Oliver KaczmarekSPD - Änderung des Hochschulstatistikgesetzes
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Statistik steht ein bisschen zu Unrecht in dem Verdacht, ein Spezialisten- oder Nischenthema zu sein. Vielleicht war die Debatte jetzt gerade doch ein bisschen sehr in der Nische. Aber Statistiken – das wissen wir – liefern wesentliche Grundlagen für unsere politischen Entscheidungen. Darüber hinaus sind Statistiken das einzige Instrument, das wir haben, um die Wirksamkeit von Maßnahmen zu überprüfen. Insofern ist es wichtig, dass wir die Hochschulstatistik an veränderte Realitäten anpassen.
Einige Stichworte sind schon genannt worden: Umsetzung der Bologna-Reformen, Autonomisierung von Hochschulen, neue Aufgaben wie Weiterbildung, Seniorenstudium und Integration von beruflich Qualifizierten. All das sind neue Aufgabenfelder, die im Moment noch nicht in der amtlichen Hochschulstatistik abgebildet werden können. Deswegen ist es notwendig, dass wir dieses Gesetz verändern und an die Lebensrealitäten annähern.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich sage aber auch: Statistik ist nur dann gut, wenn sie die Lebenswirklichkeit abbilden kann. Wir verfolgen mit der Novelle konkrete Ziele, die sich aus dem Alltag von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Studierenden ableiten lassen. Ich will anhand von drei Beispielen verdeutlichen, wo wir in der Statistik tatsächlich einen Schritt weiterkommen.
Erstens. Die Studienverläufe haben sich verändert. Mehr als ein Viertel der Bachelorstudierenden haben ihr Studium abgebrochen. Wir wissen jetzt nicht immer, was dahintersteckt: ein Fachwechsel, ein Studienortwechsel, vielleicht ein Auslandsaufenthalt. Wir wissen auch nicht, ob Lernunterbrechungen stattfinden, wann jemand wieder ein Studium aufnimmt, weil er lange nach dem Bachelorabschluss ein Masterstudium aufnehmen will. Diese Dinge werden durch die Studienverlaufsstatistik besser nachgezeichnet. Sie bringt uns neue Erkenntnisse: Wo gehen die Studierenden hin? Wie ist ihr Studienerfolg? Wir können damit den Anforderungen an das lebensbegleitende Lernen gerecht werden. Ich bin deshalb den Innenpolitikern der Großen Koalition dankbar, dass sie den Weg mitgegangen sind, die Speicherfrist auf 18 Jahre zu erhöhen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich will den Disput von vorhin aufgreifen: Das geht natürlich nur unter hohen Anforderungen an Datensparsamkeit und Datenschutz. Deswegen ist es wichtig, dass wir auch die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder gehört haben und sie im Grundsatz ihre Zustimmung zu diesem Verfahren gegeben haben.
Herr Lenkert, Sie zeichnen in dieser Debatte – ich will das einmal sagen – ein absurdes Zerrbild von der Nutzung amtlicher Statistik.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Die Pseudonymisierung von Daten ist notwendig, damit wir sie als Summendaten nutzen können. Niemand will Individualdaten nutzen, sondern wir werden am Ende Summendaten erstellen. Da ist dieses Verfahren hilfreich und wirksam; es ist an anderen Stellen schon ausprobiert worden. Das Bild, das Sie hier zeichnen, ist ein Bild von Statistik als staatlichem Repressionsinstrument. Das ist absurd. Wir legen keine Akten an, sondern machen eine Statistik. Deswegen rate ich zu etwas mehr Beruhigung in dieser Debatte.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Was ist denn der Unterschied zwischen einer Datei und einer Akte?)
Zweiter Punkt. Die Datenlage in Bezug auf Promovierende an den Hochschulen ist teilweise desaströs.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wir werden jetzt einen Schritt weiterkommen, indem wir unsere Pflicht zur Lieferung von Daten für die europäische Statistik erfüllen und dafür die Zahl der Promovierenden und die Dauer der Promotionen erheben. Ich will aber gleich einräumen, dass die Datenlage verbessert werden könnte, wenn wir zu einem einheitlichen Status an den Hochschulen – mit Rückmeldeverpflichtungen – kommen würden. Das liegt aber in der Gesetzgebungskompetenz der Länder. Das Thema sollte trotz aller Schwierigkeiten zukünftig noch einmal aufgegriffen werden.
Dritter Punkt. Ich bin froh, dass es uns gelungen ist, die Gasthörerstatistik im Gesetzgebungsverfahren zu erhalten. Wir haben in der Anhörung gehört: Die Daten sind valide, der Aufwand ist vertretbar. Wir wissen, dass Flüchtlinge teilweise als Gasthörer in die Statistik aufgenommen werden. Wir wissen, dass Seniorenstudenten, ein kleiner Teil an der Hochschule, aber ein wachsender Teil mit Blick auf lebensbegleitendes Lernen in der Statistik auftauchen. Deswegen brauchen wir mit Blick auf die zukünftige Entwicklung diese Statistik vorläufig noch, und es ist gut, dass wir sie erhalten haben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Statistik wird angenähert an die veränderte Realität. Aber allein das Wissen um Veränderung reicht nicht, es müssen auch die richtigen politischen Schlussfolgerungen gezogen werden. Ich möchte deshalb zum Schluss zwei Beispiele nennen, mit denen ich verdeutlichen will, wo wir weitermachen müssen; eines der beiden politischen Felder, die ich skizziert habe, haben wir bearbeitet, das andere müssen wir uns für die nächste Novelle aufheben.
Erstens. Ich prognostiziere: Die Studienanfängerzahlen werden hoch bleiben, deutlich höher als es zu Beginn des Hochschulpaktes prognostiziert wurde. Herr Lenkert, auch hier haben wir in dieser Wahlperiode eine Menge geschafft. Wir haben den Hochschulpakt ausfinanziert. Wir haben den Pakt für Forschung und Innovation durch die bundesseitige Finanzierung des Aufwuchses gesichert. Wir werden morgen das Gutachten der Imboden-Kommission zur Evaluation der Exzellenzinitiative zur Kenntnis nehmen können und haben jetzt schon die Zusicherung, dass wir 4 Milliarden Euro für die Fortführung der Exzellenzinitiative bereitstellen plus 1 Milliarde Euro für den Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs.
(Dr. Karamba Diaby [SPD]: Das ist ein Erfolg!)
Ich will damit sagen: Durch die vier Pakte unterstützen wir schon jetzt die Hochschulen nachhaltig bei der Bewältigung der Herausforderungen aufgrund der Veränderungen in der Hochschullandschaft.
(Dr. Karamba Diaby [SPD]: Richtig!)
Sie wirken schon jetzt bei der Bewältigung der hohen Studienanfängerzahlen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich will aber auch sagen: Wenn die Zahlen hoch bleiben, dann müssen wir in der nächsten Wahlperiode zu grundsätzlichen Entscheidungen kommen. Aus meiner Sicht ist es sinnvoll, die Verantwortungsgemeinschaft, die Bund und Länder für die Grundfinanzierung der Hochschulen eingegangen sind, beispielsweise mit der Finanzierung des Aufwuchses beim Hochschulpakt, zu erhalten. Die Grundgesetzänderung macht es möglich. Deswegen werden wir auch in der nächsten Wahlperiode, wenn die Pakte auslaufen, darüber sprechen müssen, wie wir zumindest einen Teil davon im Interesse der Hochschulen verstetigen.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU] und Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Zum Zweiten – ein Feld, das wir in der Novelle stärker hätten aufgreifen müssen; das hätten wir uns gewünscht –: Wir brauchen auch ein Bild der sozialen Ungleichheit an Hochschulen. Nach wie vor ist die größte Herausforderung für die Wissenschaftspolitik die Schaffung von Chancengleichheit. Zwei Zahlen – die kennen Sie – zeigen den Bedarf: Von 100 Kindern aus Akademikerfamilien beginnen über 70 ein Hochschulstudium, und von 100 Kindern aus Nichtakademikerfamilien beginnen 24 ein Studium.
Das heißt: Ungleichheit ist auch ein Thema für die Wissenschaftspolitik. Die Hochschule kann diese Probleme nicht alleine lösen, da der Bildungstrichter natürlich weit vorher ansetzt.
(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bildungsgerechtigkeit nennt man das!)
Aber wir wollen wissen, aus welchen sozialen Milieus die Studierenden kommen; denn Aufnahme und Integration von Studierenden aus Arbeiterfamilien, aus Nichtakademikerfamilien ist auch ein Qualitätsmerkmal guter Hochschulpolitik. Deswegen wollen wir auch das erfasst haben und wünschen uns für künftige Erhebungen die Aufnahme weiterer Merkmale.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das ist ein solide erarbeitetes Gesetz. Dem Dank an den Ausschuss für die Hochschulstatistik schließe ich mich an. Ich freue mich auf viele datengestützte Diskussionen und politische Entscheidungen. Ich glaube, man kann dem vorliegenden Gesetzentwurf ruhigen Gewissens zustimmen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vielen Dank, Kollege Kaczmarek. – Der nächste Redner ist Kai Gehring für Bündnis 90/Die Grünen.
(Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Diversity in Aktion! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an den Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] gewandt: Einfach ignorieren!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6480740 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 152 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Hochschulstatistikgesetzes |