Thomas JarzombekCDU/CSU - Intelligente Mobilität
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf vielleicht damit anfangen, dass ich es begrüße, dass unser Koalitionspartner die positiven Aspekte benannt hat, und dass ich mich darüber wundere, dass die Opposition hier nur Nachteile erkennen kann.
(Lachen der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE] – Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann haben Sie mir nicht zugehört!)
Ganz im Ernst: Am Ende müssen Sie sich für irgendwas entscheiden, was Sie jetzt kritisieren, Herr Kollege Kühn. Zuerst haben Sie gesagt: Dass wir uns mit solchen Themen hier beschäftigten, wo es doch viel Wichtigeres gäbe! Zum Schluss haben Sie gesagt: Es kann doch nicht wahr sein, dass wir uns erst jetzt damit beschäftigen. – Also, einen Tod müssen Sie sterben, wenn Sie uns kritisieren wollen.
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)
Peter Altmaier hat dazu einmal gesagt: Es ist in Deutschland manchmal so, dass wir immer über die ganz großen, wichtigen Fragen reden und für nichts anderes Platz haben, und auf einmal, irgendwann, haben wir das Ende einer Entwicklung und fragen: Wie konnte es eigentlich so weit kommen? Deshalb ist es, – so glaube ich, – ganz gut, dass wir heute auch einmal zur Primetime anderthalb Stunden über ein Thema reden, das ich sehr wichtig finde, nämlich: Wie digitalisieren wir unsere Verkehrsinfrastruktur?
Es ist doch klar: Alles das, was heute an physischer Struktur da ist, braucht parallel eben eine digitale Struktur, um die Dinge besser zu machen.
Mich hat in dieser Woche mein Lokalradio angerufen und gefragt, was ich denn dazu sage, dass Senioren ohne weitere Tests weiterhin am Straßenverkehr teilnehmen dürften. Da habe ich geantwortet: Diese Frage stellt sich heute eigentlich gar nicht mehr. Wir haben so viele technische Assistenzsysteme und die Entwicklung in den nächsten Jahren wird dazu führen, dass Menschen viel länger als heute weiter mobil bleiben und selbstbestimmt mobil bleiben können. Und das ist eine extrem gute Entwicklung.
(Beifall bei der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das hat mit Autos überhaupt nichts zu tun!)
Assistenzsysteme warnen den Fahrer, wenn Fußgänger auf die Straße gehen, oder dann, wenn er einmal abgelenkt ist und die drohende Kollision nicht sieht. Diese Systeme wirken. Ich habe gerade in dieser Woche gesehen, dass in Japan, wo man auch die Nachrüstung solcher Systeme unterstützt – das finde ich ganz interessant –, durch den Einsatz von Assistenzsystemen die Unfallzahlen um 60 Prozent zurückgegangen sind.
(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie ist die Marktdurchdringung dieses Systems in Deutschland?)
– Stellen Sie gerne eine Frage.
(Abg. Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
– Gerne. – Frau Präsidentin, Sie sind dran, das zu entscheiden. Ich will Ihnen hier nicht die Aufgabe wegnehmen. Der Kollege würde gern eine Zwischenfrage stellen.
Sie entscheiden natürlich, ob Sie die Zwischenfrage zulassen. – Bitte.
Könnten Sie vielleicht etwas zur Marktdurchdringung der Fahrassistenzsysteme in Deutschland sagen? Wir haben ja Fahrinformationssysteme, also, sage ich einmal, Entertainmentpakete, die serienmäßig in den Fahrzeugen sind. Und die Fahrassistenzsysteme, die Sie ansprechen, sind nur zu einem Aufpreis – in der Regel reden wir da von Beträgen von 1 000, 2 000 Euro – erhältlich. Können Sie sagen, welche Marktdurchdringung wir bei diesen Systemen haben?
