Matthias BartkeSPD - Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Whittaker, es ist nicht richtig, dass Beschäftigungsmaßnahmen im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik ein Parken von Arbeitslosen sind.
(Beifall bei der LINKEN)
Das ist es mit Sicherheit nicht. Da muss ich direkt die Linke in Schutz nehmen.
Angesichts der Kritik, die Sie an den teilweise nicht vorhandenen Pauschalierungen und Bagatellgrenzen geäußert haben, möchte ich sagen: Nach meiner Kenntnis war es insbesondere die CDU im Bundesrat, die diese Regelung verhindert hat.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
Bevor ich jetzt zu viel Beifall von Ihnen kriege, möchte ich ganz grundsätzlich etwas zur Agenda 2010 sagen. Das, was Sie, Frau Zimmermann, hier gesagt haben, ist in meinen Augen völlig geschichtsvergessen.
(Beifall des Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD])
Als Gerhard Schröder die Agenda 2010 eingeführt hat, war Deutschland der kranke Mann Europas. Heute sind wir der prosperierendste Sozialstaat auf dem ganzen Kontinent.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Das ist unweigerlich mit dem Namen Gerhard Schröder verbunden.
Ich sage Ihnen auch: Es hat bei der Agenda 2010 zwei Fehlentwicklungen gegeben. Die erste Fehlentwicklung war, dass wir den Niedriglohnsektor deutlich zu groß gemacht haben.
(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Ah!)
Um dem entgegenzuwirken, haben wir den Mindestlohn eingeführt.
(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Jetzt!)
In Deutschland verdient jetzt jeder mindestens 8,50 Euro pro Stunde. Da gab es eine Partei, die dem nicht zugestimmt hat, und das war Ihre Partei.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)
Die zweite Fehlentwicklung war, dass die Leiharbeit deutlich ausgebaut wurde, dass da zu viel passiert ist. Um dem entgegenzuwirken, werden wir jetzt eine völlig neue Regelung im Bereich des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes vorlegen. Da sollten Sie sich nicht schon wieder enthalten; denn dann würde die Geschichte schon wieder gegen Sie sein.
(Beifall bei der SPD)
Frau Zimmermann, Ihr Antrag ist deutlich besser als das, was Sie hier gesagt haben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Auch ich sage: Menschen in prekären und flexiblen Beschäftigungsformen brauchen natürlich eine Absicherung. Auch wir glauben: Wenn wir diese Menschen schützen wollen, dann muss die Arbeitslosenversicherung völlig neu aufgestellt werden.
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber dann machen Sie was!)
Besonderen Bedarf sehe ich bei den überwiegend kurzfristig Beschäftigten. Im letzten Jahr hat mich eine Schauspielerin aus meinem Wahlkreis Hamburg-Altona angeschrieben. Ich kann ihren Unmut absolut nachvollziehen: Sie wird für einzelne Theaterstücke engagiert, führt dafür hohe Beiträge an die Arbeitslosenversicherung ab und erhält nach Ende des Engagements trotzdem nur Hartz IV. Das ist frustrierend.
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie Frau Pothmer schon richtig sagte!)
– Das, was Frau Pothmer dazu gesagt hat, stimmt ja auch.
(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Im Koalitionsvertrag haben wir daher vereinbart, dass wir für die Sonderregelung für überwiegend kurzfristig Beschäftigte eine Anschlussregelung finden. Geplant war zum Beispiel eine Verlängerung der Rahmenfrist auf drei Jahre. Leider haben wir mit unserem Koalitionspartner in diesem Punkt keine Einigung erreicht. Stattdessen hat das Bundeskabinett die Sonderregelung bis 2018 verlängert. Das ist besser als nichts – das muss man auch einmal sagen –,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh doch! Das ist nichts!)
aber das hilft natürlich nur der Gruppe, bei der die Sonderregelung auch greift. Der Schauspielerin aus Altona hilft das leider nicht. Eine weiter gehende Nachfolgeregelung ist daher unbedingt notwendig.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir werden zu Ihrem Antrag und zu einem Antrag der Grünen im April eine Anhörung im Ausschuss durchführen. Dabei werden wir uns mit den Details befassen und überlegen, wo wirklich Handlungsbedarf besteht.
Unsere Aufgabe ist es, Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Unser Ziel ist es daher, die Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung weiterzuentwickeln. Qualifizierung und Weiterbildung, das sind die Stichworte. Sie sind für den gesamten Verlauf des Erwerbslebens zentral. Sie sorgen für den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit. Nach unserer Vorstellung geht es zum einen um den sozialrechtlichen Anspruch auf Qualifizierung im Fall von Arbeitslosigkeit, es geht aber auch um den arbeitsrechtlichen Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber, um Qualifikation zu sichern und zu erhalten.
Wir haben schon in der letzten Legislatur einen entsprechenden Vorschlag gemacht. Ministerin Nahles verfolgt ihn mit dem Dialogprozess „Arbeiten 4.0“ weiter. Sie will die Arbeitslosenversicherung um Elemente ergänzen, die einen Anspruch auf Qualifikations- und Weiterbildungsberatung für Arbeitnehmer schaffen. Sie sagt: „Die Kunst wird darin bestehen, im Wandel alle an Bord zu behalten.“
Wir müssen die Risiken von beruflichen Übergängen und Erwerbsunterbrechung besser absichern. Gleichzeitig wollen wir Chancen für Neuanfänge und berufliches Fortkommen eröffnen; denn immer seltener üben Menschen denselben Beruf ein Leben lang am selben Ort für dasselbe Unternehmen aus. Nur ein präventiver Ansatz kann daher diesen Risiken ausreichend entgegenwirken.
Aber im Dialogprozess „Arbeiten 4.0“ denken wir noch viel weiter. Wir stellen nicht nur die Frage der Absicherung, sondern auch die Frage: Wie wollen wir morgen arbeiten? Inwiefern wird Technik die Arbeit verändern und wie den Bedarf an Berufen und Qualifikationen? Wir wollen mit unseren Antworten die Chancen, nicht die Ängste in den Vordergrund stellen.
Der Dialogprozess ist im vergangenen Jahr gestartet und soll dieses Jahr abgeschlossen werden. Das Arbeitsministerium hat dafür unter anderem einen Beraterkreis mit Experten aus Wissenschaft und betrieblicher Praxis zusammengestellt. Die Sozialpartner und alle Bürger sind eingeladen, sich einzubringen. Meine Bitte am Schluss: Beteiligen auch Sie sich dabei.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Und was machen wir mit den 1 Million Langzeitarbeitslosen?)
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Matthäus Strebl das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6570325 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 156 |
Tagesordnungspunkt | Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung |