17.02.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 154 / Tagesordnungspunkt 1

Gerda HasselfeldtCDU/CSU - Regierungserklärung zum Europäischen Rat am 18./19. Februar 2016 in Brüssel

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa steht in diesen Zeiten zweifellos vor den größten Bewährungsproben überhaupt. Zum einen steht die Entscheidung der Briten über ihren Verbleib in der Europäischen Union an. Zum Zweiten gibt es immer noch die Problematik der Staatsschuldenkrise. Die Problematik der Verschuldung in vielen europäischen Ländern ist nicht gelöst. Zum Dritten haben wir in den vergangenen Monaten erkennen müssen, dass der islamistische Terror vor Europa nicht haltmacht. Hunderttausende von Menschen fliehen aus Krisen- und Kriegsgebieten und machen sich auf den Weg nach Europa. – Diese Probleme betreffen uns alle in Europa, und sie können nicht durch nationale Entscheidungen und Maßnahmen allein gelöst werden. Vielmehr bedarf es einer Lösung auf europäischer und internationaler Ebene. Das muss uns allen klar sein.

Zum Referendum in Großbritannien, zu den Vorschlägen der Briten zum Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union: Wir haben in der CSU-Landesgruppe den britischen Premierminister David Cameron zu Gast gehabt und uns ausgiebig mit dessen Vorschlägen befasst. Auch wenn man nicht alles akzeptieren kann, muss man sagen: Die wesentlichen Punkte gehen in die richtige Richtung. Sie sind nicht nur geeignet, dafür zu sorgen, dass die Briten einem Verbleib in Europa, der notwendig ist, zustimmen können, sondern sie gehen auch in die richtige Richtung, wenn es darum geht, Europa positiv weiterzuentwickeln; und auch das ist notwendig.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist richtig, auf mehr Wettbewerbsfähigkeit zu setzen, es ist richtig, gegen Bürokratie in Europa anzugehen, es ist richtig, den nationalen Parlamenten mehr Gewicht zu geben, und es ist richtig, dem Sozialmissbrauch in Europa die Stirn zu bieten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Seitens der CSU-Landesgruppe haben wir schon vor zwei Jahren konkrete Vorschläge dazu gemacht. Ich bin sehr dankbar dafür, dass jetzt überlegt wird, die Höhe des Kindergeldes an die Lebenshaltungskosten in den Ländern anzupassen, in denen die Kinder tatsächlich leben. Das ist meines Erachtens der richtige Ansatz.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD])

Bei diesem Gipfel geht es zum Zweiten um das Thema, das uns seit Monaten in Europa, aber gerade auch bei uns im Land, intensiv beschäftigt, nämlich um die Bewältigung der Flüchtlingskrise. Wir haben in Europa in den letzten Monaten bei diesem Thema immer wieder Hoffnung gehabt. Wir haben Versprechungen gehört, aber auch so manche Enttäuschung erlebt. Die nationalen Interessen gewinnen immer stärker an Gewicht, und es wird immer schwieriger, in Europa Kompromisse zu finden. Für niemanden, der dort Verantwortung trägt und Verhandlungen zu führen hat, ist diese Aufgabe leicht. Dabei ist bei diesem Thema europäische Solidarität in ganz besonderer Weise gefragt, weil kein Nationalstaat diese Probleme allein bewältigen kann.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD])

Deshalb müssen wir hier ganz genau überlegen: Was können wir tun, und was müssen wir tun? Dabei geht es zum einen um die Verbesserung der Lebensverhältnisse in den Krisengebieten und auch in den Flüchtlingslagern. Ich erkenne das Engagement des Außenministers in der Syrien-Problematik ausdrücklich an und danke dafür.

(Beifall des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD])

Ich erkenne auch das Engagement unseres Entwicklungshilfeministers für eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen in den Krisengebieten an, und ich erkenne auch ausdrücklich die Bemühungen der Verteidigungsministerin in Sachen NATO-Mission in der östlichen Ägäis in den letzten Tagen an.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD])

Das sind die richtigen Ansätze. Dazu gehört auch das Ergebnis der Geberkonferenz in London. Ich danke der Bundeskanzlerin und der gesamten Bundesregierung, insbesondere dem Finanzminister und dem Entwicklungshilfeminister, dafür, dass die Weichen von Deutschland aus gestellt worden sind und dass bei dieser Geberkonferenz das beste Ergebnis erzielt worden ist, das mit Blick auf UN-Hilfswerke je erzielt worden ist. Das ist der richtige Ansatz.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Zum anderen geht es aber auch darum, die Außengrenzen der Europäischen Union zu sichern. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die Freizügigkeit in der Europäischen Union nur dann gesichert und gewährleistet werden kann, wenn es uns tatsächlich gelingt, die Außengrenzen der Europäischen Union effektiv zu sichern.

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das stimmt!)

Nur dann wird dies gelingen. Wenn dies nicht gelingt, werden wir immer wieder zu der Diskussion über die Sicherung nationaler Grenzen innerhalb Europas zurückkommen. Deshalb hat dies oberste Priorität.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Festung Europa!)

Was können wir dazu tun?

Zum Ersten gehört die Stärkung von Frontex dazu. Es gibt einen Vorschlag der Kommission. Bei einem Vorschlag darf es aber nicht bleiben, sondern er muss auch realisiert werden.

