24.02.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 157 / Zusatzpunkt 1

Johannes FechnerSPD - Vereinbarte Debatte zu den Ereignissen von Clausnitz und Bautzen

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Der Brandanschlag von Bautzen und die widerlichen Krawalle bei der Busblockade in Clausnitz sind weitere Tiefpunkte aus den vergangenen Tagen. Sie zeigen, dass es leider immer mehr Menschen in Deutschland gibt, die Flüchtlinge auf menschenverachtende Weise angreifen. Es ist abstoßend und bestürzend, dass über 100 Menschen in Clausnitz Flüchtlinge eingeschüchtert und bedroht haben, unter ihnen Familien, etwa Frauen und Kinder, die schlimme Verfolgung und einen gefährlichen Fluchtweg hinter sich haben, die niemandem irgendetwas getan haben, die zu uns gekommen sind, weil sie Schutz vor Terror und Verfolgung suchen. Deshalb ist es beschämend, dass über 100 Menschen diese Flüchtlinge bedroht und eingeschüchtert haben.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Der Rechtsstaat und die Zivilgesellschaft müssen nun offensiv zeigen, dass es in Deutschland keinen Platz für diese menschenverachtenden Attacken gegen Flüchtlinge gibt. Wer Kinder und Frauen bedroht und wer, wie in Bautzen, Wohnunterkünfte anzündet und wer dann auch noch die Feuerwehr bei den Löscharbeiten behindert, der ist ein Krimineller und gehört hart bestraft.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Besorgniserregend ist natürlich nicht nur die Zahl der Anschläge und Attacken in Sachsen. Wir haben es in der Tat mit einem bundesweiten Phänomen zu tun. Niemand, insbesondere kein Redner der SPD-Fraktion heute, hat einen Generalangriff gegen Sachsen geführt.

(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir wissen sehr wohl um die Leistungen der Sachsen; wir haben davor großen Respekt.

Aber es stellen sich doch Fragen, wenn jeder fünfte Angriff gegen Flüchtlingsheime in Sachsen stattfindet. Das bedeutet keine Attacke auf die Polizei in Deutschland. Wir wissen, dass die Polizei gute Arbeit leistet. Wer wüsste, wie es in Bezug auf die Flüchtlingskrise aussehen würde, wenn wir nicht so viele engagierte Polizisten hätten! Also auch da ein Lob von uns an die Polizei; es gibt keinen Generalverdacht gegen sie.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Aber natürlich stellt sich die Frage: Warum wurden in Sachsen in der Vergangenheit nicht genügend Polizeistellen geschaffen? Man muss sich fragen: Warum weiß man über die rechtsradikalen Strukturen dort so wenig und wird von Aufmärschen und Attacken immer wieder überrascht, und wie kann es sein – das hat mich fassungslos gemacht –, dass ein AfD-Mitglied Leiter der Flüchtlingseinrichtung in Clausnitz werden konnte?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Man muss fragen, ob in Sachsen rechte Straftäter so intensiv verfolgt werden, wie es nötig wäre, oder ob dort rechtsradikale Strukturen nicht blauäugig unterschätzt wurden. Die Gegendemonstranten, etwa bei dem Naziaufmarsch in Dresden – es ist schon gesagt worden –, wurden verfolgt; die Telefondaten wurden tausendfach überprüft. So eine intensive Verfolgung muss es auch bei Straftaten von Rechtsradikalen geben. Ich bin deshalb froh, dass der Ministerpräsident angekündigt hat, einige Schritte einzuleiten. Das weist in die richtige Richtung, hätte aber viele Jahre früher kommen müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich finde, es kann insbesondere nicht sein, dass Flüchtlinge gleich unter den Verdacht gestellt werden, die Ausschreitungen selbst provoziert zu haben. Mit dieser Denkweise, dass Neonazis und Rechtsradikale nur auf Provokation reagieren, wird diesen Personen die Rechtfertigung für ihre Taten gegeben. Nein, die Neonazis und die Rechtsradikalen, das sind die Täter, und die gehören bestraft, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ausdrücklich möchte ich hier die zahlreichen Bürgerinitiativen und die vielen tapferen Bürgerinnen und Bürger erwähnen, die in Sachsen für einen menschlichen Umgang mit Flüchtlingen, für Demokratie und für ein weltoffenes Sachsen werben. Sie stellen sich vielerorts couragiert gegen die Rechtsradikalen. Etwa in Clausnitz gab es kurz nach der Busblockade eine Demonstration, an der viel mehr Menschen teilgenommen haben als an der Busblockade. Ich finde, das ist ein ermutigendes Zeichen aus der Zivilgesellschaft. Das sollten wir fördern. Deswegen ist es richtig, dass die SPD-Fraktion eine Verdopplung der Mittel für das Programm „Demokratie leben!“ fordert; sie kann es hoffentlich auch durchsetzen. Wir müssen die Zivilgesellschaft stärken.

