Sabine ZimmermannDIE LINKE - Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erinnern Sie sich noch: Vor zwölf Jahren bekam ein Facharbeiter, wenn er arbeitslos wurde, erst Arbeitslosengeld und dann Arbeitslosenhilfe. Sie hatten alle in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt und konnten sich auf die Solidarleistung im Fall von Arbeitslosigkeit verlassen. Und dann kamen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen
(Bernd Rützel [SPD]: Jetzt kommt das wieder!)
– die CDU/CSU hat zugestimmt –, mit Ihren unsäglichen Hartz-IV-Gesetzen. Ich muss das hier so deutlich sagen: mit diesen unsäglichen Hartz-IV-Gesetzen.
(Beifall bei der LINKEN – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das habt ihr noch nie gesagt! – Bernd Rützel [SPD]: Ja, das habt ihr das erste Mal heute hier gesagt! Ich bin überrascht!)
– Warten Sie einmal, Herr Whittaker, was ich dazu zu sagen habe.
Ein Facharbeiter, ein Ingenieur oder jeder, der heute arbeitslos wird, geht im Regelfall nach zwölf Monaten gnadenlos in Hartz IV, obwohl er nach wie vor mitunter Jahrzehnte in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat. Dazu, meine Damen und Herren, sagt die Linke: Das ist ungerecht, und vor allen Dingen stürzt es viele Leute in Armut.
(Beifall bei der LINKEN)
Soll ich Ihnen einmal sagen, wie ich das nenne? Ich nenne das eine der wirklich größten politischen Fehlleistungen der letzten zwölf Jahre mit katastrophalen Auswirkungen auf den Sozialstaat.
(Lachen des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD])
– Ja, Sie können da lachen, Kollege Bartke,
(Dr. Matthias Bartke [SPD]: Sie haben dem Mindestlohn nicht zugestimmt! So war es! – Gegenrufe des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
aber diejenigen, die in diesem Hartz-IV-System gefangen sind, können nicht mehr lachen.
Ihre unsozialen Gesetze haben auch zur Folge, dass mittlerweile über zwei Drittel der Erwerbslosen nicht im Bereich der Arbeitslosenversicherung betreut werden, sondern im Hartz-IV-System. Sie brauchen sich doch bloß die Zahlen anzuschauen. So ist es doch. – Ich weiß, dass Sie das nicht hören wollen.
(Dr. Matthias Bartke [SPD]: Nein, es ist falsch!)
Aber wer die Geister rief ... – es ist einfach so.
(Beifall bei der LINKEN)
Fast ein Viertel der Beschäftigten, die erwerbslos werden, bekommen direkt Hartz IV. Immer mehr Erwerbslose können nämlich keine Ansprüche auf Arbeitslosengeld erwerben, oder das Arbeitslosengeld ist so niedrig, dass sie zusätzlich noch mit Hartz-IV-Leistungen aufstocken müssen.
Ich möchte Sie wirklich einmal fragen, meine Damen und Herren von der SPD und vom Bündnis 90/Die Grünen: Wie können Sie das eigentlich mit Ihrem Gewissen vereinbaren? Das würde mich wirklich einmal interessieren.
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe Schlafstörungen! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sie haben die Rahmenfrist, in der Ansprüche auf Arbeitslosengeld erworben werden können, von drei auf zwei Jahre verkürzt, die Arbeitslosenhilfe abgeschafft und prekäre Beschäftigung wie Leiharbeit und Minijobs ausgeweitet. Und wir haben den größten Niedriglohnsektor in ganz Europa. Auch wenn Sie es nicht hören wollen: Ich muss es an dieser Stelle sagen.
(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Als Einzige!)
Mittlerweile ist für jeden – egal ob hoch qualifiziert, jahrelang studiert oder Facharbeiter – jede Arbeit zumutbar. Arbeit zu jedem Preis ist angesagt, und das ist auf der Tagesordnung, meine Damen und Herren. Wenn einer nicht spurt – das kommt ja noch dazu; da haben Sie sich ja noch etwas „Gutes“ einfallen lassen –, dann kommen noch Sperrzeiten und Sanktionen darauf, damit noch richtig Druck auf die Menschen gemacht werden kann. Und dann werden sie unter dem Strich noch drangsaliert. Das ist das Monster, das Sie hier in Deutschland installiert haben, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der LINKEN)
Hier wurden und werden Qualifikationen in Größenordnungen vernichtet, Menschen werden regelrecht gebrochen. Ich weiß nicht, ob Sie fern von der Realität sind, aber ich weiß das von sehr vielen Menschen.
