Philipp LengsfeldCDU/CSU - 25 Jahre Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag
Das werde ich ganz sicher nicht tun, lieber Kollege. Aber vielleicht habe ich ja noch den einen oder anderen überraschenden Punkt in meinen Ausführungen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wissenschaftliche Politikberatung ist ein essenzielles und absolut selbstverständliches Tool eines demokratischen Parlaments. Es gibt deshalb viele Beratungsgremien und Instrumente vor und neben der Arbeit des TAB; das ist hier schon erwähnt worden. Aber es gibt Besonderheiten der Konstruktion TAB, die dem Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag eine spezielle, eine sehr herausgehobene Position zuweisen.
(Beifall des Abg. René Röspel [SPD])
Ich will hier den einen oder anderen Punkt noch einmal vertiefen; viele Punkte sind ja schon angerissen worden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Besondere am TAB ist nicht, dass hier exzellente wissenschaftliche Gutachten zu wichtigen Themen erstellt werden; ein paar Themen sind ja schon genannt worden. Das ist selbstverständlich. Dies machen – wie schon erwähnt – andere auch. Vielmehr ist das Besondere, dass das TAB ein Instrument des Bundestages ist. Und ja – ich sage es einmal ganz deutlich –, das TAB ist abhängig vom Deutschen Bundestag. Wir geben die Haushaltsmittel. Die Diskussion über diese Mittel führen wir gerade. Aber das finde ich richtig und wichtig; denn selbst wenn man es nicht gerne offen ausspricht: Es gibt keine völlig unabhängige Forschung und Wissenschaft.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Nein, es kann keine völlig unabhängige Forschung und Wissenschaft geben; denn Forschung und Wissenschaft sind teuer und finanzieren sich nicht von selbst. Dies gilt natürlich auch für wissenschaftliche Politikberatung, die glücklicherweise nicht ganz so teuer ist.
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Uns aber mehr wert sein sollte!)
Die Zahlen sind schon genannt worden.
Ich sage es ganz deutlich: Ich bin froh, dass wir mit dem TAB bezahlte Wissenschaftler haben, die aber nicht von der Regierung oder von der heimischen Wirtschaft oder gar von fremden Regierungen oder ausländischen Firmen bezahlt werden, sondern die dem Deutschen Bundestag berichten und niemandem sonst. Der Kern guter wissenschaftlicher Beratung ist gerade nicht, dass man einen völlig unvoreingenommenen Berater findet, der einem dann ungefilterte Wahrheiten präsentiert; denn so einen völlig unvoreingenommenen Berater gibt es nicht, genauso wenig wie es die reine Wahrheit gibt, die man nur irgendwo ausbuddeln müsste. Der Trick ist vielmehr die richtige Anwendung des wissenschaftlichen Prinzips der Konkurrenz und der Überprüfbarkeit von Analysen und Empfehlungen. Dies funktioniert viel einfacher und viel besser, wenn man selber ein Instrument in der Hand hat und wenn klar im Titel genannt wird, wer der Auftraggeber ist. Beides ist beim TAB der Fall.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE])
Ich nehme einmal ein aktuelles Beispiel aus unserem TAB-Portfolio. Ich freue mich, dass es bis dato noch nicht erwähnt wurde; das hat mich eigentlich gewundert. Ich meine den Bericht zur Sinnhaftigkeit der Zeitumstellungen, wie wir sie in Europa und den USA – ich sage aus meiner Sicht: leider – seit vielen Jahrzehnten haben. Für mich persönlich ist das eine der fragwürdigsten polit-technokratischen Erfindungen des letzten Jahrhunderts. Der Deutsche Bundestag hat das TAB beauftragt, eine Bilanzierung der Sinnhaftigkeit dieser Zeitumstellungen zu erstellen. Der Bericht ist gerade in der Finalisierung. Ich bin sicher, dass er dieses Haus noch beschäftigen wird. Natürlich gab es ganz klar einen Unwillen zum Beispiel in der EU-Kommission oder in vielen Regierungen, sich mit dieser Frage zu beschäftigen. Man machte zwar die Zeitumstellungen, aber hinschauen wollte keiner mehr so genau. Aber wir, das deutsche Parlament, machen es jetzt und nehmen so unsere ureigenste Aufgabe wahr, nämlich Regierungshandeln zu kontrollieren und zu hinterfragen. Es kann ja auch sein, dass herauskommt, dass alles paletti ist. Das glaube ich aber eher nicht.
(Heiterkeit)
Die wissenschaftliche Politikberatung durch das TAB ist dafür ein großartiges Instrument, unser Instrument, und dieses sollten wir pflegen und stärken; das ist hier schon gesagt worden.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das TAB ist ein besonderes Instrument, und es hat auch besondere Arbeitsprinzipien. Auch die sind hier erwähnt worden, aber ich will sie noch einmal diskutieren, insbesondere das Konsensprinzip in der Berichterstatterrunde. Das ist sicherlich ein eher ungewöhnlicher Ansatz in der Demokratie, aber ich weiß die tiefere Weisheit des Konsensprinzips beim TAB mittlerweile sehr zu schätzen. Dazu muss man aber verstehen, was im Konsens beschlossen wird und was nicht.
Die Berichterstatter des TAB beschließen im Konsens den Arbeitsplan, die Abnahme eines Berichts, und wir schreiben gemeinsam ein Vorwort. Der wichtigste Punkt ist natürlich der Arbeitsplan, also die Themensetzung. Über die Abfrage bei den Fraktionen, Arbeitsgruppen und Ausschüssen werden Themenvorschläge gesammelt. Anschließend werden die Themen bewertet, verdichtet und in Diskussionen mit dem TAB durch die Berichterstatter in ein handhabbares Arbeitsprogramm gegossen. Dann wird es mit zwei Absegnungsdurchgängen so vom TAB umgesetzt. Alle Berichte des TAB sind vom Deutschen Bundestag gewollt.
Hätten wir das Konsensverfahren nicht und würde die Themensetzung zum Beispiel analog zur Redezeitverteilung erfolgen, dann würde die jeweilige Mehrheit dominieren und letztendlich jede Fraktion nur ihre eigenen Lieblingsthemen platzieren. Das Konsensprinzip durchbricht diesen Mechanismus zu einem großen Teil und erhöht so nach meinem Eindruck die Akzeptanz und Qualität für alle Berichte. Dies ist so wichtig, weil das TAB auch das Gütesiegel „Deutscher Bundestag“ trägt. Dies wird in der Öffentlichkeit durchaus stark wahrgenommen. Man denke nur daran, welche Wellen die deutlich kleineren Gutachten unseres Wissenschaftlichen Dienstes manchmal schlagen.
Andere Gremien der Politikberatung machen auch Gutachten, aber hier erfolgt die Themensetzung teilweise auf eigene Initiative. Das ist ein großer Unterschied. So entstehen auch Gutachten zu, zumindest aus meiner Sicht, eher abseitigen Themen. Ich nenne hier einmal als drastisches Beispiel die Stellungnahme des Ethikrats zur Aufweichung des Inzesttabus in Deutschland. Der große Unterschied in der Genese dieser Gutachten, der für die Bewertung ebenfalls eine gewisse Rolle spielt, wird in der Öffentlichkeit nicht immer so klar wahrgenommen.
Das Konsensprinzip der Berichterstatter gilt auch für die Abnahme der TAB-Berichte. Dies sehe ich als wichtiges Instrument der Qualitätssicherung. Es ist übrigens auch ein Grundprinzip wissenschaftlichen Arbeitens, zum Beispiel beim sogenannten Peer Review in Fachzeitschriften oder bei der Bewertung von Doktorarbeiten. Mehrere Reviewer reduzieren die Gefahr von Gefälligkeitsgutachten und Denkschablonen. Das Konsensprinzip funktioniert aber natürlich nur – auch das ist erwähnt worden – bei konstruktiver Zusammenarbeit. Deshalb möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich meinen Mitberichterstattern – die erste Hälfte dieser Debatte über das TAB ist ja praktisch eine Berichterstatterrunde –, dem Ausschusssekretariat und insbesondere der Vorsitzenden Patricia Lips danken.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Konsensprinzip endet aber bei der politischen Bewertung und Nutzung der TAB-Berichte. Auch diese Selbstverständlichkeit spreche ich noch einmal deutlich aus. Hier kann es kein Konsensprinzip geben. Es gibt auch keine einfachen Wahrheiten. Deshalb zeigt das TAB Handlungsoptionen auf und gibt nicht etwa einfache Handlungsrezepte vor, welche der Bundestag nur nachkochen muss.
Der Umgang mit diesem Wissen unterscheidet uns ja von autokratischen Herrschaften. Ich habe es hier schon einmal gesagt, wiederhole es aber: Die Aralsee-Katastrophe als direkte Folge megalomanischer Bewässerungs- und Kanalprojekte in Zentralasien zu sowjetrussischen Zeiten oder die vermutlich auch sehr dramatischen Folgen des Riesenprojekts Drei-Schluchten-Staudamm in China sind für mich Beispiele für politisch-technische Entscheidungen, wie sie in dieser Form in einer funktionierenden Demokratie nie fallen dürfen oder wo man zumindest sehr viel schneller gegensteuern würde.
Dies ist übrigens auch ein Grund – das sage ich jetzt einmal ein bisschen provokativ; Kollege Mutlu, eine kleine Provokation extra für dich –, warum wir in dieser Wahlperiode nach intensiven Diskussionen zum Beispiel ein Gutachten zu den Folgen des massiven Ausbaus von regenerativen Energiequellen in Auftrag gegeben haben.
Bei der Nutzung der Gutachten endet das Konsensprinzip; aber es startet die Arbeit für das ganze Haus. Denn natürlich geben wir das Geld für das TAB nicht als Weiterbildung aus. Ich weiß, dass es gerade in der letzten Legislatur auch Unzufriedenheit mit dem Konstrukt TAB gab. Es sind daraufhin jedoch wichtige Weichen gestellt worden. Wir haben jetzt flexiblere, vielfältigere und schnellere Instrumente.
Aber der Kernpunkt bleibt: Wir, der Deutsche Bundestag, müssen die Gutachten letztendlich auch nutzen – da erwähne ich jetzt einmal rein zufällig das Gutachten zur Zeitumstellung –; das ist das Prinzip wissenschaftlicher Politikberatung: Die Wissenschaftler analysieren die Situation und zeigen Optionen auf; handeln müssen wir aber selber.
In diesem Sinne gratuliere ich dem TAB und uns zu 25 Jahren gemeinsamer Arbeit.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Dr. Simone Raatz.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6565858 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 155 |
Tagesordnungspunkt | 25 Jahre Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag |