Roderich KiesewetterCDU/CSU - Aktuelle Stunde zu der Verschärfung der kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir die Debatte der letzten Stunde betrachten, so können wir eine Zweiteilung sehen: auf der einen Seite eine erhebliche emotionale Betroffenheit wegen toter Kinder, zerstörter Krankenhäuser und Millionen Menschen auf der Flucht, auf der anderen Seite bleierne Nüchternheit, großes Entsetzen über die Art und Weise, wie dort vor Ort Machtpolitik ausgestaltet wird.
Wir Deutsche kommentieren nicht nur, sondern wir versuchen, durch vielfältige diplomatische Vermittlungen zu helfen, nicht nur in den Prozessen in Wien oder in Genf, sondern auch, gerade in der letzten Woche, was die Flüchtlingsrückführung oder auch die Flüchtlingsverteilung mit Blick auf Griechenland und die Türkei angeht.
All dies zusammen darf den Blick nicht verstellen, dass wir auch vor Herausforderungen stehen, was die Türkei angeht. Es geht nicht nur um nicht eingelöste innenpolitische Versprechen in der Türkei, es geht auch nicht nur um die Sorge der Türken vor einer Destabilisierung – ich erinnere an die fast bürgerkriegsähnlichen Zustände im Südosten der Türkei –, mir macht auch das Verhalten der Türkei mit Blick auf Libyen Sorge. Ich würde mir da eine konstruktivere Rolle wünschen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dennoch darf uns das nicht den Blick darauf verstellen, dass sich die Türkei Sorgen um den Bestand ihres eigenen Landes macht, der auch durch verschiedene kurdische Gruppen, durch kurdischen Terrorismus gefährdet ist. Ausnehmen möchte ich davon die kurdische Regionalregierung im Nordirak. Aber die Gemengelage ist so schwierig. Sie ist nun einmal so, dass sie uns zur Positionierung zwingt. Auf der anderen Seite können wir es nicht zulassen, dass Russland die Türkei und auch uns permanent provoziert und ein Vakuum in Syrien und im Irak ausfüllt, das wir, der Westen, zu füllen nicht bereit sind. Auch das dürfen wir nicht vergessen.
Ich glaube, dass es ganz entscheidend ist, dass wir die Türkei in bestimmten Bereichen stärken. Die Türkei ist seit 1952 NATO-Mitglied und damit länger als Deutschland. Wir sollten die Türkei dort unterstützen, wo sie bei der Unterstützung der kurdischen Regionalregierung im Norden Iraks hilfreich ist, und auch dort, wo sie eine große Last für Europa übernimmt. Die Türkei mit einem Drittel der Wirtschaftskraft Deutschlands nimmt doppelt so viele Flüchtlinge auf. Das verdient nicht nur Anerkennung, sondern auch langjährige Unterstützung, nicht nur durch Deutschland, sondern auch durch die Europäische Union.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Der Blick in die Region zeigt aber auch, dass durch das Vorgehen der USA seinerzeit 2003 im Irak und die Folgewirkungen, die wir bis heute zu tragen haben und an denen die USA – das darf ich als überzeugter Transatlantiker sagen – leiden, ein Vakuum entstanden ist, das nunmehr durch eine wesentlich agilere saudische Vorgehensweise ausgefüllt wird, die wir noch nicht richtig einordnen können, aber die wir sehr deutlich als einen Machtfaktor wahrnehmen. Hinzu kommt, dass der Iran im Hintergrund, im Schatten Russlands agiert und die schiitischen Milizen unterstützt und auch durch die entfrorenen Gelder aufgrund der aufgehobenen Sanktionen mehr Mittel zur Unterstützung von Konflikten und Aufständen in der Nachbarschaft zur Verfügung hat.
Es geht natürlich auch um die Rolle, die wir als Europäische Union wahrnehmen müssen. Dazu muss ich eindeutig sagen: Die Bemühungen der Bundesrepublik durch den Außenminister, durch die Verteidigungsministerin und vor allem durch die Bundeskanzlerin in den letzten Wochen waren äußerst konstruktiv. Wenn wir an die Unterstützung der Peschmerga denken, wenn wir an die Einbeziehung von AWACS denken, wenn wir an die Verhandlungen zwischen Griechenland und der Türkei denken und wenn wir an die letzten Verhandlungen in München mit dem Versuch denken, möglichst rasch einen Waffenstillstand zustande zu bringen, dann wird deutlich: Uns Deutschen liegt daran, eine diplomatische Lösung zu erreichen.
Aber in der Europäischen Union streiten wir über die interne Verteilung einer relativ geringen Anzahl von Flüchtlingen – wir haben heute im Auswärtigen Ausschuss einen interessanten Austausch mit den Kollegen der französischen Nationalversammlung –; wir streiten um kleine Zahlen, statt dass wir uns als Europäer um diese Region intensiver kümmern. Wir dürfen sie nicht Russland überlassen. Wir dürfen sie auch nicht dem Iran überlassen oder dem Machtkampf zwischen Sunniten und Schiiten. Es ist ein ganz wichtiger Punkt, dass wir uns dort humanitär, politisch und, wenn es sein muss, in gewisser Weise auch militärisch engagieren.
Ich befürchte, dass nur einige wenige Länder der Europäischen Union dazu bereit sind, während die anderen durch innenpolitische Probleme gebunden sind, und dass wir mittlerweile vor der Herausforderung stehen, ein Kind europäischer Einsatzbereitschaft zu zeugen, auch wenn es wahrscheinlich nie geboren wird, weil der fehlende europäische Zusammenhalt dem entgegensteht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns nicht nur auf die Türkei schauen, sondern lassen Sie uns auch schauen, wie wir uns als deutsche Parlamentarier im Rahmen einer europäisch verantwortlichen Sicherheitspolitik stärker als Europäer in dieser Region einbringen und dies nicht Russland, dem Iran oder einer isolierten Türkei überlassen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Als letzter Redner in der Debatte hat Alexander Radwan von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6562706 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 154 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zu der Verschärfung der kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien |