Dorothee SchlegelSPD - Arbeitsprogramm der EU-Kommission 2016
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Auch ich begleite das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission gerne kritisch und beginne mit drei kritischen Äußerungen.
Eigentlich sollte 2016 das Europäische Jahr gegen Gewalt an Frauen werden. Dazu ist es leider nicht gekommen.
Die zweite enttäuschende Nachricht aus Brüssel im vergangenen Jahr betraf das im Primärrecht der EU verankerte Ziel der Gleichstellung von Frauen und Männern. Es fehlt also an der Besinnung auf die ureigensten Grundlagen der EU.
Zum Jahreswechsel erlitt noch eine weitere Entscheidung auf europäischer Ebene im Bereich Gender Equality eine klare Niederlage. So erhielt die Bundesregierung auf der Tagung des Rates im Dezember ihren Prüfvorbehalt aufrecht, und die EU-Frauenquote scheiterte, nicht zuletzt aufgrund der deutschen Stimmenthaltung.
(Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Leider wahr!)
– Ja. Gott sei Dank nicht aus den Reihen der SPD.
(Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Auch wahr!)
– Auch wahr. – Folglich erzielte der europäische Ministerrat gegen die Interessen der Frauen und gegen die Interessen der Wirtschaft keine Mehrheit für einen mindestens 40-prozentigen Frauenanteil in den Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen. Dabei hatte die vorgelegte EU-Richtlinie von uns nicht mehr verlangt als unsere eigene Quote, mit der wir durchgesetzt haben, dass auf jedem dritten Aufsichtsratsstuhl börsennotierter Unternehmen künftig, also ab jetzt, eine Frau zu sitzen hat.
Immerhin ist in vielen EU-Mitgliedstaaten seit Beginn der Diskussion um die Quote der Frauenanteil in Aufsichtsräten gestiegen. Norwegen erreichte bereits 2009 40 Prozent, und in Frankreich sollen diese 40 Prozent bis 2017 erreicht werden.
Wir alle können es inzwischen rauf- und runterbeten: Es gibt handfeste wirtschaftliche Gründe, Frauen und Männer im Arbeitsleben gleichzustellen. Gleichberechtigung würde nämlich die Wirtschaft boomen lassen. Zu diesem Ergebnis kommen führende internationale Unternehmen, die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen und Unternehmensberatungen, zum Beispiel McKinsey in der Studie „The Power of Parity“. Die Steigerung des EU-Bruttosozialprodukts betrüge – ich nenne hier ganz gerne eine Zahl – etwa 325 Milliarden Euro. Das ist deutlich mehr als die Ausgaben des Bundes im vergangenen Jahr. Mein Fazit hier ist schon mal: Gleichberechtigung lohnt sich wirtschaftlich.
(Beifall bei der SPD)
Aber im neuen Arbeitsprogramm der EU-Kommission mit dem Titel „Jetzt ist nicht die Zeit für Business as usual“, das als erste Priorität „neue Impulse für Arbeitsplätze, Wachstum und Innovationen“ nennt, kommt Gleichstellung von Frauen und Männern nicht vor. Auch im Zehn-Punkte-Plan des Kommissionspräsidenten Juncker fehlt sie völlig. Dies ist nicht nur eine Fehlentscheidung, sondern auch ein Schlag ins Gesicht aller Frauen in der EU. Zur Erinnerung: Das Ziel der Gleichstellung von Frauen und Männern und die Verpflichtung zu einer aktiven Politik im Sinne des Gender Mainstreaming sind im Primärrecht, also dem ranghöchsten Recht der EU, verankert.
Im letzten Sommer hatten sich die zuständigen Ministerinnen und Minister aus 22 Mitgliedstaaten veranlasst gesehen, die EU-Kommission in einem offenen Brief zur Verabschiedung einer neuen Gleichstellungsstrategie aufzufordern; denn die bisherige ist 2015 ausgelaufen. Als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten geben wir uns damit nicht zufrieden. Der SPD-Vorstand forderte zuletzt im Januar vehement: Diese Strategie muss weitergeführt werden. – Die Kommission hatte nämlich im Dezember lediglich ein internes Arbeitsdokument vorgelegt, obwohl internationale Frauenrechtsorganisationen, das Europäische Parlament und die Mehrheit der Mitgliedstaaten eine neue Strategie gefordert haben. Bereits in der aktuellen Strategie „Europa 2020“ gab es kein eigenes Gleichstellungsziel im Bereich Beschäftigung mehr. Es fehlt seit den 2000er-Jahren ein festgelegter Finanzierungsrahmen für die Gleichstellung von Frauen und Männern.
Meine Damen und Herren, die Kommission betont zwar, dass sie eine Kontinuität ihrer Politik wünsche. Durch die aktuellen Entscheidungen ist jedoch zu befürchten, dass die Gleichstellung schleichend von der Agenda und aus den Förderaktivitäten der EU verschwindet. Aktuelle Stimmen wie die aus Polen über die neue Sicht auf Frauenfragen im Land müssen uns daher aufhorchen lassen. Da heißt es: „In puncto Gleichberechtigung stehen uns harte Zeiten bevor.“. So formulierte es eine Dozentin für Gesellschaftspolitik an der Universität Warschau. Wir dürfen also – damit möchte ich zum Schluss kommen – nicht genau die Chancen verspielen, die über Jahrzehnte in einem geeinten Europa gewachsen sind. Wir nehmen daher Herrn Juncker sehr gerne beim Wort: „Jetzt ist nicht die Zeit für Business as usual“. Es heißt ja nicht nur auf Deutsch: Wir brauchen in Europa eine vorwärtsgewandte Frauen- und auch Familienpolitik.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6479653 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 152 |
Tagesordnungspunkt | Arbeitsprogramm der EU-Kommission 2016 |