Anton HofreiterDIE GRÜNEN - Maßnahmen gegen Rassismus, Hetze und Gewalt
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland hat ein Problem; es heißt Rassismus. Rechtspopulistische, rassistische und rechtsextreme Kräfte verbreiten Hass und Hetze – auf der Straße, im Internet, im politischen Diskurs. Wir erleben eine Verrohung, die uns alle hier tief besorgt machen muss.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Gewaltbereitschaft hat eine Dimension erreicht, die in Teilen noch schlimmer ist als in den 90er-Jahren. Heidenau, Tröglitz, Freital sind in den vergangenen Jahren zum Gesicht des hässlichen Deutschen geworden. Im niedersächsischen Salzhemmendorf wurde nachts ein Brandsatz in eine Flüchtlingsunterkunft geworfen. Nur durch Zufall entgingen die im Haus schlafenden Kinder dem Tod. Im brandenburgischen Bad Belzig haben Jugendliche eine hochschwangere Asylbewerberin aus Somalia zusammengeschlagen. – Dies sind nur wenige Beispiele, die das Ausmaß der rechten Gewalt zeigen.
Aber es ist nicht nur die Häufigkeit, die mich erschreckt. Die neue Dimension besteht darin, dass die Gewaltbereitschaft bis tief in die Mitte der Gesellschaft vordringt. Biedermänner werden zu Brandstiftern. Ich bin mir sicher, ich spreche im Namen aller, wenn ich sage: Dagegen müssen wir mit aller Macht vorgehen.
(Beifall im ganzen Hause)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, 2015 gab es erschreckenderweise 14 000 rechtsextrem motivierte Straftaten, darunter 1 600 Straftaten im Zusammenhang mit der Unterbringung Geflüchteter, jeden Tag vier Anschläge auf Orte, an denen Menschen sich sicher fühlen sollen, Menschen, die bei uns Schutz suchen vor Gewalt, vor Folter, vor Bomben und vor Krieg. Ein Staat versagt, wenn er seine Schutzverantwortung für alle Menschen im Land nicht ernst nimmt.
Rechte Gewalt ist in unserem Land tragischerweise wieder etwas Alltägliches geworden.
(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das stimmt nicht! Alltäglich ist das nicht!)
Wir sind es den Menschen und uns selbst schuldig, diese erschreckende Normalität nicht einen Tag länger zu akzeptieren. Zu oft bleiben die Täter unbehelligt. Wie kann es angehen, dass sich die Polizei 20 Jahre nach Rostock-Lichtenhagen, nach Mölln und Solingen erneut so schwer damit tut, rechte Straftaten zu erkennen? Im schleswig-holsteinischen Escheburg etwa zündete ein Finanzbeamter eine geplante Asylunterkunft in der Nachbarschaft an. Das BKA will keine rechte Tatmotivation erkennen, selbst dann nicht, nachdem das zuständige Gericht den rassistischen Hintergrund eindeutig festgestellt hat. Oder nehmen wir den Fall Tröglitz. Dort tritt ein Bürgermeister aufgrund von Gewalt des rechten Mobs zurück. Kurz danach brennt die geplante Unterkunft für Geflüchtete. Nach Monaten wird ein NPD-Sympathisant als Täter festgenommen; aber auch in diesem Fall sieht das BKA keinen Grund, die Tat als vermutlich rechtsmotiviert einzustufen. Wer nicht imstande ist, wer nicht willens ist, rechte Straftaten zu erkennen, der gefährdet die innere Sicherheit unseres Landes.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, rechte Gewalt entsteht nicht aus dem Nichts. Sie kündigt sich in einer Radikalisierung der Sprache wie bei Pegida und AfD an und bleibt, tragischerweise auch auf der Facebookseite der CSU, zu oft unwidersprochen. Wir befinden uns in einer Abwärtsspirale, in der die unterste Schublade noch unterboten wird. Wir machen es uns zu leicht, wenn wir die Taten zu Taten einiger Verirrter oder Unbelehrbarer erklären. Pegida, AfD und Co. bereiten den Nährboden für rassistische Hetze und für das vergiftete gesellschaftliche Klima. Sie schüren Ängste, und sie spielen mit rassistischen