24.02.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 157 / Zusatzpunkt 1

Anton HofreiterDIE GRÜNEN - Vereinbarte Debatte zu den Ereignissen von Clausnitz und Bautzen

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir alle sind über die Vorfälle am Wochenende schockiert. Menschen, die dem Schrecken des Krieges entkommen sind, die die lebensgefährliche Flucht überlebt haben, sahen sich mit einem rechten Mob konfrontiert. Ich bin mir sicher, uns alle eint: Wenn diese Menschen hier ankommen, dann müssen wir ihnen Sicherheit bieten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber genau dabei hat der Staat in Clausnitz versagt. Die Täterinnen und Täter waren der braune Mob, aber die Polizisten vor Ort haben die Schutzbedürftigen nicht ausreichend vor dem braunen Mob geschützt,

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das sehen Experten anders!)

und das, obwohl es nicht Tausende von Demonstranten waren, wenn man sie so nennen will, sondern 100. Das zeigt, wie sehr die Sicherheitsbehörden in diesem Fall versagt haben. Das darf sich nicht wiederholen, nirgendwo.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Es ist eine Schande für unser Land, was in Clausnitz passiert ist und was jeden Tag an vielen Orten in Deutschland passiert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Vorfälle belegen, dass wir nicht nur in Teilen der Gesellschaft ein Problem mit Rassismus haben, nein, sie verdeutlichen auch, dass wir ein Problem mit Teilen unserer Sicherheitsbehörden haben. Dass die Polizei ihrer Verantwortung, die Geflüchteten zu schützen, nicht gerecht wird, ist für mich alarmierend, und dass es nicht das erste Mal vorkommt, halte ich für einen echten Skandal. Aber dass sich dann der zuständige Polizeipräsident – offenbar in völliger Verkennung, was seine eigentliche Aufgabe ist – gegen jede Kritik am Polizeieinsatz verwahrt, dass die Polizei gegen die Geflüchteten, gegen die Opfer ermittelt und dass er ihnen in der Pressekonferenz eine Mitschuld zuweist, das zeigt das ganze Versagen. Ich kann es nicht anders bezeichnen: Es handelt sich hier um einen Fall von institutionellem Rassismus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Und, liebe Kolleginnen und Kollegen: Daran tragen die sächsische Landesregierung und die sächsische CDU eine Mitschuld, nicht die Mehrheit der Bevölkerung in Sachsen.

Es ist bereits zitiert worden: Kurt Biedenkopf hat in völliger Verkennung der Realitäten oder im Nicht-erkennen-Wollen der Realitäten erklärt, dass die Menschen in Sachsen immun gegen Rechtsextremismus sind. Wir schauen jetzt auf eine 25-jährige Geschichte der Verharmlosung, des Abstreitens und des Wegschauens im Umgang mit Rechtsextremismus. Und die Zivilgesellschaft – hören Sie sich mal die Berichte der Menschen an, die in Sachsen gegen Rechtsextremismus kämpfen – wird nicht unterstützt, der Zivilgesellschaft werden Knüppel zwischen die Beine geworfen,

(Zurufe der Abg. Maria Michalk [CDU/CSU])

die Zivilgesellschaft wird kriminalisiert und entmutigt – und das kommt dann dabei heraus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Genau so ist es! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Woher wissen Sie das? – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Woher haben Sie die Informationen?)

– Ihre Zwischenrufe beweisen nur eines, nämlich dass Sie die Verhältnisse vor Ort nicht kennen, dass Sie mit den Verantwortlichen nie gesprochen haben

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)

und dass Sie sich für die Probleme im Detail nicht interessieren.

Hören Sie sich doch nur einmal an, was der Ministerpräsident von Sachsen sagt. Er macht die Ressentiments selber hoffähig. Sein Zitat zum Islam ist bereits erwähnt worden. Wenn er nun davon spricht, dass der rechte Mob in Clausnitz irgendwie so etwas sei wie die Bürger, die in Stuttgart gern einbezogen worden wären bei der Planung eines Bahnhofs, dann zeigt das doch, wie weit weg er von einem Verständnis dafür ist, wo die Probleme liegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat es einfach immer noch nicht gemerkt!)

Selbst wenn er versucht, die Vorfälle in Clausnitz und in Bautzen zu verurteilen, zeigt sich der ganze Ungeist; er erklärt nämlich, dass die Täter Verbrecher und keine Menschen waren, wo wir doch längst wissen, dass das alles Menschen sind. Selbst wenn er versucht, sich zu distanzieren, zeigt sich, dass er im Grunde nicht in der Lage ist, einem humanen, einem menschlichen Weltbild zu folgen. In seinen Worten drückt sich der gesamte Ungeist aus, der in dieser Landesregierung herrscht.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt vergaloppieren Sie sich gerade!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, wir hatten letzte Woche erst eine Debatte zum Rechtspopulismus. Dabei hat auch ein Kollege aus Sachsen über dieses Problem gesprochen. Lesen Sie die Rede noch einmal nach, und überlegen Sie sich dann, was Sie in dem Landesverband Sachsen zu tun haben! Ich glaube, Sie haben da eine verdammt wichtige Aufgabe, nämlich dafür zu sorgen, dass da bestimmte Umtriebe eingestellt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, leider sind die Ereignisse in Clausnitz und Bautzen, so schrecklich sie sind, nur die neuesten Beispiele für rassistische Gewalt und Hetze. Rechte Gewalt ist ein gesamtdeutsches Problem. Leider ist sie in unserem Land wieder das geworden, was sie nie wieder werden sollte, nämlich alltäglich. Wir haben 2015 14 000 rechtsextrem motivierte Straftaten gehabt, darunter 1 600 Straftaten im Zusammenhang mit der Unterbringung von Asylsuchenden. Die Gewaltbereitschaft hat in diesem Land traurigerweise eine neue Dimension erreicht: Biedermänner werden zu Brandstiftern.

Rassismus entsteht aber nicht aus dem Nichts. Wir erleben zurzeit eine Verrohung der Debatte, die uns alle eigentlich tief besorgt stimmen müsste. Dazu tragen leider manche aus der Großen Koalition ihren Teil bei. Wer Hysterie schürt, wer mit Ressentiments spielt, der bereitet der rassistischen Stimmungsmache und der Gewalt den Boden.

(Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])

Und genau das tut traurigerweise Herr Seehofer. Ich gebe es zu: Das ist der Ministerpräsident des Bundeslandes, aus dem ich komme. Aber auch in der CDU wird manches immer schlimmer. Schauen Sie sich an, was Julia Klöckner und Guido Wolf inzwischen aus Angst vor der AfD machen: Sie fallen inzwischen Frau Merkel in den Rücken. – Hören Sie doch endlich damit auf! Mit diesem Zickzackkurs, mit dieser Zerstrittenheit, mit dieser Unverantwortlichkeit erreichen Sie doch nur, dass die AfD stärker wird. Die Hetzer fühlen sich dadurch bestätigt. Lassen Sie das doch endlich sein!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Deshalb sage ich, liebe Kolleginnen und Kollegen: Hass ist keine Alternative. Wir alle müssen gemeinsam Rassismus entgegentreten. Es ist höchste Zeit, dass wir unmissverständlich für unsere demokratische und offene Gesellschaft einstehen. Wir brauchen einen Aufstand der Anständigen; denn unsere demokratische und offene Gesellschaft ist in Gefahr, und das dürfen wir nicht zulassen.

Herr Kollege.

Lasst uns deshalb zurückkehren zu einer Debatte mit Augenmaß, zu einer Debatte, die Menschlichkeit erkennen lässt,

(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Dann fangen Sie damit an! Von wegen „Debatte mit Augenmaß“!)

zu einer Debatte, die endlich auf dem Boden der realen Probleme stattfindet! Das ist unsere Verantwortung nach diesen schrecklichen Vorfällen in den letzten Wochen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Günter Baumann erhält nun das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6590557
Wahlperiode 18
Sitzung 157
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte zu den Ereignissen von Clausnitz und Bautzen
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