Michael KretschmerCDU/CSU - Vereinbarte Debatte zu den Ereignissen von Clausnitz und Bautzen
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich am Ende der vergangenen Woche nach Hause gefahren bin und gesehen habe, was in Clausnitz passiert ist – einige Zeit darauf gab es das brennende Heim in Bautzen –, war ich wie die meisten von uns hier, wie die meisten in Deutschland tief erschüttert und habe mich gefragt: Wo führt das hin, und was können wir tun, damit aus dem, was da geschehen ist, nicht ein Solingen II wird – in Solingen sind ja Menschen tatsächlich ums Leben gekommen –, und damit es nicht weiter eskaliert, wie es an anderen Stellen in Baden-Württemberg gewesen ist, wo eine Handgranate auf ein Asylbewerberheim geworfen, oder wie es vor wenigen Tagen in Augsburg war, wo ein junger Asylbewerber aus dem Senegal krankenhausreif geschlagen wurde? Hier ist eine Grenze überschritten, was es ganz klar erforderlich macht, dass wir alle, die Institutionen des Staates, die Politiker, die Gewerkschaften, die Arbeitgeber, die Kirchen, aber auch jeder für sich persönlich sagt: So nicht. So kann es nicht weitergehen!
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wenn der Wohnort zum Tatort wird, ist jeder Einzelne gefragt, weil es an dieser Stelle darum geht, wie wir Konflikte miteinander ausleben, wie wir mit Meinungsunterschieden umgehen, wie wir zusammenleben. Und wir wollen nicht zusammenleben, indem wir uns die Köpfe einhauen, sondern indem wir vernünftig miteinander reden, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Es ist im Interesse jedes einzelnen Bürgers – im Verein, im Familienkreis, am Stammtisch, am Arbeitsplatz –, Argumenten entgegenzutreten, die zu Gewalt und Herabwürdigung anderer aufrufen, und zu sagen: Nein, ich möchte nicht, dass wir so miteinander umgehen. – Deswegen ist es richtig, wenn der Ministerpräsident sagt: Hier ist die gesamte Zivilgesellschaft, hier ist jeder Einzelne gefordert, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann macht doch das Richtige! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er selbst auch! – Zurufe von der LINKEN)
Eine Spirale der Gewalt, die mit Worten beginnt und mit Taten endet, darf es nicht geben. Wir brauchen eine Brandmauer. Und es ist klar: Wer die Feuerwehr bei Löscheinsätzen und Rettungsarbeiten behindert, ist selbst ein Brandstifter und muss nach dem Strafgesetzbuch mit voller Härte verurteilt werden. Deswegen finde ich es richtig, wenn die CDU/CSU sagt: Hier muss das Strafrecht verändert werden, Rettungsdienste müssen besser geschützt werden, Angriffe auf Rettungsdienste müssen anders und stärker geahndet werden.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Bärbel Bas [SPD] – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Verschärfen, verschärfen, verschärfen!)
Herr Kollege, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage aus der SPD-Fraktion.
Jetzt nicht.
Okay.
Ich war im Alter von 14 Jahren – 1989, im Herbst – bei den Friedensgebeten und auch bei den Demonstrationen, die nachts in Görlitz im Dunkeln stattgefunden haben. Und der Ruf „Wir sind das Volk“ hatte damals einen ganz anderen Ton, einen anderen Klang und vor allen Dingen einen anderen Geist als den, den wir vor wenigen Tagen in diesem Video gesehen haben.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagt das den Pegida-Leuten in Dresden!)
Es heißt in Wirklichkeit auch nicht: „Wir sind das Volk“, sondern: „Wir sind ein Volk“. Darum geht es auch in dieser Debatte – Günter Krings hat dazu aufgerufen, die Chance zu nutzen, sich jetzt nicht im Klein-Klein der Parteitaktik zu verheddern, sondern diese Botschaft nach außen zu senden –: Wir müssen gerade in dieser schwierigen Zeit zusammenhalten, in der die Bevölkerung auf der Suche nach den richtigen Antworten ist, in der es immer mehr Polarisierung gibt. Jetzt muss die Politik zusammenhalten. Und es ist bitter, dass einige Kollegen heute diese Chance wieder nicht genutzt haben, sondern das Gegenteil gemacht haben, nämlich sich hier im Parteien-Klein-Klein, im Krakeelen zu ergehen, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Es gibt einen weiteren Wunsch nach einer Zwischenfrage, und zwar von Herrn Beck. Wollen Sie weitersprechen?
Ja. – Hass mit Hass zu beantworten, setzt eine Spirale der Gewalt in Gang, die ins Verderben führt. Juli Zeh hat es im vergangenen Jahr wunderbar gesagt: Öffentliche Diffamierungen führen zu zusätzlicher Aggression. Emotionalität in der Sprache führt dazu, dass die Dinge nur schlimmer werden. – Und eine Politik, die mit dem Finger auf andere zeigt, die Worte wie „Pack“, „Pöbel“ und „Dunkeldeutschland“ – auch in dieser Debatte wieder – nennt, die ist nicht in Ordnung, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Es ist auch nicht in Ordnung, wenn über den Freistaat Sachsen hier ein Zerrbild verbreitet wird, das nur dazu führt, dass die aufrechten Menschen in diesem Land, die in der großen Mehrzahl sind, die sich für Flüchtlinge und für das Gemeinwesen engagieren, mit heruntergemacht werden, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht niemand!)
Zur Wahrheit gehört, dass selbstverständlich der Verfassungsschutz des Freistaates Sachsen,
(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schlecht arbeitet!)
der in den vergangenen Jahren insbesondere von Linken und Grünen bei seiner Arbeit immer wieder behindert worden ist,
(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ha! Da muss ich lachen! Das Gegenteil ist der Fall!)
genau darauf achtet, wenn Rechtsextremisten versuchen, auf asylkritische Proteste Einfluss zu nehmen.
(Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Richtig ist auch, dass in Sachsen im Jahr 1991 die Sonderkommission Rechtsextremismus eingerichtet wurde, dass 2012 das Operative Abwehrzentrum der Polizei Sachsen gegründet wurde, das bis 2015 279 Ermittlungsverfahren wegen Rechtsextremismus mit einer Aufklärungsquote von 73,1 Prozent geführt hat, dass wir im Jahr 2015 die Integrierte Ermittlungseinheit der Justiz gegründet haben, um politisch motivierte Kriminalität besser bekämpfen zu können, und dass wir die Gelder für das Programm „Weltoffenes Sachsen“ von 2005 bis jetzt von 2 Millionen Euro auf 5,1 Millionen Euro aufgestockt haben. Es ist uns wichtig, hier ein klares Signal gegen Rechtsextremismus zu setzen. Denn uns als Union ist es ein Anliegen, diesen braunen Sumpf auszutrocknen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Wir haben das durchgesetzt!)
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es eben nicht nur eine Aufgabe des Staates, sondern auch eine Aufgabe im Kleinen ist. Dass man Rechtsextremismus nicht mit Linksextremismus bekämpfen kann, ist, glaube ich, auch klar. Das muss man aber nach dieser Debatte hier auch noch einmal sagen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, muss man nicht sagen! Sie haben es nicht verstanden!)
In diesem Sinne wünsche ich mir, dass die Chance jetzt nicht vertan wird. In einer Zeit, in der die Menschen auf der Suche nach einer Antwort sind und die große Herausforderung des Flüchtlingsstroms viele Ängste und Sorgen verursacht, ist es wichtig, dass die Politik sich nicht auseinandertreiben lässt, sondern dass die wirklichen Demokraten zusammenstehen und wir die Chance nutzen, dieses Land zusammenzuhalten. Sie braucht es mehr denn je.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Jetzt haben wir noch zwei Kurzinterventionen, die eine vom Kollegen Beck und die andere von der Kollegin Lay. – Herr Kollege Beck fängt an.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6590730 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 157 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte zu den Ereignissen von Clausnitz und Bautzen |