatsminister Roth, ich glaube, auch Sie sollten langsam anfangen, nicht business as usual zu machen und hier eine Sonntagsrede zu Europa zu halten, sondern Sie sollten sich wirklich Gedanken machen, wo die Bundesregierung Mitverursacher bzw. Hauptverursacher dieser Krisen ist. Sie organisieren eine Politik mit, die dazu führt, dass die Troika in die südeuropäischen Länder geschickt wird, während Sie gleichzeitig hier davon reden: Wir brauchen mehr Wachstum und Beschäftigung. – Sie müssen Ihre Politik verändern und keine Sonntagsrede zu Europa halten, in der das Gegenteil von dem gesagt wird, was politische Praxis ist.
(Beifall bei der LINKEN)
Zur Flüchtlingspolitik. Wir können uns alle daran erinnern, als in Lampedusa viele Flüchtlinge angekommen sind und die Italiener uns gefragt haben, wie wir ihnen helfen können. Die deutsche Bundesregierung hat damals diese Solidarität verweigert und auf Dublin hingewiesen. Deshalb ist das, was jetzt kommt, eine Retourkutsche. Deutschland hat mit dieser unsolidarischen Politik angefangen, und jetzt kommt die Retourkutsche von anderen europäischen Ländern.
Schauen wir uns das einmal an: 160 000 Flüchtlinge sollen verteilt werden. Seit Monaten ist das im Gespräch. Wissen Sie, wie viele von diesen 160 000 Flüchtlingen bisher verteilt worden sind? 300. Und was diskutiert die Bundesregierung? Sie will mal wieder den Griechen die Schuld geben, weil sie ihre Außengrenzen scheinbar nicht schützen – nach dem Motto: Die Griechen sind wieder dran schuld.
Aber eines ist klar: Mit Zäunen und Grenzkontrollen wird man dieses Problem nicht lösen.
(Beifall bei der LINKEN)
Deshalb braucht die Bundesregierung auch hier eine ganz andere Haltung.
Aber wir sehen, dass die Bundesregierung auch hier handlungsunfähig ist und damit als größter Player in der Europäischen Union ausfällt. Was sich CDU, CSU und SPD in der Flüchtlingsfrage täglich leisten, ist kaum noch als Regierungsversagen zu beschreiben. Es ist ein Totalversagen dieser Bundesregierung.
(Beifall bei der LINKEN)
Es ist aber auch nicht hinnehmbar – auch das sagen wir als Linke ganz deutlich –, dass Länder wie Polen und Ungarn auf Totalverweigerung umstellen. Es kann doch nicht sein, dass Länder, die über die EU-Töpfe Solidarität verlangen, eigene Solidarität verweigern. Deshalb muss die Bundesregierung sich auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass diese EU-Töpfe geschlossen bleiben, wenn von diesen Ländern menschliche Hilfe verweigert wird.
Und damit auch das klar ist: Wir brauchen eine andere Haltung zur Türkei. Es kann nicht sein, dass die EU-Kommission zu Recht darüber diskutiert, ob das Vorgehen Polens noch mit den europäischen Werten vereinbar ist, aber gleichzeitig mit der Türkei weitere Beitrittsverhandlungen geführt werden. Eigentlich müssten die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sofort gestoppt und auf Eis gelegt werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Herr Kollege, der Kollege Sarrazin würde Ihnen gerne eine Frage stellen. Darf er das?
Natürlich. Sehr gerne.
Bitte schön.
Herr Ulrich, Sie haben gerade die Forderung aufgestellt, dass Mittel aus dem EU-Haushalt nicht an Länder ausgezahlt werden sollen, die menschliche Hilfe in der Flüchtlingskrise, der sogenannten, verweigern. Was genau erfüllt aus Ihrer Sicht den Tatbestand einer Verweigerung dieser Hilfe? Was genau muss gegeben sein, damit aus Ihrer Sicht festzustellen ist, dass kein Geld ausgezahlt wird? Haben Sie diese Vorschläge mit dem Ministerpräsidenten der Hellenischen Republik abgestimmt, oder laufen wir Gefahr, dass Sie die Nächsten sind, die Griechenland damit das Geld absprechen wollen?
(Zuruf von der CDU/CSU: Gute Frage!)
Herr Sarrazin, ich glaube, es wird Zeit, dass auch Sie anerkennen müssen, dass Griechenland gemessen an der Einwohnerzahl viel mehr für die Flüchtlinge tut als Deutschland.
(Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Die Durchleitung! Ist die Durchleitung auch schon eine Leistung?)
Die Griechen sind die Allerletzten, die man da an den Pranger stellen kann. Im Gegenteil: Griechenland würde davon profitieren, wenn es eine europäische Solidarität gäbe. Es ist doch genau das Problem, dass viele Länder sich dieser Solidarität verweigern. Das sage ich Ihnen ganz deutlich. Länder wie Ungarn oder Polen, die auf Totalverweigerung setzen, dürfen keine finanzielle Hilfe von Europa bekommen.
(Beifall der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE])
Das könnte durchgesetzt werden, wenn der politische Wille vorhanden wäre.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Eine andere Krise, die dadurch in den Hintergrund gerückt ist, die Euro- und Finanzkrise, ist aber weiterhin nicht vorbei. Im Gegenteil: In Italien sind gerade mal wieder vier Banken mit 750 Millionen Euro gerettet worden, ohne dass man die kleinen Sparguthaben gesichert hat, was schon dazu geführt hat, dass sich in Italien Rentner umgebracht haben. Was die EU macht, ist mir schleierhaft: Man kehrt zu den Rezepten zurück, die 2007 in den USA zum Beginn des großen Crashs geführt haben. Auch der Umgang mit der Euro-Krise ist ein Totalversagen in der Europäischen Union.
(Beifall bei der LINKEN)
Was ist im Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission auch noch enthalten? Natürlich – richtig! – TTIP. Laut dem Arbeitsprogramm hat TTIP eine Top-Priorität. Deshalb fragt man sich schon: Haben die Damen und Herren in Brüssel und auch in der deutschen Bundesregierung immer noch nicht verstanden, dass die Menschen in Europa TTIP ablehnen, weil sie verstanden haben, dass TTIP ein Frontalangriff auf Soziales, Demokratie, Arbeitnehmerrechte und Verbraucherschutz ist?
(Beifall bei der LINKEN)
Alleine in Deutschland ist in den letzten eineinhalb Jahren die Zustimmung von 55 Prozent auf 34 Prozent gesunken. Im Oktober gab es hier in Berlin eine der größten Demonstrationen in Deutschland in den letzten zehn Jahren. 250 000 Menschen haben in Berlin für „Stop TTIP“ demonstriert. Eine ganz tolle Veranstaltung!
(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist Vorspiegelung falscher Tatsachen!)
3,3 Millionen Menschen aus ganz Europa haben den Aufruf der Bürgerinitiative gegen TTIP unterschrieben. Die Kommission tut aber so, als wäre nichts gewesen. Die Bundeskanzlerin hat sich zudem geweigert, einen Termin zu finden, an dem die Unterschriften übergeben werden können. Auch das zeigt: TTIP soll gegen die Mehrheit der Menschen in Europa durchgesetzt werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich den Leseraum ansprechen, der uns im Wirtschaftsministerium zur Einsichtnahme der Dokumente zur Verfügung gestellt wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß nicht, wie ihr damit umgeht, aber eigentlich müssen wir alle im Bundestag sagen: Das spottet jeder Demokratie.