Herr Kollege Kühn, wir haben gemeinsam daran gearbeitet, dass eine Reihe dieser Assistenzsysteme eben nicht mehr aufpreispflichtig sind, sondern inzwischen zur Standardausstattung gehören. Ich nenne ESP als vielleicht eines der wichtigsten Assistenzsysteme, das viele Unfälle verhindert. Ich glaube, dass viele Systeme, die heute noch aufpreispflichtig sind, künftig in die Serienausstattung übergehen. So ist die Entwicklung immer gewesen.
Darüber hinaus, wenn Sie die Frage schon stellen, ist es sinnvoll, dass wir über die Nachrüstung von älteren Fahrzeugen diskutieren. Wir reden hier nicht nur über Neufahrzeuge. Wir sollten darüber diskutieren, ob wir bei der Nachrüstung älterer Fahrzeuge staatlicherseits Anreize schaffen sollten.
(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schreiben Sie das in Ihren Antrag!)
– Herr Kollege Kühn, wenn wir alles, was denkbar wäre, in diesen Antrag geschrieben hätten, dann würden wir Ihnen heute ein Kompendium vorlegen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Da ist die Frage schon, wo die Abgrenzung zwischen der Regierungs- und der Parlamentsarbeit erfolgt. Ich glaube, es ist gut, dass wir hier bestimmte Eckpunkte benennen. In unserem Antrag steht klar, dass die Regierung ein digitales Straßengesetz vorlegen soll. Darüber werden wir gemeinsam beraten und alle Details eines umfangreichen Werks diskutieren können.
Ich glaube, die Digitalisierung ist für die Verkehrssicherheit extrem hilfreich. Sie ist auch hilfreich für den öffentlichen Nahverkehr; das wurde vorhin angesprochen. Der öffentliche Nahverkehr hat so viele Kunden wie nie zuvor. Das liegt vor allem an der Digitalisierung. Statt nachts ewig auf die Bahn zu warten, kann man mit der App jetzt sehen, wann sie wirklich kommt, und dann zielgerichtet zur Haltestelle gehen. Man kann auch sehen, ob der Bus, den man nehmen möchte, pünktlich kommt oder ob er deutliche Verspätung hat. Dann muss man nicht mehr herumstehen.
Es gibt viele Leute, die die Zeit in der Bahn gerne dafür nutzen, um möglicherweise mit Facebook, Google oder anderen Produkten irgendetwas zu machen. Sie können das nutzen, und deshalb haben die Bahn und der Bus an Attraktivität gewonnen. Wir müssen dahin kommen, dass auch das Auto mehr von der Digitalisierung profitiert.
Ich sehe hier meinen Kollegen Andreas Rimkus aus Düsseldorf. Bei uns in den Städten gibt es kaum ein größeres Thema, mit dem Politik konfrontiert wird, als das Thema Lärmschutz. Wie wollen wir mit Lärm, aber auch mit Emissionen umgehen? Ich erinnere an die Stickoxide und das Thema Feinstaub. Wie wollen wir die Werte senken, wenn Autos mit voller Geschwindigkeit an die Ampel heranfahren, bremsen und dann wieder beschleunigen müssen? Das verursacht Emissionen, das verursacht Lärm, und das verursacht hohe Verbrauchswerte.
(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit vernünftiger Abgasreinigung beschäftigen!)
Deshalb brauchen wir eine Vernetzung von Verkehrsbeeinflussungssystemen, zum Beispiel von Ampeln, damit ein Auto weiß, wann wo welche Ampelphase ist, auch wenn man die Ampel vielleicht noch gar nicht sehen kann, auch wenn die Ampel vielleicht gerade grün wird, aber das Auto sie nicht erreichen kann. Dann kann es vielleicht schon auskuppeln oder rekuperieren, wenn es ein elektrisches Fahrzeug ist, oder es kann eine Geschwindigkeit einstellen, mit der es, möglichst ohne zu bremsen, durch die Stadt kommen kann. Es ist meine persönliche Vision und mein Ziel, eine Infrastruktur bereitzustellen, die Fahrzeugen ermöglicht, durch die Innenstädte zu fahren, ohne bremsen und beschleunigen zu müssen.
Dafür brauchen wir einen Open-Data-Plan. Deshalb bin ich dankbar, dass auch der Bundesvorstand der CDU in der Mainzer Erklärung, in der es hauptsächlich um die ganz großen Fragen gegangen ist, deutlich gemacht hat: Wir wollen ein Open-Data-Gesetz. Das brauchen wir insbesondere, um Innovationen im Verkehrsbereich zu ermöglichen. Das steht auch im Koalitionsvertrag. Das gilt im Übrigen auch für den öffentlichen Nahverkehr. Ich finde, es ist ein Unding, dass Anbieter von Verkehrsinformationssystemen, von Apps, mit jedem einzelnen Verkehrsanbieter einzelne Vertragsverhandlungen führen müssen. Der eine bietet Fahrplanarten an, der andere aber keine Echtzeitdaten. Es stellt sich auch die Frage, wie man ein Ticketing-System machen kann. All das müssen wir gesetzlich vereinheitlichen.
Wir müssen uns auch überlegen, wie wir mehr aus den Daten, die wir haben, machen. In dieser Hinsicht war das Verkehrsministerium verdammt gut. Ich glaube, kein anderes Haus war so innovativ, mit der Gründerszene gemeinsam ein Hackathon zu machen, bei dem man junge, innovative Gründer mit den Daten zusammengebracht und einen Wettbewerb gestartet hat, um herauszufinden, welche Innovationen daraus entstehen können. Das ist der richtige Weg. Ich kann die Staatssekretärin nur beglückwünschen und ermuntern, diesen Weg weiterzugehen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ein weiteres Thema sind die Modellregionen. Wir sehen, wie viel Wirbel aus Marketinggründen gemacht wird, um zu zeigen, was in Kalifornien alles möglich ist. Da fahren die Google-Autos, daher kommen die Tesla-Autos. Deshalb ist es ebenfalls extrem gut, dass auf der A 9 das Testfeld für digitales Fahren ermöglicht wurde. In unserem Antrag fordern wir zusätzliche Modellregionen, um auch innerstädtische Verkehrssysteme zu erproben. Mit UR:BAN gibt es da schon ein gutes Projekt, und darauf kann man aufsatteln und weitere Modellregionen benennen.
Außerdem müssen wir Geld in die Hand nehmen, um die Nutzung dieser Daten zu ermöglichen. Dafür gibt es im Ministerium 100 Millionen Euro im Modernitätsfonds; sie werden dafür auch schon eingesetzt. Das können wir an dieser Stelle ebenfalls nur begrüßen. Wir werden die Kommunen dabei unterstützen müssen – das ist für uns eine Herausforderung –, ihre Verkehrsleitzentralen aufzurüsten. Mit UR:BAN in Düsseldorf, in Kassel und in Braunschweig hat die Bundesregierung so etwas gemacht.
Aber es reicht nicht, dass Autohersteller oder auch die Hersteller von Informationssystemen eine Anbindung programmieren. Deshalb müssen wir einen Weg finden, den Kommunen zu ermöglichen, ihre Verkehrsleitzentrale auf den gleichen technischen Stand wie in Düsseldorf, Kassel und Braunschweig zu bringen. Dabei geht es um eine Summe von 30 Millionen, 40 Millionen oder 50 Millionen Euro. Das ist nicht einmal so viel, wie eine Ortsumfahrung kostet. Ich glaube, das muss schon drin sein, um die Verkehrsleitzentralen zumindest in den 20 größten deutschen Städten zu ertüchtigen.
Darüber hinaus brauchen wir eine Dateninfrastruktur bei der Schiene. Ich verweise auf ERTMS, also auf ein Leitungssystem, das autonom fahrende Züge ermöglicht. Wir müssen auch den öffentlichen Nahverkehr auf diesem Gebiet weiter unterstützen. Ich denke hier an ein gemeinsames Ticketing-System: Mit einer entsprechenden App kann man dann nicht nur in Düsseldorf ein Rheinbahn-Ticket, sondern auch in Berlin ein BVG-Ticket ziehen.