(Beifall bei der SPD)

Wir müssen alles tun, damit die fremdenfeindlichen Übergriffe rasch aufgeklärt werden und die Täter konsequent bestraft werden. Es ist deshalb gut, dass Justizminister Maas angekündigt hat, beim nächsten Justizministergipfel eine Initiative zu starten, um rechte Gewalt sichtbarer zu machen. Wir müssen genau wissen, welche und wie viele Delikte von den Rechtsradikalen begangen werden und wo die Justiz mehr Ressourcen braucht, um fremdenfeindliche Taten besser verfolgen zu können.

Vor allem müssen wir uns gegen die geistigen Brandstifter dieser Taten wenden. Wenn etwa die AfD fordert, dass auf Kinder und Frauen bei illegalen Grenzübertritten geschossen werden kann, dann ist das ein Beitrag dazu, dass die Hemmschwelle für Gewaltanwendung fällt und dass es zu solchen Ausschreitungen wie in Heidenau oder in Clausnitz kommt; darüber braucht sich dann niemand zu wundern. Da hat die AfD ihr wahres Gesicht gezeigt. Wer Schüsse auf Kinder als legitimes Mittel der Polizei ansieht, der ist rechtsradikal, der ist keine Alternative für Deutschland, und der darf keinen Sitz in den Landesparlamenten bekommen, die jetzt zur Wahl stehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es trägt auch nicht zur Beruhigung der Lage bei, wenn etwa der bayerische Ministerpräsident sagt – ich zitiere –:

Wir haben im Moment keinen Zustand von Recht und Ordnung. Es ist eine Herrschaft des Unrechts.

Damit verunsichert er die Bürgerinnen und Bürger, und dann darf man sich nicht wundern, wenn diese ihr vermeintliches Recht selber in die Hand nehmen, weil ja laut Seehofer – angeblich – das Unrecht regiert. Wenn also Repräsentanten des Staates wie Seehofer nicht besonnen agieren, sondern die Stimmung durch solch seltsame Ausführungen auch noch anheizen, dann machen sie sich an einer zunehmend vergifteten und aggressiven Stimmung gegen Flüchtlinge in Deutschland mitschuldig, und das können wir nicht zulassen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Willy Brandt hat einmal gesagt:

Wo immer schweres Leid über die Menschen gebracht wird, geht es uns alle an. ... Wer Unrecht lange geschehen läßt, bahnt dem nächsten den Weg.

Lassen Sie uns in diesem Sinne über die Parteigrenzen hinweg unseren Rechtsstaat verteidigen gegen die Verfassungsfeinde und alle diejenigen, die unsere freiheitliche demokratische Grundordnung angreifen und Flüchtlinge attackieren!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Als letztem Redner in dieser Aussprache erteile ich das Wort dem Abgeordneten Michael Kretschmer, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6590657
Wahlperiode 18
Sitzung 157
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte zu den Ereignissen von Clausnitz und Bautzen
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