29.01.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 153 / Tagesordnungspunkt 23

Rosemarie HeinDIE LINKE - Bildungsgerechtigkeit

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Frau Präsidentin! – Vielen Dank, Herr Mutlu. Ich gebe aber zu, dass es mir heute ein bisschen schwerfällt, über diesen Antrag zu reden, in dem es um Kinder und Jugendliche geht, nachdem letzte Nacht die Koalition ihren Asylkompromiss beschlossen hat.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist ein schwarzer Tag zumindest für jene Familien, die darauf warten, zu ihren Angehörigen nach Deutschland ziehen zu können. Und das beschließt eine Koalition, die ständig den Wert von Familie hochhalten will. Ich finde, das ist ein Armutszeugnis.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ja! Christlich vor allen Dingen! Immer „Wir als Christen“!)

Nach einer UNICEF-Studie aus dem Jahr 2014 sind 70 Prozent der asylsuchenden Kinder und Jugendlichen unter zehn Jahre alt. Das sieht bei denen, die derzeit auf Familiennachzug warten, ganz sicher nicht anders aus. Kinder brauchen ihre Familien. Welches Recht haben wir, ihnen das zu verweigern? Keines.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nun haben Sie sich die Nacht um die Ohren geschlagen, um auszuhandeln, wie es gelingen kann, Asylsuchende davon abzuhalten, nach Deutschland zu kommen. Bei der Frage einer besseren Integration und eines besseren Bildungszugangs waren Sie nicht so erfolgreich. Das aber wäre wichtiger gewesen;

(Beifall bei der LINKEN)

denn weder der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz noch die Durchsetzung der Schulpflicht ist heute in den meisten Bundesländern zeitnah gesichert.

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist bei der CDU noch nicht angekommen!)

Aber alle Kinder haben die gleichen Rechte, egal wo sie geboren sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Darum finde ich es richtig, dass der Antrag der Grünen die Bildungsfrage umfassend angeht. Denn nur ein gutes und gut ausgestattetes Bildungssystem wird für alle Kinder und Jugendlichen gleiche Bildungschancen ermöglichen, und nur ein gut ausgestattetes Bildungssystem wird die große Integrationsaufgabe leisten können.

Aber das bundesdeutsche Bildungssystem ist nicht gut darauf vorbereitet. Im Antrag sind fast alle Fakten benannt, und wir unterstützen auch die allermeisten Forderungen. Weitere finden Sie in unserem Antrag „Gleicher Zugang zur Bildung auch für Geflüchtete“ vom September des vergangenen Jahres. Davon ist noch nichts überholt. Zum Beispiel haben wir darin etwas ausführlicher die Forderung erhoben, die interkulturelle Bildung als Bestandteil in die Lehrerbildung aufzunehmen. Des Weiteren haben wir eine stärkere Integration des Faches Deutsch als Zweitsprache gefordert.

(Beifall bei der LINKEN)

Etwas kritisch sehen wir die Hoffnung auf Institutionen wie Jugendberufsagenturen. Da sind wir skeptisch, zumal wenn sie nicht anders funktionieren als Jobcenter für Jugendliche.

Auf einen Punkt möchte noch etwas umfassender eingehen. Die Grünen fordern in ihrem Antrag die gesetzliche Verankerung eines Rechtsanspruchs auf einen Ganztagsplatz in Kitas oder Tagespflege. Diese Forderung teilen wir, und das seit Jahren. Wir wissen, wie schlecht es um Ganztagsplätze im Bereich der Kinderbetreuung bestellt ist, und zwar bundesweit und am allermeisten im Westen.

Ich erinnere mich an die Topmeldung der Bundesregierung zu Beginn dieses Jahres: Bundesprogramm „KitaPlus“. Ich finde, es ist das falsche Signal. Möglicherweise wird es manchen Eltern und Familien als eine Lösung erscheinen, dass nun Betreuung in Randzeiten, Wochenendbetreuung und notfalls auch eine 24-Stunden-Betreuung in Kitas möglich sind. Aber können Sie sich ernsthaft vorstellen, Ihr Kind zum Schlafen in die Kita zu bringen? Ich nicht!

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Also, ich habe in der Kita immer geschlafen!)

Wieso eigentlich soll sich der Lebensrhythmus der Kinder an den Arbeitszeiten der Eltern orientieren? Eine kinderfreundliche Gesellschaft würde das genau andersherum machen. Deshalb hätte ich es gut gefunden, wenn Sie statt dieses Programmes einen Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung im Gesetz verankert hätten – diese Möglichkeit besteht –, wie es die Länder Sachsen-Anhalt und Thüringen getan haben. Dort gibt es einen Anspruch auf zumindest bis zu zehn Stunden; in anderen Ländern gibt es das nicht. Dies wäre das richtige Signal gewesen, um die Randbetreuungszeiten besser abzudecken und damit auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern. Das ist der Weg, den wir gehen müssen. Man sollte seine Kinder nicht dann abgegeben müssen, wenn man gerade im Schichtdienst ist.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Was sollen denn die machen, die im Schichtdienst arbeiten?)

– Hören Sie bis zum Ende zu! – Des Weiteren muss man einen Rechtsanspruch verankern, wonach Eltern, die Kinder in einem gewissen Alter erziehen, das Recht haben, ihre Arbeitszeit entsprechend zu gestalten. Damit könnten Sie die allermeisten Fälle tatsächlich lösen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Aber welche? Da muss man auch konkret werden! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Was ist mit Krankenhäusern? – Weiterer Zuruf von der SPD: Polizei?)

– In einigen wenigen Fällen geht das nicht. Da findet man dann andere Lösungen. – Mit dem, was Sie jetzt machen, senden Sie das Signal aus: Wir sorgen dafür, dass Eltern verfügbar sind, wann immer das Unternehmen sie benötigt, und die Kinder entsprechend betreut werden. – Das halten wir für grundsätzlich falsch.

Ich glaube, dass wir an dieser Stelle noch viel zu diskutieren haben. Gerade an diesem Punkt wird deutlich, dass es noch nicht im Bewusstsein ist, dass der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ein Rechtsanspruch auf frühkindliche Bildung ist und nicht auf die Aufsicht in Abwesenheit der Eltern.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Karamba Diaby von der SPD-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6483682
Wahlperiode 18
Sitzung 153
Tagesordnungspunkt Bildungsgerechtigkeit
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