19.02.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 156 / Tagesordnungspunkt 19

Kai WhittakerCDU/CSU - Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung

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Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Wenn man Ihnen, Frau Kollegin Zimmermann, in dieser Debatte zugehört hat – das gilt aber auch für andere Debatten –, kann man sagen, dass Mark Twain mit folgender Feststellung doch recht hatte:

Das Problem mit der Linken ist, daß die meisten aus Haß gegen die Reichen Kommunisten geworden sind und nicht aus Liebe zu den Armen.

Denn nur so ist es zu erklären, warum Sie eine so lieblose Idee haben, Arbeitslose in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen parken zu wollen. 200 000 Menschen sollen nach Ihren Vorstellungen Bauklötzchen stapeln oder Supermarkt spielen.

(Widerspruch bei der LINKEN)

In Ihrem Antrag steht aber kein Wort, wie Sie die Wirtschaft stärken und Arbeitsplätze schaffen wollen. Aber das wundert mich, ehrlich gesagt, nicht wirklich. Die Linke hat es noch nie verstanden, in diesem Land Arbeitsplätze zu schaffen. Deshalb konzentrieren Sie sich auch darauf, Arbeitslosigkeit in Ihrer Wahrnehmung erträglicher zu machen. So erleichtern Sie Ihr Gewissen. Das ist alles, was Sie tun. Sie wollen Geld sozusagen auf das Problem schmeißen. Das hilft aber, ehrlich gesagt, nicht.

(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Sie stellen die Leute ins Abseits!)

Ich bin nicht der Einzige, der das so sieht. Schauen wir uns ein paar Studien an: Das ifo-Institut hat 2009 – ich zitiere – Folgendes festgestellt:

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass negative Effekte aus öffentlich geförderter Beschäftigung ... insbesondere in Ostdeutschland zu verzeichnen sind.

Auch die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung hat 2012 festgehalten:

Die bisherigen Evaluationsergebnisse geben Anlass zur Skepsis, ob öffentlich geförderte Beschäftigung in großem Umfang zum Marktersatz dienen kann.

Und für die letzten Zweifler hier im Plenum habe ich auch noch eine Studie vom IAB aus dem Jahr 2012. In ihr wurde festgestellt:

Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen haben nachweislich keine Beschäftigungswirkung, sind also wirkungslos.

Ich halte fest: Sie, die Linken, wollen Menschen in Arbeitslosigkeit parken, anstatt ihnen Chancen zu bieten.

(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Sie parken Sie in Arbeitslosigkeit – zu Hause!)

Wir als Union haben, Frau Kollegin Pothmer, 2015 ebenfalls Vorschläge gemacht, wie wir mit diesem Thema umgehen wollen. Wir sind felsenfest davon überzeugt, dass wir noch einmal an den Instrumentenkasten herangehen müssen.

Ich möchte ein paar Beispiele bringen. Die freie Förderung ist immer noch zu starr. Gute Ideen vor Ort in den Jobcentern werden durch Paragrafenreiter sozusagen aus dem Sattel gehoben. Echte Begleitungen fehlen. Nicht jeder Langzeitarbeitslose, der zwei, drei oder vier schwerwiegende persönliche Probleme hat, schafft allein den Weg zurück in den Arbeitsmarkt. Er braucht Hilfe, Begleitung, Assistenz und Beratung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte noch einen weiteren Aspekt ansprechen. Die Hälfte der Langzeitarbeitslosen hat keine Berufsausbildung. Deshalb treten wir dafür ein, dass Langzeitarbeitslose eine Ausbildung machen können. Denn die Alternative dazu wäre doch, dass sie einen perspektivlosen Aushilfsjob annehmen. Es ist nicht mein Anspruch, es ist nicht der Anspruch der Unionsfraktion, Perspektivlosigkeit zu verwalten; wir wollen Perspektiven schaffen.

(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Ja wo denn? – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ihr seid an der Regierung! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Dann fangt mal an!)

Auch die schwersten Fälle geben wir nicht so schnell auf wie Sie. Wir haben vorgeschlagen, die Integrationsbetriebe für Langzeitarbeitslose zu öffnen, ihnen einen geschützten Raum anzubieten, in dem sie echte Arbeit am ersten Arbeitsmarkt haben,

(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Was?)

anstatt geparkt zu werden, wie in Ihrem Antrag vorgeschlagen.

(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Was ist denn das für ein Thema? Ich glaube, Sie sind beim falschen Thema!)

Ich finde, auch ein anderes Thema müssen wir einmal grundsätzlicher ansprechen. Die Frage, die sich mir stellt, ist folgende: Ist es wirklich sinnvoll, dass die Hälfte der Jobcentermitarbeiter ihre Zeit damit verbringt, ­exakt auszurechnen, wer wie viel Geld bekommt? Wäre es nicht viel besser, wenn sie Arbeitslose tatsächlich in Jobs vermitteln würden?

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Warum macht ihr es denn nicht?)

Ich finde, diese Frage ist nicht trivial, gerade vor dem Hintergrund der vielen Flüchtlinge, die jetzt in dieses Land kommen und bald in den Jobcentern aufschlagen werden.

Die Logik des SGB II war es doch, jedem arbeitslosen Bürger eine pauschale Leistung zu zahlen; aber die Bilanz nach zehn Jahren ist doch etwas ernüchternd, wie ich kurz an einem Beispiel zeigen möchte: Bei der Warmwasserzuschlagsberechnung wird geschaut, ob ein Hartz-IV-Empfänger das Warmwasser in seiner Wohnung mit einem Boiler erhitzt oder nicht. Wenn er es tut, dann wird nachgeschaut, ob sich mit diesem Warmwasser nur ein Erwachsener oder noch ein Jugendlicher oder ein Kind duscht, weil es dann Zuschläge gibt.

(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal, Herr Whittaker, zu welchem Antrag reden Sie gerade?)

Vor kurzem hat das Jobcenter im Unstrut-Hainich-Kreis wegen einer nicht geleisteten Nachzahlung von 10 Cent darüber nachgedacht, das Bundessozialgericht anzurufen.

(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Worüber reden Sie denn? Das ist doch gar nicht das Thema! Es geht um die Arbeitslosenversicherung!)

Das muss man sich einmal vorstellen: Wegen 10 Cent werden Gerichte angerufen, weil uns Einzelgerechtigkeit wichtiger erscheint und weil es im Gesetz steht, aber nicht, weil irgendwelche wild gewordenen Jobcentermitarbeiter Arbeitslose drangsalieren wollen.

Ich weiß, das ist ein Extrembeispiel – gar keine Frage –, aber es zeigt, dass wir oft mit Hartz-IV-Empfängern um Kleinstbeträge ringen. Es macht deutlich, dass wir mehr Pauschalierungen im Hartz-IV-System brauchen. Es macht auch deutlich, dass wir aufhören müssen, uns bei Hartz IV um Kleinigkeiten zu kümmern. Dazu gehören eben solche Placeboprogramme, wie Sie sie in Ihrem Antrag vorschlagen.

Wir müssen die Jobcenter in Deutschland endlich in die Lage versetzen, sich um die Menschen zu kümmern anstatt um sich selbst.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Machen Sie es doch! – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind doch an der Regierung! Was erzählen Sie denn da?)

Denn es ist nicht so entscheidend, wie viel Geld wir in einen Menschen investieren, sondern, wie viel Zeit wir uns für ihn nehmen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Kollege Dr. Matthias Bartke hat für die SPD-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6570324
Wahlperiode 18
Sitzung 156
Tagesordnungspunkt Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung
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