Dieses Monster, dieses Geschwür Hartz IV schwächt dauerhaft das soziale Immunsystem unseres Landes, und Sie geben immer noch die falsche Medizin darauf.
(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Sie können die Langzeitarbeitslosigkeit nicht bekämpfen, wir haben immer noch mehr als 3 Millionen Menschen, die einen Zweitjob und einen Drittjob brauchen. Und da sagen Sie: „Die Welt ist in Ordnung“? Nein, die Welt ist eben nicht in Ordnung.
(Beifall bei der LINKEN)
Durch das enorme Schleifen der Arbeitslosenversicherung wurde eine gewaltige Lohnspirale in Gang gesetzt. Das führte dazu, dass wir einen der größten Niedriglohnsektoren in Europa haben. Das, meine Damen und Herren – das muss ich Ihnen so deutlich sagen –, ist nicht unsere Vorstellung von einer guten Arbeitsmarktpolitik.
(Beifall bei der LINKEN)
Stellen Sie sich vor, Sie selbst würden in diese Situation kommen. Wie unwürdig ist es doch eigentlich, dass Menschen von ihrem Lohn nicht leben können. Ich finde das unanständig. Wenn man darüber nachdenkt, erkennt man, dass das auch noch verdeckte Wirtschaftsförderung ist. Ich habe mir die Zahlen herausgesucht: Jährlich werden 10 Milliarden Euro an Steuergeldern für Lohnsubventionierung gezahlt. Das ist eine verdeckte Wirtschaftsförderung. Das können Sie doch nicht gutheißen. Ich finde, das ist ein Skandal.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Arbeitslosenversicherung muss wieder gestärkt werden, und sie muss auch zum Hauptinstrument der sozialen Sicherung bei Erwerbslosigkeit werden. Dazu will ich Ihnen einige unserer Vorschläge nennen: Erweiterung der Rahmenfrist von zwei auf drei Jahre, Anspruch auf Arbeitslosengeld bereits nach vier Monaten Beitragszeit, für langjährige Beitragszahlerinnen und -zahler wird die Anspruchsdauer auf Arbeitslosengeld erweitert, ebenso für ältere Erwerbslose und auch für Menschen mit Behinderungen, und zur Vermeidung von ergänzendem Hartz-IV-Bezug wird ein Mindestarbeitslosengeld eingeführt.
Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt gilt selbstverständlich auch für Flüchtlinge. Nun suchen Sie wieder einmal nach Wegen, um bei Flüchtlingen durch die Hintertür den Mindestlohn zu unterlaufen.
(Bernd Rützel [SPD]: Wer ist „Sie“?)
– Die CDU zum Beispiel.
(Bernd Rützel [SPD]: Okay! Danke!)
– Ja, aber es wird trotzdem nicht besser. Das, was Sie vorhaben, wird ja schlimmer; es heißt ja, sie sollen jetzt erst Praktika machen, und da bekommen sie noch nicht einmal Lohn, sondern nur eine Praktikumsvergütung. Das ist doch die Schweinerei dabei. Es ist doch blanker Populismus, was Sie hier machen.
(Beifall bei der LINKEN – Zurufe der Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD] und Bernd Rützel [SPD])
Eine starke Arbeitslosenversicherung und eine gute Arbeitsförderung – das sind die Hauptpfeiler eines Sozialstaates, wie wir ihn uns vorstellen. Wie der Rest des Hauses dieses sieht und wie er zum Sozialstaat steht, werden wir sehen und hören.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das ist ja wie bei Pippi Langstrumpf, wo es eine Goldkiste gibt, woraus sie schöpfen kann!)
Das Wort hat der Kollege Albert Weiler für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 156 |
Tagesordnungspunkt | Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung |