24.02.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 157 / Zusatzpunkt 1

Susann RüthrichSPD - Vereinbarte Debatte zu den Ereignissen von Clausnitz und Bautzen

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin am Freitagabend von einer Veranstaltung in Dresden nach Hause gekommen. Der Raum, aus dem ich gekommen bin, war voller Ehrenamtlicher aus den verschiedensten Bereichen: THW, Schulverein, Diakonie, Bündnis Buntes Radebeul, Kinder- und Jug­endring, Jüdische Gemeinde, Einzelpersonen aus Unternehmen. Ich war glücklich und beschwingt; denn wir haben dort Vorstellungen über bessere Bedingungen für das Ehrenamt zusammengetragen. Es gibt viel zu tun, aber hey, dafür sind wir ja da.

Ich bin also nach Hause gekommen und wollte das auf Facebook schreiben. Da sah ich sie, die Videos aus Clausnitz. Schon wieder Sachsen!

Das Wochenende half nicht, den Schock zu überwinden. In Bautzen klatschen die Leute, während inmitten ihrer Innenstadt ein Haus brennt. Ja, sie behindern sogar die Feuerwehr. Ein versuchter Brandanschlag in Löbau schafft es schon gar nicht mehr ins öffentliche Bewusstsein. Darauf lege ich heute aber nicht meinen Schwerpunkt.

Ich lege meinen Schwerpunkt auch nicht auf Sie, meine Herren von der sächsischen Polizei, die Sie uns jetzt das ich weiß nicht wievielte Mal erzählen: „Die Lage konnten wir nicht vorhersehen“ – wieso eigentlich nicht? –, „Wir hatten nicht genug Leute vor Ort, die Angegriffenen haben aber auch provoziert“ – genau, am meisten wahrscheinlich dadurch, dass sie da waren –, „Ansonsten war am Polizeieinsatz, wie immer, alles in Ordnung“.

Mein Schwerpunkt sind auch noch nicht einmal Sie, meine Herren Innenminister, deren Aufgabe es wäre, die Sicherheit eines jeden bei uns zu garantieren, die Sie aber jahrelang Stellenabbau bei der Polizei mitgetragen haben und im Übrigen immer schauen, wo im Sinne der Extremismusdoktrin nun bitte diejenigen auf der nicht-rechten Seite sind, die die Rechten provoziert haben müssen, als ob uns die nicht auch so genug hassen würden, um uns anzugreifen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nein, auch Sie sind heute nicht mein Schwerpunkt, sondern die, über die im Plenum nie eine Stunde geredet wird, weil sie durch ihre unermüdliche Arbeit keine „Ereignisse“ schaffen. Daher folgt nun mein Bericht aus Sachsen:

Clausnitz liegt im Erzgebirge; das weiß mittlerweile jeder. Dort haben wir im vergangenen Jahr dem Verein „Agenda Alternativ“ den David-Schmidt-Preis für soziales und sozialpolitisches Engagement verliehen; denn dort veranstalten junge Leute Jahr für Jahr ein Festival, das einzige in der ganzen Gegend. Dort gibt es neben guter Musik Workshops und Seminare. Diese jungen Leute zeigen: Unsere Heimat ist bunt, und das ist gut so.

Oder: Das Bündnis „Bautzen bleibt bunt“ lädt zum Sommerfest mit Geflüchteten und zum gemeinsamen Weihnachtskegeln ein. Es bietet Deutschkurse an und hilft beim Ankommen.

Oder: Es sind die vielen unermüdlichen Ehrenamtlichen beim THW, beim DRK, bei der Diakonie und bei vielen anderen Trägern, die die Unterkünfte, die Versorgung und die Betreuung stemmen.

Oder: Überall in Sachsen führt das Netzwerk für Demokratie und Courage mit seinen 106 eingesetzten Ehrenamtlichen Projekttage an Schulen durch. 347 fanden allein im letzten Jahr statt, davon 14 im Erzgebirgskreis und 17 in Bautzen. Wir könnten noch mehr Projekttage durchführen, wenn wir mehr Ressourcen für die Projekttage selbst und für die Ausbildung der Ehrenamtlichen hätten, die Schlange stehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ganz nebenbei: Das NDC entstand 1999 in Sachsen und wird mittlerweile in fast ganz Deutschland, in Belgien und in Frankreich umgesetzt. Geht doch, Sachsen!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Von all denen habe ich übrigens nie „Grenzen dicht! Verschärft die Asylgesetze!“ gehört. Sie brauchen nämlich etwas ganz anderes.

Erstens brauchen sie Anerkennung. Sie wollen sich im Betrieb, gegenüber Behörden und in ihrem Umfeld nicht dafür rechtfertigen, dass sie sich engagieren. So banal es klingt: Es ist eben auch eine Anerkennung, wenn ihnen neben dem örtlichen Pfarrer und dem Gewerkschaftschef auch die Bürgermeisterin oder der Ministerpräsident den Rücken stärkt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich frage: Wo sind Sie denn, Herr Tillich? In Clausnitz und in Bautzen habe ich wieder einmal nur den SPD-­Minister Martin Dulig und die SPD-Ministerin Petra ­Köpping gesehen, wie übrigens auch bei den bunten Bündnissen und beim DGB, der seit Jahren die Gegendemos anmeldet und dafür noch nie den öffentlichen Dank des Ministerpräsidenten bekommen hat.

Sie, Herr Tillich, betonen, dass es nicht allein Aufgabe von Polizei und Politik ist, sich dem rechten Mob entgegenzustellen. Richtig! Mit diesem Fünkchen Wahrheit zünden Sie allerdings eine große Nebelkerze; denn es ist etwas ganz anderes, Herr Tillich, genau denen, die sich vor Ort engagieren, den Rücken zu stärken, als einmal zum Empfang in die Staatskanzlei einzuladen und huldvoll Danke zu sagen. Das kann man machen – dabei gibt es auch schöne Fotos, vor allem für Sie –, und es tut nicht weh. Davon kann man sich vor Ort aber auch nichts kaufen.

Zweitens braucht es Zeit. In Sachsen gibt es beispielsweise keinen Bildungsurlaub. Warum auch? PISA-Sieger zu sein, reicht doch, oder? Manchmal klingt es fast so; es ist aber falsch. Denn wir brauchen nicht nur an Schulen, sondern weit darüber hinaus gesellschaftliche Bildung.

Drittens muss man das Augenmerk verstärkt auf die Blaulichtorganisationen und deren Ehrenamtliche richten. Es braucht eine moderne Ausstattung, gesetzliche Regelungen für das Einbinden der spontan Helfenden und weniger Bürokratie.

Und viertens braucht es auch Geld. Dass die Ehrenamtlichen noch draufzahlen müssen, wenn sie sich einbringen, kann nicht sein. Es kann auch nicht sein, dass gesellschaftliche Daueraufgaben immer noch in Programmen und Projekten feststecken. Demokratische Daueraufgaben brauchen eine dauerhafte Absicherung. Vereinbart ist das sowohl im NSU-Abschlussbericht als auch im Koalitionsvertrag. Wir müssen es nur noch umsetzen. Ich will das nicht gegen Widerstand erkämpfen müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Fünftens ist noch etwas anderes bitter nötig, und das richtet sich an die sächsischen Behörden und die sächsische Politik: Entkriminalisieren Sie endlich antirassistisches und demokratisches Engagement! Es sind nicht diejenigen das Problem, die sich Rassisten in den Weg stellen. Nein, das ist bitter notwendig, sonst macht es nämlich keiner.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ein Mensch, der sich Rechtsextremen entgegenstellt, ist nicht linksextrem; er ist Demokrat.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme zum Schluss. Ihr Pöbler, die ihr unsere Heimat in den Dreck zieht: Ihr seid nicht Sachsen; ihr seid nicht das Volk. Ihr nicht! Eure brutalen Rückzugsgefechte werden eine offene, demokratische Gesellschaft nicht verhindern. Auch wenn es uns wehtut: Ihr werdet keinen Erfolg haben. Dafür können wir alle sorgen, jeder und jede in seiner und ihrer Verantwortung.

Danke.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Monika Lazar ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

(Günter Baumann [CDU/CSU]: Aber nicht Sachsen beschimpfen!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6590585
Wahlperiode 18
Sitzung 157
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte zu den Ereignissen von Clausnitz und Bautzen
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