Ressentiments. So befeuert die AfD die absurde Phantasie eines kulturell oder ethnisch homogenen deutschen Volkes, und CSU-Söder fürchtet eine massive Verringerung von Volksvermögen. Wir erleben hier einen massiven Missbrauch rechter Sprüche durch die CSU. Dabei ist die Obergrenze für destruktives CSU-Geschwätz doch längst erreicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Im Wahlprogramm der AfD in Baden-Württemberg wird vom Ende der deutschen und europäischen Kultur schwadroniert, das durch die Menschen, die vor Krieg und Verfolgung hierher fliehen, angeblich besiegelt werden soll. Die AfD führt sich als geistiger Brandstifter auf und treibt damit die Verrohung des politischen Diskurses ganz entscheidend voran. Wer so hetzt wie die AfD, trägt Mitschuld daran, wenn Molotowcocktails geworfen werden und Unterkünfte brennen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist unsere Aufgabe, die Aufgabe aller Demokratinnen und Demokraten, solchen Äußerungen entgegenzutreten, egal ob sie aus der eigenen Familie, aus dem Freundeskreis oder aus der eigenen Partei kommen. Sie machen mich zornig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wir müssen der Spaltung unserer demokratischen Gesellschaft entgegentreten, gemeinsam und entschlossen. Rassismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit haben tragischerweise seit Jahrzehnten einen festen Platz in der Mitte unserer Gesellschaft. Ja, Deutschland ist leicht entflammbar. Rassistische Angstmache und krude Ideologien der Ungleichheit von Menschen dürfen keine Akzeptanz erfahren. Aber wenn Horst Seehofer auf niedrigstem Niveau von einer „Herrschaft des Unrechts“ schwadroniert oder ein sinnloses Ultimatum nach dem anderen stellt, statt ernsthaft nach Lösungen zu suchen, vergiftet er das politische Klima und trägt mit zum Vertrauensverlust in unserer Demokratie bei.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wer von Flüchtlingsströmen redet, als würde es sich dabei um eine Naturkatastrophe handeln, wer Menschen zu Naturkatastrophen macht, der entmenschlicht sie und nimmt ihnen die Würde. Es sind aber Männer, Frauen und Kinder, die vor Krieg und Verfolgung zu uns fliehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder von uns und jeder, der sich öffentlich äußert, trägt Verantwortung dafür, wie wir über die Frauen, Männer und Kinder, die zu uns kommen, sprechen. Wir können uns in der Sache streiten, heftig und mit Leidenschaft. Aber lassen Sie uns bitte gemeinsam dafür sorgen, dass wir zu einer Debatte der Vernunft und der Menschlichkeit zurückkehren, anstatt die schrillen Töne der Hetze und der Hysterie anzustimmen. Es ist die Aufgabe von Politik, den Menschen die Sorgen zu nehmen, anstatt Ängste zu schüren. Es ist die Aufgabe von Politik, zu streiten, Probleme zu identifizieren und dann die Probleme zu lösen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ja, Deutschland hat ein Problem; es heißt Rassismus. Es ist höchste Zeit, dass wir das erkennen und unmissverständlich für unsere demokratische und offene Gesellschaft kämpfen und einstehen. Die übergroße Mehrheit der Menschen in unserem Land erwartet von uns, dass wir davon sprechen, welch offene, bunte und lebenswerte Gesellschaft wir haben, und klar zeigen, dass wir diese offene und lebenswerte Gesellschaft verteidigen und sie weder im Internet noch auf der Straße noch im öffentlichen Diskurs den Hetzern, den Rassisten und den Rechtsradikalen überlassen.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Marian Wendt das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6565452 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 155 |
Tagesordnungspunkt | Maßnahmen gegen Rassismus, Hetze und Gewalt |