Andreas NickCDU/CSU - Aktuelle Stunde zu der Verschärfung der kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast 500 000 Menschen haben seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien ihr Leben verloren. Jeder zehnte Syrer ist im Krieg entweder getötet oder verletzt worden. Mehr als 10 Millionen Menschen, über die Hälfte der ursprünglichen Bevölkerung, sind auf der Flucht. Der Machthaber Assad führt, unterstützt von Russland, dem Iran und schiitischen Milizen, einen Krieg gegen das eigene Volk. Die anhaltenden Bombardements der Zivilbevölkerung durch das Assad-Regime und Russland schaffen tagtäglich unendliches Leid für Zehntausende von Menschen. Mit 50 getöteten Zivilsten in Schulen und Krankenhäusern, auch solchen von Médecins sans Frontières, hat der Bürgerkrieg in Syrien einen weiteren traurigen Tiefpunkt erfahren; und das kann durchaus als Kriegsverbrechen bezeichnet werden.
Wir sind entsetzt über die weitere Verschärfung der humanitären Katastrophe im Land. Neben dem Verlust unzähliger Menschenleben schmerzt auch das Ausmaß der Zerstörung. Aleppo, einst eine blühende Metropole, deren Altstadt mit dem Basar zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörte, wurde in eine Trümmerlandschaft verwandelt. Jetzt werden Wohnviertel komplett zerstört. Der fast 2 000 Jahre alten christlichen Gemeinde – 15 bis 20 Prozent der Einwohner in Aleppo waren Christen, überwiegend Aramäer und Armenier – droht die Auslöschung.
Aleppo ist noch mehr zum Brennpunkt des Krieges in Syrien geworden. Die syrische Opposition in der Stadt wird von allen Seiten attackiert: von Assad im Süden, von den kurdischen YPG-Milizen im Westen, vom „Islamischen Staat“ im Osten und von Russland aus der Luft. Sollten die Regierungstruppen und ihre Verbündeten Aleppo vollständig einkreisen und auch den letzten Fluchtweg abschneiden, könnte die Nahrungsmittelversorgung für fast 300 000 Menschen in der Stadt endgültig zusammenbrechen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies zielt auch auf die Türkei und auf uns in Europa. Denn wie der Journalist Jan Fleischhauer in den letzten Tagen festgestellt hat:
Wer die Menschen in Syrien erst aus ihren Häusern bombt, damit sie sich nach Norden aufmachen, und dann dort die rechtsradikalen Kräfte unterstützt, die gegen eine Aufnahme Stimmung machen, ist jedenfalls kein Freund Europas ...
Wir unterstützen die Forderung der Bundeskanzlerin nach einer Flugverbotszone über Syrien, um den Menschen zumindest einen sicheren Zufluchtsort zu bieten. Auch die Türkei begrüßt den Vorschlag; sie fordert seit langem eine internationale Schutzzone im Norden Syriens.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau das ist nicht richtig!)
Denn die Türkei ist unmittelbar vom syrischen Bürgerkrieg in ihrer Nachbarschaft betroffen. Das Land hat in den vergangenen Jahren über 2,5 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen.
(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Zum Großteil selbst produziert!)
Momentan warten über 30 000 Menschen an der Grenze, die vor russischen Bomben geflohen sind. Eine friedliche Beendigung des Bürgerkriegs in Syrien und ein Ende der Kampfhandlungen in Aleppo liegen im ureigenen Sicherheitsinteresse der Türkei.
Natürlich würden wir uns auch von der Türkei bei aller nachvollziehbaren Betroffenheit ein deutlich höheres Maß an militärischer Zurückhaltung wünschen. Es wäre sicherlich klug, nicht auf jede Provokation entsprechend zu reagieren. Aber, um es noch einmal deutlich zu sagen: Nicht die militärischen Reaktionen der Türkei haben die Auseinandersetzungen um Syrien verschärft, sondern die Bombardements Tausender Zivilisten durch syrische Machthaber und ihre Schutzmächte.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die bombardieren auch! – Zurufe von der LINKEN)
Wir dürfen auch nicht übersehen, dass die Türkei als unser NATO-Partner offenkundiges Ziel einer russischen Destabilisierungsstrategie geworden ist.
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Also die Türkei als Opfer?)
Das gilt für die regelmäßigen Verletzungen des türkischen Luftraums, aber auch für die Unterstützung der PYD.
(Zuruf von der LINKEN: Verschwörungstheoretiker!)
Auf der Münchener Sicherheitskonferenz hat Ministerpräsident Medwedew beklagt, wirtschaftliche Sanktionen seien eine willkürliche Verletzung internationalen Rechts. Gilt das dann nicht auch für die russischen Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei?
Ein weiterer Schritt der russischen Provokationsstrategie gegenüber der Türkei wird ja derzeit in der Duma vorbereitet. Abgeordnete wollen den bald 100 Jahre alten Vertrag von Kars, der die Grenzen zwischen der Türkei, Armenien und Georgien regelt, für nichtig erklären. Somit wird die territoriale Integrität der Türkei auch an einer weiteren Stelle infrage gestellt – nicht nur im Süden und Osten, sondern auch im Norden des Landes.
Mit der heutigen Themenstellung wird von der Linken ja erneut versucht, den Eindruck zu erwecken, als sei die Türkei für die Eskalation der militärischen Lage verantwortlich.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ist sie auch!)
Auch wenn Sie hier mittlerweile fast im Wochenrhythmus die entsprechende parlamentarische Begleitmusik liefern: Es wird Ihnen nicht gelingen, den Deutschen Bundestag oder die deutsche Öffentlichkeit über die wahren Verantwortlichkeiten der Tragödie in Syrien zu täuschen.
(Niema Movassat [DIE LINKE]: Sie tun so, als ob die Türkei das wahre Opfer ist und dort nichts tut!)
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der LINKEN: Das war echt eine schlechte Rede, Herr Nick!)
Als nächste Rednerin hat Sevim Dağdelen von der Fraktion Die Linke das Wort.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6562535 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 154 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zu der Verschärfung der kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien |