19.02.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 156 / Tagesordnungspunkt 18

Erika SteinbachCDU/CSU - EU-Jahresbericht über Menschenrechte und Demokratie

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Groth, Ihre einseitige Sicht auf den Staat Israel hat schon etwas Unanständiges.

(Annette Groth [DIE LINKE]: Einer muss es ja machen! Sonst wird ja nicht darüber geredet!)

Man mag nicht alles für richtig halten; aber Ihre Kritik ist zu plakativ und zu einseitig. Das möchte ich einmal ganz deutlich sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Der EU-Jahresbericht 2014 über Menschenrechte und Demokratie in der Welt zeigt das Engagement der Europäischen Union für Menschenrechte auch außerhalb unserer eigenen Grenzen und macht auch die Fülle von Initiativen und das Engagement deutlich, mit denen die Europäische Union für Menschenrechte eintritt. Aber der Bericht zeigt auch – das ist für den, der es sehen will, deutlich erkennbar –, dass sich die menschenrechtspolitischen Herausforderungen, was Fluchtbewegungen in Richtung EU anbelangt, bereits im Berichtszeitraum 2014 abgezeichnet haben. Diese Erkenntnisse haben leider seitens der Europäischen Union nicht dazu geführt, rechtzeitig politisch darauf zu reagieren und Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen. Man hat weggeschaut.

Heute haben wir – die vorangegangene Debatte hat das deutlich gemacht – mit den Folgen dieser Unterlassung der Europäischen Union in Form der Flüchtlingsströme zu tun und müssen in einer Situation, in der man dem fast ausgeliefert ist, damit umgehen. Man hätte das verhindern können. Da stellt sich schon die Frage, warum die Europäische Union weltweit agiert, aber nicht die für sie selbst wichtigen, elementaren Schlüsse aus ihren Erkenntnissen zieht, um diesen Kontinent, diese Europäische Union letzten Endes zu schützen.

In Deutschland und auch in Europa ist die politische Debatte in den vergangenen Monaten – das zeigt jede Plenardebatte – von keinem anderen Thema so geprägt worden wie von der aktuellen Flüchtlingskrise. Nach den Zahlen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen sind weltweit inzwischen mehr als 60 Millionen Menschen auf der Flucht vor Gewalt, vor Krieg, vor Armut und massiven Menschenrechtsverletzungen wie zum Beispiel den Terroraktionen des sogenannten „Islamischen Staates“. Aber wir wissen auch – das zeigen Studien –, dass bei 400 Millionen Menschen der Wunsch vorhanden ist, sich auf den Weg zu machen. Sie sitzen geistig sozusagen auf gepackten Koffern.

(Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn sie welche haben!)

Wir wissen das, und darauf muss man auch reagieren.

Noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden so viele Menschen Opfer von Flucht, Vertreibung und Armut wie in diesen Jahren. Über 1 Million dieser Migranten sind im vergangenen Jahr allein zu uns nach Deutschland gekommen. Die Aufnahme und Unterbringung so vieler Menschen in so kurzer Zeit stellt unsere gesamte Gesellschaft vor gigantische Herausforderungen. Wir können den vielen ehrenamtlichen Helfern immer wieder nur ganz herzlich danken. Sie leisten Hervorragendes.

(Beifall der Abg. Anette Hübinger [CDU/CSU])

Die Integration all derer, die eine Bleibeperspektive haben, wird eine ungleich noch größere Aufgabe sein als das pure Unterbringen.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr!)

Essen, Trinken, ein Dach über dem Kopf, das ist der einfachere Teil der Situation. Hätte die Europäische Union die Kenntnisse, die im vorliegenden Bericht nachzulesen sind, rechtzeitig in Handlungen und konkrete Maßnahmen umgesetzt, wäre die jetzige akute Massenwanderung in Richtung Europa wahrscheinlich so gar nicht nötig gewesen. Man hätte den Menschen vor Ort Essen und Trinken in ausreichendem Maße geben können. Sie haben recht, Frau Groth, wenn Sie darauf hinweisen, dass die Mittel nicht bereitgestellt worden sind.

Viele der Ankommenden sind in autoritären, patriarchalischen Gesellschaften aufgewachsen und geprägt worden. Die massiven Menschenrechtsverletzungen, mit denen wir uns im Menschenrechtsausschuss permanent, immer und immer wieder auseinandersetzen müssen – sie spiegeln sich auch im EU-Menschenrechtsbericht wider –, haben das Leben und den Alltag dieser Menschen in ihren jeweiligen Herkunftsländern bestimmt und geprägt. Gerade vor diesem Hintergrund muss der Wertekanon unseres Grundgesetzes die unverhandelbare Grundlage für jede Integration sein. Zentrale Freiheitsrechte wie die Religions- und die Meinungsfreiheit, die Rechte Homosexueller, aber auch die Gleichstellung von Mann und Frau, das muss den Ankommenden vermittelt werden. Wir müssen das am Ende durchsetzen, auch durchsetzen wollen und nicht – laissez faire – sagen: Jeder soll so leben, wie er es aus seinem Herkunftsland gewohnt ist. Das ist keine einfache Aufgabe.

Wir müssen heute selbstkritisch feststellen, dass es in den vergangenen Jahrzehnten leider nicht ausreichend gelungen ist, eine wirkliche Integration aller bisherigen Zuwanderer in unsere deutsche Gesellschaft zu erreichen. Gerade in der zweiten und dritten Generation muslimischer Familien zeichnen sich aktuell sogar Rückschritte ab, was man eigentlich nicht für möglich hält. Das hat eine repräsentative Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung unter der Leitung des Soziologen Ruud Koopmans ergeben. Er hat einen Forschungsbericht über religiösen Fundamentalismus in sechs westeuropäischen Ländern, darunter auch Deutschland, erstellt. Nach diesem Bericht ist fast die Hälfte der Muslime, die in diesen sechs europäischen Ländern leben, der Auffassung, dass es nur eine gültige Auslegung des Korans gibt, dass Muslime zu den Wurzeln ihrer Religion zurückkehren sollen und dass religiöse Gesetze wichtiger sind als weltliche. Diesen Befund für Europa halte ich für besorgniserregend.

Deutliche Integrationsdefizite zeigen sich hier bei uns in Deutschland auch in der Zunahme einer gewachsenen Paralleljustiz. Sie entsteht überall dort, wo auf Stammes- und Clanstrukturen zurückgegriffen werden kann, nicht nur im Bereich des Zivil- und Strafrechts, sondern vermehrt auch im Bereich der Familiengerichtsbarkeit. Das steht in weiten Teilen im Widerspruch zu unserem Grundgesetz und zu unserem Familienrecht. Die krassesten Abweichungen sind hier die Missachtung des Heiratsfähigkeitsalters bei Kinderehen, die es hier in Deutschland gibt – sie werden abseits unserer normalen Regularien geschlossen –, die Vielehen und die Duldung von Zwangsehen. Experten schätzen den Anteil sogenannter Imam-Ehen hier in Deutschland auf mindestens 10 bis 20 Prozent.

Die zusätzliche Aufnahme von 1 Million Zuwanderern aus stark autoritären, patriarchal geprägten muslimischen Staaten stellt unsere Gesellschaft vor eine umso größere integrationspolitische Herausforderung. Wichtig ist gerade vor dem Hintergrund dieser starken Zuwanderung aus diesen Kulturkreisen – das sind ja sehr unterschiedlich strukturierte Gegenden – die offensive Einforderung der Anerkennung und Befolgung deutscher Gesetze. Das ist eine zentrale Integrationsherausforderung.

Mit Blick auf die aktuelle Flüchtlingskrise muss uns allen eines bewusst sein: Integration kann jetzt nur dann erfolgreich sein, wenn es gelingt, die Zahl der ankommenden Flüchtlinge und Migranten deutlich zu reduzieren. Nur dann besteht auch eine Chance, die bislang Angekommenen in unsere Gesellschaft zu integrieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Warum sage ich das? An die Europäische Union müssen wir die Forderung richten, weitsichtiger und verantwortungsvoller als bislang gewonnene Erkenntnisse in politisches Handeln umzusetzen. Die Europäische Union muss, um diese Zuwanderung zu bewältigen – sie ist schwer zu bewältigen, auch bei allerbestem Willen; und der gute Wille ist in Deutschland ja erkennbar –, jetzt mit der Afrikanischen Union in einen permanenten, dauerhaften Dialog eintreten. Sie muss das tun, um den Menschen in Afrika eine Zukunftsperspektive zu geben und die Afrikanische Union nicht aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Das ist ein Defizit der Europäischen Union. Dieses Defizit hat auch dazu geführt, dass wir in der heutigen Lage sind. Im Interesse Europas, aber auch Afrikas, aber insbesondere im Interesse der Menschen – die meisten möchten ja gerne in ihrer Heimat bleiben – braucht es diesen offensiven Dialog.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Tom Koenigs für Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6570079
Wahlperiode 18
Sitzung 156
Tagesordnungspunkt EU-Jahresbericht über Menschenrechte und Demokratie
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