Uli GrötschSPD - Vereinbarte Debatte zu den Ereignissen von Clausnitz und Bautzen
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „ Immer wieder Sachsen!“, so möchte man sagen, und so haben vielleicht auch viele von uns in den letzten Tagen gedacht. Glaubt noch jemand, dass das alles Zufall ist, in Heidenau, Freital, Bautzen, Clausnitz und anderswo?
Schauen Sie sich einmal die Karte der Amadeu-Antonio-Stiftung zu Brandanschlägen an, liebe Kolleginnen und Kollegen. Für mich ist das die Karte der Schande. Die roten Punkte markieren rechte Übergriffe seit Januar 2015. Sachsen ist als einziges Bundesland komplett übersät mit roten Punkten. Jeder sechste Anschlag auf Asylunterkünfte im letzten Jahr fand in Sachsen statt. Diese Orte in Sachsen, die ich eben aufgezählt habe, haben in den letzten Wochen und Monaten sehr zweifelhaften Weltruhm – kann man fast schon sagen – erlangt. Diese roten Punkte, liebe Kolleginnen und Kollegen, markieren Dunkeldeutschland.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich möchte aber auch sagen, dass ich die Menschen in Sachsen bei weitem nicht pauschal verurteilen und schon gar nicht an den Pranger stellen will.
(Beifall bei der CDU/CSU – Günter Baumann [CDU/CSU]: Das haben Sie ja schon gemacht!)
Ich höre von meinen Kolleginnen und Kollegen aus Sachsen, wie sehr sie sich auch dort in diesen Tagen engagieren, wie sehr sich auch in Sachsen viele Menschen gegen rechts und gegen Neonazis stellen. Und trotzdem: Die Mutter aller Gidas kommt aus Sachsen. Was sich dort Woche für Woche ereignet, muss ich hier nicht noch einmal erzählen. Es ist wohl nicht mehr zu leugnen, dass gerade dort der Nährboden und das Klima für Neonazis optimal zu sein scheinen. Das hat meiner Meinung nach durchaus einen Grund: Dort, wo man die braune Soße seit der deutschen Einheit nahezu ungehindert wabern lässt – da muss sich niemand wundern –, ist eben eine Art Dunkeldeutschland entstanden, eine Situation also, wie sie in anderen Teilen unseres Landes schlichtweg undenkbar ist.
(Maria Michalk [CDU/CSU]: Unverschämt!)
Die Ansatzmöglichkeiten staatlichen Handelns sind in diesem Zusammenhang ja eigentlich sehr weitreichend.
Wir, die Große Koalition, haben die Aufstockung des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ im Bundeshaushalt 2016 durchgebracht und damit ein deutliches Zeichen, ein deutliches Signal gegen rechts gesetzt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir schaffen damit die Grundlage für eine nachhaltig wirkende Präventionsarbeit gegen rechts – wenn diese Initiativen vor Ort dann nicht alleine gelassen werden und wenn die jeweiligen Bundesländer auch ihren Teil dazu beitragen.
Und wir verfügen in Deutschland über eine Struktur der Sicherheitsbehörden, die es möglich macht, dass rechte Umtriebe erkannt und gebannt werden. Zum Erkennen dieser Umtriebe und zum Aufklären der Strukturen verfügen die Bundesländer, wie wir alle wissen, über ein Landesamt für Verfassungsschutz.
Glauben Sie mir, ich befasse mich ziemlich intensiv mit der Arbeit des Bundesamtes und der Landesämter für Verfassungsschutz, und es ist immer wieder Sachsen, wo nicht so gearbeitet wird, wie ich es mir und wie wir es uns erwarten dürfen. Es ist Sachsen, wo das LfV Pegida gewähren lässt, obwohl dort zur Exekution von Menschen an den Grenzen aufgerufen wird, obwohl dort Galgen hochgehalten werden und Parolen gegrölt werden, die anderswo undenkbar sind.
(Günter Baumann [CDU/CSU]: Aber nicht von Sachsen!)
Wenn das LfV Sachsen offensichtlich nicht in der Lage oder nicht willens ist, dort wirksam zu handeln, dann ist die Landesregierung, dann sind der Innenminister Ulbig und der Ministerpräsident Tillich dafür verantwortlich, dass dessen Präsident abgelöst wird und die Stelle so besetzt wird, dass dort richtig und verantwortlich gehandelt wird.
Apropos Ministerpräsident Tillich – das muss ich schon sagen –: Was für eine Erkenntnis, dass Sie nach 25 Jahren feststellen, dass Sachsen ein Problem mit Rechtsextremen und Neonazis hat! Auch ein blindes Huhn findet – mit Verlaub – einmal ein Korn.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich habe am Donnerstag letzter Woche, nur wenige Stunden vor den Ereignissen in Clausnitz, gesagt, dass es unsere Aufgabe ist, den Anfängen zu wehren, liebe Kolleginnen und Kollegen. Heute sage ich: Wir müssen in Sachsen gar nicht mehr den Anfängen wehren, ich glaube, wir sind schon mittendrin.
(Zuruf von der LINKEN: Leider ja! Das stimmt!)
Und ganz bestimmt wird sich an den Zuständen dort auch nichts ändern, wenn Herr Tillich jetzt in Erwägung zieht, abgelehnte Polizeibewerber zu sogenannten Wachpolizisten zu machen und einzustellen – am besten wahrscheinlich noch zur Bewachung von Pegida oder von Asylbewerberunterkünften. Ich will mir gar nicht vorstellen, wieso diese Polizeibewerber abgelehnt wurden.
Was sind das für Menschen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die vor brennenden Unterkünften jubeln, die Männer, Frauen und Kinder erschießen wollen und vieles andere mehr. Herr Krings, Sie haben eben von einer Parallelgesellschaft gesprochen; da bin ich sehr bei Ihnen. Das Volk unseres Landes sind sie aber ganz bestimmt nicht.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Wort erhält nun der Kollege Anton Hofreiter für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6590556 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 157 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte zu den Ereignissen von Clausnitz und Bautzen |