Zum Zweiten gehören die Verhandlungen mit der Türkei dazu. Ich begrüße es – ich finde das auch zwingend notwendig –, dass mit der Türkei gesprochen und verhandelt wird. Erste Ergebnisse liegen auf dem Tisch. Es geht darum, dass die Flüchtlinge in der Türkei Arbeitsmöglichkeiten haben; es geht um die Rücknahme jener Menschen, die aus Drittstaaten wie der Türkei zu uns kommen, also darum, dass die Türkei diese Menschen zurücknimmt; es geht aber auch um die Visapflicht in Bezug auf die Herkunftsstaaten, um nur einige Punkte zu nennen. Die Verhandlungen dazu laufen. Ich wünsche den Verhandlungsführern dabei viel Erfolg. Wir wissen, dass dieses Problem ohne die Türkei nicht zu lösen ist. Wir wissen aber auch – das sage ich für die CSU-Landesgruppe ganz dezidiert –, dass dies nicht mit der Frage eines möglichen Beitritts der Türkei zur Europäischen Union zusammenhängen darf; das kann nicht am Ende stehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Daneben sind aber auch nationale Maßnahmen notwendig. Wir haben eine ganze Menge auf den Weg gebracht: das Asylpaket I und jetzt auch das Asylpaket II – wir werden es in dieser Woche in erster Lesung beraten, und nächste Woche steht sein Abschluss bevor – mit Maßnahmen, die dazu dienen können, die Flüchtlingszahlen zu begrenzen. Das ist zwingend notwendig; denn die Aufnahmekraft, die Integrationskraft unseres Landes ist an der Grenze angelangt. Deshalb sind im Übrigen auch die Bemühungen in Europa wichtig. Es geht darum, die Zahlen zu reduzieren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Als Ergänzung zu Asylpaket I und Asylpaket II muss ich aber auch sagen: Es reicht nicht, nur die Gesetze zu verabschieden, sondern die verabschiedeten Gesetze müssen auch angewandt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Da haben wir noch ein bisschen zu tun, insbesondere in den Bundesländern.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Vor allem die rot-grünen Länder!)

Es kann nicht angehen, dass wir Erleichterungen bei der Abschiebung beschließen und die Bundesländer, die dafür zuständig sind, diese Erleichterungen dann nicht annehmen und das, was beschlossen ist, nicht umsetzen, meine Damen und Herren.

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Wie die SPD in Thüringen mit den Linken zusammen!)

Das hat auch mit dem Thema Rechtsstaat zu tun.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ist es! Richtig!)

Es ist Ausfluss des Rechtsstaates, dass man sich so verhalten muss, wie es die Gesetze, die beschlossen wurden, vorsehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zu diesen nationalen Maßnahmen gehört auch die Änderung bei der Anerkennung im Hinblick auf sichere Herkunftsstaaten. Volker Kauder hat schon deutlich darauf hingewiesen, welche positiven Auswirkungen die entsprechende Änderung bezüglich der Westbalkan-Staaten hatte. Es nützt uns nichts, wenn das, was auf den Weg gebracht wurde, was von der Bundesregierung auch schon beschlossen wurde, nicht auch schnell umgesetzt wird. Wir könnten die Einstufung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsstaaten genauso zügig umsetzen, wie wir es beim Asylpaket II tun. Ich bedaure sehr, dass unser Koalitionspartner dazu nicht in der Lage war

(Lachen der Abg. Christine Lambrecht [SPD])

und dass die Grünen jetzt schon einen Preis dafür haben wollen.

(Christine Lambrecht [SPD]: Wir stehen da!)

Wenn es uns mit der Reduzierung der Flüchtlingszahlen ernst ist, dann müssen wir diese Änderung so schnell wie möglich umsetzen,

(Christine Lambrecht [SPD]: So schnell wie möglich!)

und wir dürfen sie nicht irgendwohin schieben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es wäre auch hilfreich – nicht nur für das Klima in der Koalition, sondern auch für die Sache –,

(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Das sagt ja genau die Richtige!)

wenn Äußerungen von Unionsministerpräsidenten, im Besonderen von dem aus Bayern, nicht falsch interpretiert

(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Christine Lambrecht [SPD]: Nein, da war nichts zu interpretieren! Das war schon eine klare Sprache!)

und die falschen Interpretationen dann auch noch in diesem Haus vom Koalitionspartner wiederholt würden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU – Christine Lambrecht [SPD]: Nein, nein! Das war eine klare Sprache!)

Das dient nicht der Lösung des Problems.

(Christine Lambrecht [SPD]: Der ist das Problem!)

Wir sollten alle Kraft daransetzen, die Probleme zu lösen; dazu sind wir da. Das Problem ist viel zu ernst, um sich an irgendwelchen Begriffen aufzuhängen.

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das ist viel zu ernst! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie ist denn Ihre Interpretation der Aussagen von Herrn Seehofer?)

Wir sollten ernsthaft an der Lösung der Probleme arbeiten. Das sind wir den Menschen in unserem Land schuldig.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie ist denn Ihre Interpretation seiner Aussagen? – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt gerade ein bisschen Erregung wegen der Zeit­überschreitung. Aber das wird bei den beiden nächsten Rednern der CDU/CSU-Fraktion angerechnet.

(Christine Lambrecht [SPD]: Abgezogen!)

Insofern können alle entspannt bleiben.

Nächster Redner ist der Kollege Manuel Sarrazin, Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6561865
Wahlperiode 18
Sitzung 154
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung zum Europäischen Rat am 18./19. Februar 2016 in Brüssel
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