29.01.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 153 / Tagesordnungspunkt 21

Rainer ArnoldSPD - Parlamentsbeteiligung bei Bundeswehreinsätzen

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach elf Jahren Parlamentsbeteiligungsgesetz ist es vernünftig und klug, wenn man angesichts der Veränderungen in der Welt dieses Gesetz überprüft; vielleicht sollten wir das öfter, auch bei anderen Gesetzen, tun. Genau das war der Auftrag der Kommission.

Es gab von Anfang an viele Wünsche und auch viele Befürchtungen. Keine der Befürchtungen ist am Ende eingetreten. Der Wunsch nach einer Lockerung der parlamentarischen Rechte, der im Raum stand, der auch mal in Brüssel diskutiert wurde, war für uns Sozialdemokraten von vornherein ausgeschlossen, völlig ausgeschlossen.

(Beifall bei der SPD)

Das haben wir gesagt, und wir haben Wort gehalten. Es war auch gar nicht nötig; denn die Gespräche, die wir mit der Kommission und auch auf internationaler Ebene geführt haben, haben eindrucksvoll gezeigt: Der parlamentarische Vorbehalt ist keinesfalls ein Hemmschuh für deutsche Verantwortung in der Welt. Dass sich Regierungen manchmal hinter dem Parlamentsvorbehalt versteckt haben, ist für uns Parlamentarier sogar ein richtiges Ärgernis, weil das den guten parlamentarischen Vorbehalt in der Staatengemeinschaft diskreditiert und wir immer wieder erklären müssen, was Sache ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Insofern sage ich eindeutig: Der Parlamentsvorbehalt ist gut, und er schützt auch Regierungen – da bin ich ganz bei Ihnen – vor vorschnellen und möglicherweise auch falschen Entscheidungen.

Es wurde auch befürchtet, dass der Parlamentsvorbehalt abgeschafft werden könnte. Davon wurde überhaupt nichts realisiert. Wir haben den Parlamentsvorbehalt in keiner Weise eingeschränkt. Im Gegenteil: An vielen Stellen haben wir die parlamentarischen Rechte erweitert und präzisiert.

Herr Kollege Neu, was Sie vorhin gesagt haben, das ärgert mich jetzt schon; denn dieses angebliche Zitat ist weit von meinem Denken entfernt. Um es klar zu sagen: Ich war einer der wenigen, die damals, bei der ersten Formulierung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes, sehr engagiert dabei waren. Schon damals war für mich ganz klar: Wir wollen niemals Vorratsbeschlüsse. Ergänzend habe ich immer gesagt: Sie sind rechtlich auch nicht möglich. – Beides ist unsere Position.

(Beifall bei der SPD – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das erinnert mich an ­Adenauer: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern!)

Wir erweitern die Rechte, insbesondere an einem ganz wichtigen Punkt, nämlich bei der Unterrichtung des Parlaments. Es ist eine frühzeitige Unterrichtung vorgesehen, dann, wenn Regierungen anfangen, über Einsätze zu reden und zu planen. Das ist wichtig, weil es nicht im Ermessen von Regierungen liegt, darüber zu befinden, ob ein Einsatz mandatspflichtig ist oder nicht. Das ist ein parlamentarisches Recht. Deshalb ist es ganz eindeutig: Es ist gut, dass wir dies gesetzlich verankern. Die Regierungen müssen mit dem Parlament ventilieren, wie das Parlament den einzelnen Einsatz bewertet. Ich sage es deutlich: Bei allen Bundesregierungen gibt es, was das Ventilieren anbelangt, Luft nach oben. Deshalb ist es gut, dass wir hier Klarheit schaffen.

Wir stärken das Recht des Parlaments im Bereich der Informationen über Einsätze des Kommandos Spezialkräfte. Auch das ist ein lang gehegter Wunsch. Und es gibt die seit langem eingeforderten Evaluierungen am Ende von Einsätzen. Das ist alles richtig.

Nun kommt dieser schwierige Punkt, über den wir lange diskutiert haben: Ist es überhaupt möglich, eine Grenze zu definieren, ab wann ein Einsatz als Einsatz bewaffneter Streitkräfte anzusehen ist und damit als mandatierungspflichtig? Wir haben viele Stunden darüber beraten. Wir haben gemerkt: Es wird nie eine harte Grenze geben, sondern es wird immer einen Bereich geben, über den man diskutiert, vielleicht auch politisch streitet. Insofern ist das, was wir formuliert haben, nur ein Schritt in Richtung einer stärkeren Präzisierung. Das entbindet uns aber in keinem Fall von der Pflicht – hier wurde gesagt: das muss in jedem Einzelfall entschieden werden –, über jeden Einzelfall zu diskutieren und zu entscheiden.

Frau Kollegin Keul, das Kritischste sind sicherlich die Ausbildungsmissionen. Herr Schmidt hat ja ein paar Beispiele genannt: Afghanistan, Mali, Nordirak. Um es ganz klar zu sagen: Afghanistan ist kein sicheres Umfeld und Erbil auch nicht. Es gibt ja Indikatoren: Wenn Ausbildungsmissionen militärisch stark geschützt werden müssen, wenn deutsche Soldaten von einer starken eigenen Schutzkomponente begleitet werden, ist dies ein starker Indikator dafür, dass das kein gesichertes Umfeld ist. Deshalb sind diese Einsätze zu mandatieren. Da gibt es doch überhaupt kein Vertun.

(Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])

Daneben gibt es Einsätze, bei denen die Soldaten abends womöglich sogar ins Hotel fahren und sich vom Objektschutz des Hotels bewachen lassen oder sich selbst schützen. Das ist ein sicheres Umfeld. Manchmal wird ja auch in Deutschland oder in Nachbarländern ausgebildet. Wir haben die Ausbildung von somalischen Kräften in Kenia auch nicht mandatiert. Damals gab es keine Diskussionen. Insoweit ist das schon ein Stück weit abgrenzbar.

Es gibt noch einen weiteren Aspekt bei Ihrer Argumentation, den wir nicht vergessen dürfen: Für den Zweifelsfall – ich bekenne mich ja dazu, dass es immer wieder Zweifel geben wird – hat uns das Verfassungsgericht etwas Wichtiges ins Stammbuch geschrieben. Das Verfassungsgericht sagt nämlich in seinem Urteil: Im Zweifel muss das Parlamentsbeteiligungsgesetz „parlamentsfreundlich“ interpretiert werden. Das ist juristisch so definiert, und das ist – das sage ich deutlich – auch eine sozialdemokratische Grundposition. Deshalb gibt es keinen Grund, Ängste zu schüren oder gar mit Halbwahrheiten, wie die Linke es tut, die Öffentlichkeit zu täuschen. So können wir über diesen Bereich nicht miteinander diskutieren. Dazu ist das alles viel zu wichtig, viel zu ernst.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wir haben ein paar Dinge präzisiert. Das gilt auch für die Stäbe. Kollegen von den Linken, die Stäbe mussten bisher auch nicht mandatiert werden. Bisher stand das in der Begründung, und jetzt steht das im Gesetz. Was kann ein Parlamentarier schlecht daran finden, wenn die Dinge klargezogen werden? Im Prinzip nichts.

Die Kommission hat sich ein bisschen auch mit Themen beschäftigt, die nicht zu ihrem Auftrag gehörten. Es war aber richtig, dass die Kommission an der einen oder anderen Stelle über den Tellerrand hinausgeschaut hat. Ich will drei Bereiche erwähnen, die ich wichtig finde:

Erstens. Die Kommission hat sorgfältig reflektiert, warum Deutschland bei UN-Friedensmissionen so wenig beteiligt ist. Ich finde, dass dieses ein zentrales Thema ist, dass das Gewaltmonopol der Welt bei den Vereinten Nationen liegt – das müssen wir nicht nur verbal formulieren, sondern wir müssen die UN auch konkret unterstützen, damit dieses Gewaltmonopol durchgesetzt werden kann. Die Defizite der UN darf man nicht beklagen, sondern man muss sie beseitigen – dies hat grundsätzliche Debatten im Parlament verdient.

Das Zweite, das die Kommission reflektiert hat, ist: Müssten wir im Deutschen Bundestag nicht mehr über Sicherheitspolitik reden?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich war enttäuscht, dass die Kanzlerin dies im Verteidigungsausschuss von sich gewiesen hat. Deshalb finde ich das, was wir jetzt im Gesetzentwurf machen, sehr geschickt. Denn wir sagen: Überall dort, wo es um verbundene europäische oder NATO-Fähigkeiten geht, muss sich das Parlament damit befassen, nicht im Sinne von Vorratsbeschlüssen, dass man nicht mehr Nein sagen kann. Es gibt keine juristische Bindung – das ist eindeutig –, aber es gibt politische Einsichten, Verpflichtungen und Diskussionen. Diese Diskussionen müssen wir führen. Ich glaube, über diese Brücke zwingen wir in Zukunft einmal im Jahr uns alle selbst und die Regierung, indem wir eine sorgfältige sicherheitspolitische Debatte führen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ich glaube, das ist im Interesse von uns Parlamentariern insgesamt.

Die dritte Reflexion ist zwar eine heikle, aber ich spreche sie trotzdem an. Es geht um die Frage: Muss man auf Dauer damit umgehen und leben? Juristisch kann man das. Verfassungsgerichtsurteile sind Verfassung. Aber ist es auf Dauer richtig, ein solch wichtiges Thema wie den Einsatz bewaffneter Streitkräfte auf Urteilen basierend zu legitimieren? Wäre es nicht klug, eine Verfassungsdebatte zu führen, die die Urteile, ohne die Rechte der Regierung zu erweitern, im Prinzip eins zu eins in den Verfassungsrang erhebt? Ich muss sagen: Ich treffe sehr, sehr viele Soldaten, die diesen Wunsch haben. Denn unsere Soldaten sind Staatsbürger in Uniform.

Herr Kollege.

Sie legen Wert darauf, dass nicht der geringste Zweifel daran entstehen kann, dass das, was sie tun, verfassungskonform ist.

Um es klar zu sagen: Ich bin nicht der Meinung, dass diese Koalition ihre satte Mehrheit in diesem Fall für Verfassungsänderungen nutzen sollte. Ich würde das für politisch unklug halten, und ich möchte dies auch nicht. Ich bin aber sehr dafür, dass man einen Tag findet, an dem Regierung, Opposition und Koalitionsfraktionen über solche Themen miteinander ins Gespräch kommen.

Recht herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Andreas Nick ist der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6483332
Wahlperiode 18
Sitzung 153
Tagesordnungspunkt Parlamentsbeteiligung bei Bundeswehreinsätzen
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