(Beifall bei der LINKEN)
Abgeordnete sind nicht für sich selbst da. Es ist geradezu unsere Aufgabe, mit Experten sowie Wählerinnen und Wählern über das, was wir dort lesen können, ins Gespräch zu kommen. Dass man uns das verweigert, ist eigentlich eine Entmachtung des Bundestags, und Sie freuen sich scheinbar darüber. Wir als Linke sagen: Auch mit diesem Leseraum hat man nichts dafür getan, dass Transparenz und Demokratie mit Blick auf TTIP hergestellt werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Last, but not least will die Europäische Kommission einmal mehr etwas gegen die Jugendarbeitslosigkeit tun. Ich weiß nicht, zum wievielten Male sich die Kommission dafür lobt, dass 6 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden, um gegen die Jugendarbeitslosigkeit vorzugehen. Was passiert? Im Euro-Raum liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei über 20 Prozent. In Griechenland und Spanien liegt sie bei über 50 Prozent. Die vielfach gepriesene Jugendgarantie hat überhaupt nichts gebracht, weil sie angesichts der Probleme lächerlich klein ist und zugleich durch eine permanente Rezessionspolitik, Herr Staatsminister Roth – genau das ist es nämlich, wenn man in der Krise immer weiter die Ausgaben kürzt –, auch noch konterkariert wird. Ich nenne ein Beispiel: Wir haben 1,8 Billionen Euro zur Verfügung gestellt, um die Banken zu retten, aber wir haben nur lächerliche 6 Milliarden Euro, um etwas gegen die Jugendarbeitslosigkeit in Europa zu tun. Das zeigt, wo die Prioritäten der EU-Kommission und der Bundesregierung liegen.
Das vorliegende Arbeitsprogramm der Kommission ist eine Bankrotterklärung. Die gegenwärtige EU-Politik ist gegen die Demokratie gewendet, führt zu immer mehr Sozialabbau und hat kaum Respekt vor den Menschenrechten. Als Parlament sollten wir die Bundesregierung auffordern, sich in Brüssel für eine Politik einzusetzen, die dafür sorgt, dass der Druck auf Länder, die sich in der Flüchtlingsfrage verweigern, deutlich erhöht wird,
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
dass der türkische Terror gegen Kurden nicht auch noch mit EU-Mitteln unterstützt wird und stattdessen das Welternährungsprogramm massiv ausgebaut wird,
(Beifall bei der LINKEN)
dass die Finanzmärkte endlich geschrumpft und streng reguliert werden durch eine Zerlegung der Großbanken in kleinere Einheiten und eine Besteuerung sämtlicher Finanztransaktionen, dass die Interessen der Menschen endlich Vorrang vor denen der Banken haben – 6 Milliarden für die Jugend und 1,8 Billionen für die Banken, das geht überhaupt nicht –,
(Beifall bei der LINKEN)
dass Reichtum endlich anständig besteuert wird – gerade kam heraus, dass 62 Menschen so viel Vermögen besitzen wie die halbe Weltbevölkerung; Europa liegt da voll im Trend; das muss geändert werden –,
(Beifall bei der LINKEN)
dass die europäischen Steueroasen endlich trockengelegt werden, dass eine echte soziale Mindestsicherung geschaffen wird, die allen Menschen in Europa ein armutsfreies Leben garantiert, und nicht zuletzt dass TTIP und CETA endlich abgeblasen werden und eine breite Debatte über eine Neuausrichtung der EU-Handelspolitik initiiert wird.
Ich wünsche mir, dass sich Europa und die Bundesregierung endlich gegenüber den USA emanzipieren; denn viele Probleme in Europa werden wir nicht gegen Russland, sondern nur mit Russland lösen. Deshalb müssen die Sanktionen endlich aufgehoben werden. Das wäre eine vernünftige Politik in diesem Jahr und nicht business as usual, wie es Herr Staatsminister Roth leider betreibt.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
Der Kollege Thomas Dörflinger hat für die CDU/CSU das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6479550 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 152 |
Tagesordnungspunkt | Arbeitsprogramm der EU-Kommission 2016 |