19.02.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 156 / Tagesordnungspunkt 10

Hiltrud LotzeSPD - Gleichstellung im Kulturbetrieb

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren auf der Besuchertribüne! Ich sehe auch eine Menge junger Frauen, die dieses Thema vielleicht ganz besonders interessiert.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ältere aber auch!)

Vor 115 Jahren, 1901, hat der Karikaturist Bruno Paul in einer Satirezeitschrift geschrieben:

Sehen Sie, Fräulein, es giebt zwei Arten von Malerinnen, die einen möchten heiraten und die anderen haben auch kein Talent.

(Heiterkeit)

Damals war die Überzeugung weit verbreitet, dass es gegen die Natur der Frau ist, künstlerisch tätig zu sein. Das hat sich Gott sei Dank geändert. Damals gab es tolle Künstlerinnen, und auch heute gibt es viele großartige Künstlerinnen und einflussreiche Frauen in der Kunst- und Kulturszene.

2012 dann fragte die Wochenzeitung Die Zeit in einem Artikel: „Haben Frauen die Macht im Kunstbetrieb übernommen?“ Nun, wenn das so wäre, dann würden wir heute nicht hier stehen, sondern könnten uns zufrieden zurücklehnen. Stattdessen debattieren wir heute zu Recht den Antrag der Grünen zum Thema „Gleichstellung im Kulturbetrieb“.

Man könnte denken, dass der moderne und auch experimentierfreudige Kunst- und Kulturbereich die tradierten Rollenbilder längst abgestreift hat und dass es in diesem Bereich allein auf Kompetenz, Kreativität und Ideenreichtum ankommt, wenn es ums Weiterkommen geht. Schön wär’s! Noch heute sind viele Frauen im Kunst- und Kulturbereich strukturell benachteiligt.

Gerade im Kunstbereich bleibt Erfolg männlich. Öffentliche Museen und private Sammler kaufen mehrheitlich Werke männlicher Künstler. Die Arbeiten männlicher Künstler erzielen höhere Verkaufspreise. Männliche Künstler sind bekannter. Die Künstlerin Sibylle Zeh hat sich einmal das Künstlerlexikon von Reclam zur Hand genommen und den Status quo festgestellt. Sie hat alle Namen männlicher Künstler übertüncht. Am Ende blieb eine Handvoll Namen weiblicher Künstler übrig.

In unserer Fachanhörung im November 2015 im Ausschuss haben wir Erkenntnisse gewonnen, mit denen wir jetzt weiterarbeiten können. Die Grünen fordern in ihrem Antrag eine verbesserte und vor allem aktuelle Datengrundlage zu Frauen im Kunst- und Kulturbereich; das haben wir hier eben schon gehört. Das können wir im Prinzip abhaken, weil wir in Kürze die Studie des Deutschen Kulturrates erwarten, die von der BKM mitfinanziert wurde.

Viele der Punkte, die von den Expertinnen angesprochen worden sind, kennen wir auch aus anderen Berufssparten: die Unvereinbarkeit von Beruf und Familie, der Karriereknick wegen der Familie, die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern und die berühmte gläserne Decke. All das sind Symptome, die in unserer Berufsgesellschaft branchenübergreifend vorkommen. Ein Beispiel ist die Buchbranche. Sie ist weiblich. Über 80 Prozent der Beschäftigten in dieser Branche sind Frauen. Aber auf der Leitungsebene sind es nur 16 Prozent Frauen. Der Gender Pay Gap ist in der Buchbranche sogar noch größer als in anderen Bereichen.

Für uns von der SPD ist Geschlechtergerechtigkeit keine Worthülse. Mit der Frauenquote für die Wirtschaft haben wir einen Meilenstein gesetzt. Ein Entgeltgleichheitsgesetz wurde von der Familienministerin Manuela Schwesig auf den Weg gebracht.

(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Aber die CDU will es nicht!)

Die beiden Ministerinnen Andrea Nahles und ­Manuela Schwesig haben mit dem Programm „Kita Plus“ ein überzeugendes Konzept vorgelegt, mit dem es Eltern erleichtert werden soll, in den Randzeiten eine Betreuung für ihr Kind zu bekommen. Sie sehen also: Wir drehen an den Stellschrauben, die die Situation auch für die Frauen im Kunst- und Kulturbereich verbessern werden.

