19.02.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 156 / Tagesordnungspunkt 18

Tom KoenigsDIE GRÜNEN - EU-Jahresbericht über Menschenrechte und Demokratie

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist Freitagmittag. Da kann man über alles reden: Europäische Union, Afrikanische Union, Paralleljustiz. Das zeigt ein bisschen, wie beliebig das Thema genommen wird. Der Bericht, der der Diskussion heute zugrunde liegt, ist auch relativ beliebig. Das Unbehagen, das man in einer solchen Diskussion hat, liegt daran, dass der Entschließungsantrag eigentlich auch beliebig ist. Da wird von allem ein bisschen geredet, über das, was wirklich ist, wird aber nicht geredet.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Oberlehrerhafte Abqualifikation!)

Ich fand es interessant, dass der Staatsminister sagt: „Das Auswärtige Amt ist das Menschenrechtsministerium.“ Wie eine menschenrechtsgeleitete Außenpolitik eigentlich aussehen sollte, könnte und müsste, steht aber leider weder in dem Bericht der Kommission von 2014 noch in dem Entschließungsantrag. Auch in Ihrer Rede haben Sie nicht gesagt, ob es wirklich eine Perspektive für die deutsche auswärtige Politik ist, das in den Mittelpunkt zu stellen.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Jetzt sagen Sie einmal etwas mit Substanz, Herr Kollege!)

Der Bericht befasst sich leider nicht mit den Staaten der Europäischen Gemeinschaft selbst, sondern richtet sich nur nach außen. Gut, das kann man machen; aber man muss dann auch der Kohärenz wegen sagen: Passt das denn zu dem, was wir in unseren Mitgliedstaaten machen, was die Europäische Kommission den Mitgliedstaaten abfordert? Oder wird irgendetwas über die Performance, über den Umgang mit früheren Empfehlungen gesagt? Dazu gibt es eigentlich nichts. In dem Antrag, den Sie vorgelegt haben, wird behauptet, Menschenrechte gewinnen ein immer größeres Gewicht in der Europäischen Gemeinschaft.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist unsere Auffassung, Herr Kollege!)

Stimmt das eigentlich?

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Na klar, stimmt das!)

Stimmt das eigentlich, dass wir da als Menschenrechtler sozusagen auf dem Vormarsch sind? Wenn man sich ansieht, dass es auf der Welt Organisationen wie Boko ­Haram oder ISIS gibt, die sich explizit auf ihre schwarzen Fahnen geschrieben haben: „Wir sind gegen Menschenrechte; wir kämpfen gegen die Menschenrechte“, dann kann man eigentlich nicht sagen, dass man Fortschritte gemacht hätte. Ich glaube eher, dass wir in einer Abwehrschlacht sind – wenn man das so militärisch sieht.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist eine zutreffende Analyse! Dass die Einsicht auch bei Ihnen eintritt, ist gut!)

Gegen Boko Haram und ISIS ist bisher übrigens nur etwas Militärisches erfunden worden. Wie man damit menschenrechtlich umgeht? Ich weiß es nicht.

Im Antrag steht, die Menschenrechtspolitik der EU sei „kohärenter und effizienter“ geworden. Es wäre schön, wenn das so wäre.

(Zuruf von der CDU/CSU: Auch zutreffend!)

Wenn Sie die Effizienz überhaupt prüfen würden, müssten Sie die Instrumente mit dem, was erreicht worden ist, vergleichen. Ein Instrument, auf das Sie sich auch in Ihrem Antrag intensiv beziehen, sind die 37 Menschenrechtsdialoge. Helfen sie eigentlich etwas? Hat einmal jemand eine Analyse gemacht, was diese Menschenrechtsdialoge wirklich bringen?

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Staatssekretär hat gesagt, man verhandele lieber hinter geschlossenen Türen. Die Menschenrechtsdialoge sind öffentlich. Bringen sie irgendetwas?

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sind Sie nun gegen die Menschenrechtsdialoge, oder sind sie ein gutes Instrument? Ich verstehe Ihre Position nicht!)

Haben andererseits die ganz starken Mittel, die Sanktionen, jemals etwas gebracht für die Menschenrechte, oder bringen sie wirklich etwas? Was ist da erreicht worden?

Der Bericht bringt leider auch keine Projektevaluierung. Die Europäische Gemeinschaft hat auch keine In­stitution, um Menschenrechtsprojekte zu evaluieren.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die EU ist insbesondere eine Menschenrechtsorganisation – Freiheit, Frieden!)

Aber ist es nicht eigentlich so, dass die wirklich harten Instrumente der Menschenrechtspolitik, Sanktionen, immer nur genutzt worden sind, wenn es um geostrategische Machtpositionen ging, etwa in der Ukraine, in Syrien, aber auch beim gemeinsamen Standpunkt Kuba?

Ich frage mich auch: Ist bei der Kampagne gegen die Todesstrafe das, was wir da machen, eigentlich effektiv? Bringt das irgendetwas? Denken wir darüber nach, welche Auswirkungen das eigentlich hat?

Das Europaparlament hat in seiner Entschließung – in Ihrer ist das leider nicht der Fall – zu Recht gesagt, eine bessere Übersicht über die Auswirkungen der EU-Maßnahmen sowie über die erzielten Fortschritte wäre sinnvoll. Übrigens: Die Entschließung des Europaparlaments ist sehr viel gehaltvoller als das, was hier gesagt wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schließlich zur Kohärenz: Ist die europäische Politik kohärent mit dem, was über Menschenrechte gesagt wird,

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Noch eine Frage! Sagen Sie doch mal, was Sie machen wollen!)

zum Beispiel die Fischereipolitik mit dem Kampf gegen den Hunger? Oder die Handels- und Freihandelspolitik mit dem Transparenzgebot? Nehmen wir nur einmal TTIP: Ist das eigentlich ein kohärentes Verfahren? Oder sind die Menschenrechte vielleicht nur Zierrat von einer anderen, sehr viel wichtigeren Politik?

Ich sehe bei der Europäischen Gemeinschaft, bei der gemeinsamen europäischen Außenpolitik, leider nicht diese Kohärenz, auch nicht die Leitfunktion, die bei der Wertedebatte immer wieder genannt wird.

Wenn man dann nach innen schaut, sieht man – da bröckelt es an allen Stellen; das ist wirklich des Berichtes wert – das Vordringen von menschenrechtsfeindlichen Gruppen und von nationalistischen Parteien. Wo findet sich noch das Diskriminierungsverbot in Ungarn oder bei Parteien wie der Le-Pen-Partei, Front National? Das ist eine Partei, die sich auf Diskriminierungen aufbaut, die AfD ebenfalls. Diese Bewegungen entstehen gegen das Diskriminierungsverbot.

Es geht aber auch um solche Tendenzen wie in Großbritannien, das nicht nur irgendwann vielleicht aus der EU austreten will, sondern sich auch nicht mehr den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unterwerfen will. Auch das sind Tendenzen, die die Europäische Kommission in ihrem Bericht eigentlich betrachten würde.

Deshalb würde ich mir wünschen, dass der nächste Bericht den Blick nach innen und nach außen wendet, auf Effizienz und Kohärenz wirklich Wert legt und sich darüber Gedanken macht, kritisch bei den Ursachen und Wirkungen ist, Maßnahmen evaluiert und die Mitgliedstaaten in die Pflicht nimmt. Das wäre ein Bericht, der dann auch der breiteren Diskussion an einem schönen Donnerstagmittag mit einer Beteiligung von mehr als 36 Kolleginnen und Kollegen wert wäre. Ich hoffe, dass wir bei das beim nächsten Bericht über 2015 haben werden.

Dass der Bericht die gesamte Flüchtlingsfrage überhaupt nicht erwähnt, ist bedauerlich. Anderseits: Ihr Entschließungsantrag, den Sie vorlegen, ist so „motherly love and apple pie“, dass man gar nicht dagegen sein kann.

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE] – Erika Steinbach [CDU/CSU]: Apple Pie ist süß!)

Nächste Rednerin ist die Kollegin Angelika Glöckner, SPD.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6570080
Wahlperiode 18
Sitzung 156
Tagesordnungspunkt EU-Jahresbericht über Menschenrechte und Demokratie
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