Das alles mündet in unsere Forderung nach einem digitalen Straßengesetz. Dieses digitale Straßengesetz sollte noch mehr leisten. Der Kollege Kühn hat die sehr richtige Frage gestellt: Wem gehören eigentlich die Daten? Im Übrigen ist der Datenschutz ziemlich gut geregelt.
(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Ja!)
Dafür gibt es ein Bundesdatenschutzgesetz. Gerade hat das Europäische Parlament den Weg für die europäische Datenschutz-Grundverordnung freigemacht. Darin ist bis auf das Kleinste geregelt, was mit Daten passieren darf und was nicht. Im Übrigen kann man auch immer mit den Datenschützern reden und nach neuen Wegen Ausschau halten.
Autos mit intelligenten Dämpfern – neue Luxusfahrzeuge haben sie schon; sie werden wahrscheinlich bald in jedem Fahrzeug vorhanden sein – werden bald durch die Stadt fahren und genau erfassen können, wo wie viele Schlaglöcher sind. Das sind doch Informationen, die für unsere Bundesverkehrswegeplanung extrem hilfreich sind. Heute erneuern wir die Straßen erst dann, wenn sie ein gewisses Alter erreicht haben. Aber wir möchten doch eigentlich die Straßen erneuern, von denen wir wissen, dass sie besonders bedürftig sind.
Auf unseren Straßen gibt es 40 Millionen Fahrzeuge. Das sind 40 Millionen potenzielle Sensoren, mit denen man Straßen vermessen kann. Die so erzeugten Daten braucht auch unser Staat. Diese Daten müssen natürlich anonymisiert sein – das unterstreiche ich dreimal –, in Absprache mit dem Datenschutzbeauftragten. Das ist ganz wichtig.
Am Ende brauchen wir eben auch eine digitale Struktur im Bereich Breitband. Eins ist klar: Die Fahrzeuge, die selber fahren, werden viel besser fahren können, wenn beispielsweise 20 Fahrzeuge synchron und ohne Verzögerung bremsen können. Vorgestern, am Mittwoch, haben wir hier im Deutschen Bundestag über das DigiNetz-Gesetz diskutiert, das der Bundesminister hier präsentiert hat. Dieses Gesetz ist der richtige Weg, um für 2020 Leitmarkt zu werden für die fünfte Mobilfunkgeneration, die es als taktiles Internet, als Echtzeitinternet, ermöglicht, selbstfahrende Fahrzeuge zu steuern. Daher müssen wir anfangen, in jede Laterne, in jede Ampel, in jede neue Baumaßnahme Glasfaserkabel zu legen, die für dieses Internet die Infrastruktur sind.
Das brauchen wir im Übrigen auch im ländlichen Raum. Ich wünsche mir schon, dass ein selbstfahrendes Auto, das aus Düsseldorf herausfährt und dann irgendwo in den Tiefen des Kreises Neuss unterwegs ist, genauso gut funktioniert wie in unserer wundervollen Metropole. Für den Breitbandausbau gibt es ein mit 2,7 Milliarden Euro ausgestattetes Förderprogramm, das genau diese Entwicklung unterstützt.
Ich glaube, wir haben den richtigen Grundstein gelegt. Ich habe gemerkt: Bei den Grünen ist noch nicht alles verloren. Ich freue mich, wenn sie uns begleiten. Jede gute Idee ist willkommen. Ich freue mich auf die Ausschussarbeit.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Liebe Kollegen, es sei mir auch an dieser Stelle ein kleiner Hinweis auf die Uhr am Rednerpult gestattet. Das Zeichen „Präsident“ heißt nicht, dass man einfach weiterreden sollte, sondern es heißt, dass man bitte zum Ende kommt, und zwar zügig. So viel für alle, die das noch nicht gewusst haben.
Jetzt hat der nächste Redner das Wort: Herbert Behrens von der Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6483428 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 153 |
Tagesordnungspunkt | Intelligente Mobilität |