Frank SchwabeSPD - Aktuelle Stunde zu der Verschärfung der kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon ein paarmal angesprochen worden, aber auch ich will es noch einmal sagen. Auf der einen Seite bin ich froh darüber, dass wir miteinander über ein wichtiges Thema reden. Auf der anderen Seite legen Sie den Fokus nur auf eine in der Tat durchaus problematische Entwicklung und verengen damit das Problem. Ich finde schon, dass man anlässlich des Bombardements Russlands und der dramatischen Folgen, die das bewirkt, auch einen anderen Titel für die Aktuelle Stunde hätte wählen können.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es ist gut, dass über dieses Thema geredet wird. Aber wenn Sie von schwerwiegenden Situationen reden, dann muss man zunächst einmal das erwähnen, was Russland in Aleppo veranstaltet.
Ein Problem der außenpolitischen, entwicklungspolitischen und menschenrechtspolitischen Debatte weltweit, aber auch generell hier im Hause – das will ich als Menschenrechtspolitiker sagen – ist das Rosinenherauspicken, auch wenn Sie gerade Russland für die Bombenangriffe kritisiert haben. Das passiert leider allzu oft. So werden bestimmte Dinge in der internationalen Auseinandersetzung zumindest nicht hinreichend beleuchtet.
Der Konflikt in Syrien ist hochkomplex. Ich weiß gar nicht, wer von sich behaupten kann, das Ganze einigermaßen umfassend zu verstehen. Aber wir sehen das menschliche Leid. Einige von uns – ich muss einmal in die Reihen gucken – kommen gerade aus einer Anhörung des Menschenrechtsausschusses mit 14 Organisationen zur Situation der humanitären Hilfe, in der wir uns noch einmal haben schildern lassen, wie dramatisch die Situation eigentlich ist: Es gibt 250 000 bis 500 000 Tote – da gibt es mittlerweile unterschiedliche Schätzungen – und knapp 2 Millionen Verletzte. Das heißt, über 10 Prozent der Bevölkerung Syriens sind entweder tot oder verletzt. Wir haben 13 bis 14 Millionen Vertriebene oder Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, davon 5 Millionen außerhalb und 7 Millionen innerhalb des Landes.
Frappierend finde ich – da wird noch einmal deutlich, wie dramatisch die Lage ist – die Entwicklung der Lebenserwartung. In Syrien lag die Lebenserwartung im Jahr 2010 bei 70 Jahren, im letzten Jahr lag sie bei 55 Jahren. Daran sieht man, was in fünf Jahren Dramatisches passiert ist. Auch wenn wir hier nicht die Debatte von heute Mittag führen, müssen wir doch sehen, dass das die Realität ist, vor der wir unsere europäische und deutsche Flüchtlingspolitik diskutieren müssen. Das ist wirklich eine Bewährungsprobe für unser Wertekorsett, wahrscheinlich die größte Bewährungsprobe seit dem Zweiten Weltkrieg.
Das Leid – das muss gesagt werden – wird in der Hauptsache durch den syrischen Machthaber Assad und aktuell leider durch die massiven russischen Luftangriffe verursacht. Es ist gut, dass die russischen Luftangriffe – so habe ich das verstanden – über die Fraktionsgrenzen hinweg im Deutschen Bundestag kritisiert werden.
Russland muss sich an das humanitäre Völkerrecht halten, und jeder Versuch, zivile oder nichtmilitärische Einrichtungen zu zerstören oder Vertreibungen durch Aushungern oder durch die Hinnahme von Aushungern zu organisieren, ist unerträglich und muss international gebrandmarkt werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Bezüglich der Türkei gibt es, glaube ich – das wird unterschiedlich akzentuiert –, eine relativ hohe Übereinstimmung hier in diesem Haus, nämlich dass die Türkei eine durchaus ambivalente Rolle spielt. Auf der einen Seite würdigen wir die große Aufnahmebereitschaft und danken für die Dialogbereitschaft, die sicherlich ein zentrales Momentum auch in der innenpolitischen und der europapolitischen Debatte ist, auf der anderen Seite gibt es problematische Entwicklungen in der Türkei im Bereich der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte. Das steht ein bisschen im Schatten der Syrien-Krise. Es gibt auch eine massive Verschärfung des Konflikts mit Kurden in der Türkei, aber auch mit Kurden in Syrien und anderen Ländern.
Es gibt noch etwas, was mir wirklich Sorge bereitet. Ich habe vor einem Jahr gedacht, dass mir eigentlich am meisten Sorge bereitet, dass Erdogan und Putin ähnliche Typen sind. Ich dachte: Menschenskinder, wenn die zusammen agieren – man sieht, dass sie im Inland sehr ähnlich gegen Menschenrechtsorganisationen vorgehen –, dann ist das das größte Problem. Ich habe mittlerweile den Eindruck, dass es viel problematischer ist, dass diese beiden Personen und ihre Länder gegeneinander agieren und dass eine Auseinandersetzung bevorstehen könnte. Ich mag mir nicht ausmalen, welche Auswirkungen das haben könnte.
Deswegen sind wir uns einig darin, dass wir verhindern müssen, dass es zu einer solchen Auseinandersetzung kommt, und dass wir das bei all den politischen Dingen berücksichtigen müssen, die wir gut und richtig finden. Ich halte Schutzzonen zum Beispiel für richtig. Ich finde es aber falsch, wenn wir sie als strategisches Mittel einsetzen würden und ihre Einrichtung zu weiteren Konflikten führen würde.
Zum Schluss will ich noch etwas sagen. Wir sollten gemeinsam mäßigend auf die syrischen Kurden einwirken. Es macht keinen Sinn, wenn im Zuge des aktuellen Konflikts versucht wird, dort strategische Ziele zu erreichen. Da gibt es sicherlich einen Einfluss, den der Westen hat, den die Vereinigten Staaten haben, den aber auch die Linke hat. Vielleicht sollte man den syrischen Kurden einmal sagen: Überlegt noch einmal, ob ihr in dieser Situation den Konflikt noch weiter verschärfen wollt.
Ich glaube, dass der Außenminister alles tut, um in Gesprächen und Verhandlungen zu einer friedlichen Lösung zu kommen. Es wäre gut, wenn das Haus ihn in aller Breite dabei unterstützt.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Als nächster Redner hat Roderich Kiesewetter von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6562637 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 154 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zu der Verschärfung der kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien |