Michael Roth - EU-Jahresbericht über Menschenrechte und Demokratie
Guten Morgen, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Jahresbericht der Europäischen Union über Menschenrechte und Demokratie in der Welt sagt schon eine ganze Menge über das Selbstverständnis der EU aus. Wir verstehen uns eben nicht als ein reiner Binnenmarkt, sondern wir sind vor allem eine Wertegemeinschaft. Grundwerte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, kulturelle und religiöse Vielfalt sowie vor allem Minderheitenschutz müssen wir nicht nur bei uns in Europa vorleben, sondern wir setzen uns auch dafür ein, dass diese Werte weltweit Bestand haben.
Auch wenn der Bericht nicht mehr ganz druckfrisch ist, so ist er doch in vielen Teilen unvermindert aktuell. Dass Menschenrechte an vielen Orten dieser Welt missachtet, gebrochen, verletzt werden, ist leider auch in diesem Jahr, in diesen Stunden traurige Realität. Unser gemeinsames Engagement, liebe Kolleginnen und Kollegen, bleibt also weiterhin dringend geboten.
Deshalb setzen wir uns mit unseren europäischen Partnern auf vielfältige Art und Weise für die Menschenrechte ein. Wir tun dies bilateral in politischen Gesprächen, in Menschenrechtsdialogen und in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit vielen Nichtregierungsorganisationen in aller Welt. Wir tun dies aber auch in den multilateralen Gremien: in den Vereinten Nationen, im Europarat und – in diesem Jahr möchte ich das ganz besonders erwähnen – in der OSZE.
Wir nutzen bei unserer Menschenrechtspolitik den ganzen Instrumentenkasten: mal mit deutlichen, offenen Worten, beispielsweise in Resolutionen des Menschenrechtsrats, die Missstände klar benennen und notfalls auch Sanktionen nach sich ziehen, und in anderen Fällen suchen wir eher das direkte Gespräch hinter verschlossenen Türen. Wir gehen dabei stets so vor, wie es die besondere Lage erfordert und wie wir den Betroffenen am besten helfen können; denn unser oberster Leitsatz ist: Wir wollen denjenigen, die wir vor Menschenrechtsverletzungen schützen wollen, keinen Schaden zufügen.
Das Auswärtige Amt ist das Menschenrechtsministerium. Aber eines ist auch klar: Wir sind keine Nichtregierungsorganisation wie Amnesty International. Uns darf es nicht darum gehen, mit plakativen Kampagnen möglichst viel öffentliche Aufmerksamkeit zu erreichen; auch das ist wichtig. Opfern von Menschenrechtsverletzungen nachhaltig zu helfen, gelingt aber nur selten mit dem Lautsprecher, sondern eher im vertraulichen Gespräch. Dafür müssen wir auch mit den schwierigen Partnern reden: mit China, Russland, Iran, Saudi-Arabien und derzeit auch mit der Türkei. Beziehungen abbrechen, Reisen absagen, Belehrungen über die heimischen Medien erteilen, ja, das ist einfach. Aber wer glaubt, dass Außenpolitik so funktioniert, der irrt.
Wenn wir wirklich etwas bewirken wollen, wenn wir tatsächlich politische Prozesse anstoßen wollen, dann gelingt das nur, wenn wir miteinander reden. Das gemeinsame Auftreten und Handeln mit unseren Partnern und Freunden in der Europäischen Union und durch den Europäischen Auswärtigen Dienst ist sehr wichtig; denn nur, wenn wir geschlossen auftreten, können wir etwas erreichen und werden wir auch ernst genommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im vergangenen Jahr hatte unser Botschafter Rücker in Genf den Vorsitz im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen. Wir haben damit an sehr sichtbarer Stelle Verantwortung übernommen und in einem zunehmend polarisierten Umfeld unseren Ruf als Brückenbauer gefestigt. Einer unserer Schwerpunkte war dabei die engere Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Arbeit des Menschenrechtsrats. Ich weiß, dass das unsere Menschenrechtspolitiker und -politikerinnen hier in besonderer Weise umtreibt; denn weltweit werden zivilgesellschaftliches Engagement zunehmend eingeschränkt und Menschenrechtsverteidiger eingeschüchtert. Die Mittel sind perfide, und sie sind teilweise erbärmlich. Sie fangen bei restriktiver Gesetzgebung zur Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen an und reichen bis zu willkürlichen Inhaftierungen oder gar Entführungen im Ausland.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Thema möchte ich hier erwähnen, das nicht nur mir, sondern auch vielen anderen besonders am Herzen liegt; es taucht auch im Bericht der EU prononciert auf. Es ist die Lage der LGBTI, der Schwulen und Lesben. Es ist beschämend: In mehr als 70 Staaten auf der Welt werden Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender-Personen und Intersexuelle immer noch strafrechtlich verfolgt. Häufig drohen ihnen lange Haftstrafen – und in einigen Staaten in Afrika und in der arabischen Welt sogar das Todesurteil.
Doch lassen wir uns von diesen furchtbaren Nachrichten nicht entmutigen! Über die vergangenen Jahrzehnte gab es in vielen Ländern beeindruckende Fortschritte bei der Durchsetzung der Menschenrechte von LGBTI. Wer hätte denn vor ein paar Jahren wirklich gedacht, dass Länder wie Brasilien, Argentinien oder Südafrika mit den skandinavischen Ländern gleichziehen und die gleichgeschlechtliche Ehe einführen?
Die Bundesregierung setzt sich weltweit für LGBTI-Rechte ein, mit öffentlichkeitswirksamen Projekten ebenso wie in Gesprächen mit Regierungen und vor allem mit der Zivilgesellschaft. Auf vielen meiner Reisen begegne ich Vertreterinnen und Vertretern der LGBTI-Gruppen, die mir von Gewalt, Verfolgung und einem Leben in dauerhafter Angst berichten. Das erlebe ich gerade dort, wo sexuelle Minderheiten noch viel stärker unter Druck stehen als hierzulande, wie in der Türkei, in Bulgarien oder auf dem westlichen Balkan.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, nicht zuletzt angesichts der politischen Entwicklung der vergangenen Jahre, insbesondere des wachsenden islamistischen Terrors, aber auch der wachsenden Islamfeindlichkeit in Europa, werden wir uns der Religions- und Weltanschauungsfreiheit weiter annehmen müssen. Die Bundesregierung wird dem Bundestag im Sommer einen Bericht dazu vorlegen. Die Formen der Unterdrückung des Rechts auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit sind vielfältig. Dabei ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte doch ganz eindeutig: Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht schließt eben auch die Freiheit ein, seine Religion bzw. Weltanschauung zu wechseln oder auch gar keiner Religion mehr angehören zu wollen. Diese Freiheit gilt für Christen, Juden, Muslime genauso wie für andere Menschen, und sie gilt eben auch weltweit.
Wir können die Werte im Ausland nur dann glaubwürdig einfordern, wenn wir sie auch zu Hause strikt achten. Es reicht eben nicht, wenn Menschenrechte nur auf dem Papier Bestand haben. Sie müssen im täglichen Miteinander gepflegt und verteidigt werden. In einer offenen, liberalen Gesellschaft ist das nicht nur die Kür, sondern auch die Pflicht für jeden von uns. Menschenrechte sind eben kein generöses Geschenk, das man irgendjemandem einmal so mit auf den Weg geben kann.
Menschenrechte sind eine unverhandelbare Grundlage unseres Zusammenlebens. Dafür stehen wir ein. Ich gebe zu: Das ist nicht immer ganz einfach. Aber es ist vor allem auch für die Europäische Union unerlässlich, wenn wir das bleiben wollen, was wir immer waren: eine Wertegemeinschaft.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Nächste Rednerin ist die Kollegin Annette Groth für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6570062 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 156 |
Tagesordnungspunkt | EU-Jahresbericht über Menschenrechte und Demokratie |