Nun wissen wir: Kunst und Kultur haben für unsere Gesellschaft eine enorme Bedeutung. Sie hinterfragen gesellschaftliche Entwicklungen kritisch. Sie begleiten sie. Sie provozieren oder befördern sie. Sie schaffen auf jeden Fall ein Bewusstsein, unter anderem auch in der Geschlechterdebatte. Es ist doch klar: Es würde etwas Wichtiges fehlen, nämlich die Hälfte der Welt, wenn dieser Prozess nur alleine durch die männliche Sichtweise geprägt wäre. Wir müssen es Frauen ermöglichen, in die Schlüssel- und Leitungspositionen zu kommen, damit eben in Kunst und Kultur auch die weibliche Sicht vertreten wird und zum Ausdruck kommt.

Während ich hier stehe und darüber rede, merke ich, dass ich ein Unbehagen dabei verspüre, dass wir auch im Jahr 2016 immer noch begründen müssen, warum und wieso Frauen in allen Bereichen gleichberechtigt vertreten sein müssen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Eigentlich müssten wir diesen Zustand doch irgendwann hinter uns lassen. Wir sind die Hälfte der Welt. Deswegen müssen wir auch überall zur Hälfte repräsentiert sein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Gleichzeitig sind der Kultur- und auch der Medienbetrieb, den ich immer mit einschließe, sehr heterogen. Genauso heterogen und so differenziert muss man ihn betrachten und untersuchen. Die Frage ist nämlich: Reden wir von öffentlichen Kultureinrichtungen, von kulturwirtschaftlichen Betrieben oder von freiberuflicher Tätigkeit?

Der Antrag der Grünen benennt zu Recht einzelne Missstände. In ihm werden auch analog einzelne Maßnahmen vorgeschlagen. Diese gehen in die richtige Richtung, aber sie erfassen eben nicht das Bild in seiner Gesamtheit. Ich habe schon aufgezählt, was die Knackpunkte sind: Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch Betreuungsmöglichkeiten außerhalb der gängigen Zeiten, transparente Kostenstrukturen usw. Auch die Altersarmut von Künstlerinnen der ersten Stunde und prekäre Arbeitsbedingungen bleiben unerwähnt.

(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie gerne mit einem Antrag! – Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Das hätten wir alles ergänzen können!)

Auch diese Kriterien können und müssen bei den vom Bund finanzierten und bezuschussten Institutionen, Förderprogrammen und Projekten berücksichtigt werden.

(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ganz kleiner Änderungsantrag hätte gereicht! – Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Niemand wäre dagegen gewesen!)

Für den Medienbereich seien beispielhaft eine Anpassung des Urheberrechtsvertrages mit dem Ziel der angemessenen Vergütung und die Zahlung von Mindesthonoraren bei der Fördermittelvergabe zu nennen.

(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie doch einen Antrag!)

Wir haben daher im Ausschuss aus den eben genannten Gründen den Antrag abgelehnt

(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber keinen eigenen Antrag gemacht!)

und haben uns vorgenommen, sobald die Studie des Deutschen Kulturrates vorliegt, in der die Thematik umfassend analysiert und aufbereitet wird, zielgerichtetere Maßnahmen zu formulieren.

Wir haben uns im Koalitionsvertrag klar zum Grundsatz „Kultur für alle“ bekannt. Geschlechtergerechtigkeit gehört ebenso dazu wie Inklusion und die kulturelle Öffnung. Jede und jeder Einzelne soll ohne Barrieren, seien es die in den Köpfen oder die tatsächlich vorhandenen, an der Kultur teilhaben können.

Ich habe es schon gesagt und wiederhole es gerne: Natürlich müssen Frauen auch in Kunst und Kultur gleichberechtigt vertreten sein und auch die guten Jobs erreichen können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Kollegin Ulle Schauws hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

(Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6570443
Wahlperiode 18
Sitzung 156
Tagesordnungspunkt Gleichstellung im Kulturbetrieb
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