25.02.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 158 / Tagesordnungspunkt 3

Aydan Özoğuz - Einführung beschleunigter Asylverfahren

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Korte hat ganz zu Beginn seiner Rede Willy Brandt erwähnt. Ich habe schnell noch einmal nachgeguckt, ob ein Zitat von Willy Brandt, das mir in den Kopf kam, stimmt. Dieser sagte – Herr Präsident, ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis –:

Ich glaube nicht, dass diejenigen recht haben, die meinen, Politik besteht darin, zwischen schwarz und weiß zu wählen. Man muss sich auch häufig zwischen den verschiedenen Schattierungen des Grau hindurchfinden.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jan Korte [DIE LINKE] – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: In der Opposition natürlich nicht so häufig wie in der Regierung!)

Ich glaube, dass gerade Willy Brandt das sehr beherzigt hat.

Alle hier im Hause vertretenen Parteien regieren auch in den Ländern und wissen eines ganz genau: Es muss uns mindestens nachdenklich machen, dass sich bei vielen in unserer Bevölkerung das Gefühl eingeschlichen hat, wir hier im Deutschen Bundestag würden unsere Arbeit nicht mehr machen, wir würden streiten und nichts auf den Weg bringen, wir würden in der Flüchtlingspolitik nicht mehr so richtig organisieren, wir hätten gar keine richtigen Regelungen.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Falsche!)

– Wir haben bisher durchaus auch viele gute Regelungen, wie ich finde.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Wir arbeiten ja seit vielen Monaten nun wirklich täglich an diesen Gesetzentwürfen. Und ich glaube, jeder hier im Haus weiß, was sich seit 1993 alles verändert hat – seither gab es ja ganz unterschiedliche Regierungen – und was wir alles zum Besseren gewendet haben. Damals gab es ja schon einmal eine Situation, in der wir Flüchtlinge in sehr hoher Zahl bei uns hatten. Wenn man das mit heute vergleicht, muss man sagen: Heute sehen wir in Deutschland ein komplett anderes Bild. Da muss ich Ihnen recht geben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deutschland ist – neben Schweden und einigen anderen Ländern – ein Land, das eine unglaublich hohe Zahl von Flüchtlingen aufgenommen hat bzw. aufnimmt und ihnen helfen kann und auch will.

Aber eines hat mich heute Morgen schwer schockiert – das möchte ich hier sagen –: das Interview mit Viktor ­Orban in einer großen Tageszeitung mit vier Buchstaben – es ist eine ganze Seite lang –, in dem er eine Menge sagt

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal etwas zum Familiennachzug!)

– ich sage gleich noch etwas zu den Gesetzentwürfen –, zum Beispiel zu Europa, zu den verschiedenen Ländern und dazu, wie man selber bleiben will.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist übrigens ein Freund Ihres Koalitionspartners!)

Er sagt aber kein einziges Wort dazu, dass die Flüchtlinge, um die es geht, Menschen sind, die Hilfe brauchen, und dazu, wie wir es in Europa gemeinsam schaffen können, den Flüchtlingen zu helfen.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie auch mal zum Gesetzentwurf!)

Nur zu sagen: „Ich wünsche Angela Merkel viel Glück“, empfinde ich als eine Unverschämtheit; das möchte ich einmal so deutlich sagen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jan Korte [DIE LINKE]: Das ist der Freund Ihres Koalitionspartners!)

Jetzt zu den Gesetzentwürfen. Mir ist wichtig, dass wir die Asylverfahren endlich beschleunigen. Ich sage das auch so; denn das gehört zur Ehrlichkeit dazu. Alle sollen schneller wissen, ob sie bleiben dürfen oder nicht und ob sie einen Grund auf Asyl vortragen können oder nicht. Das ist wichtig, auch für Länder und Kommunen und für alle, die Flüchtlinge unterstützen. Das hören wir immer wieder, wenn wir vor Ort sind.

(Beifall bei der SPD)

Vorhin ging es um die Frage: Was wäre eigentlich, wenn die Sozialdemokraten nicht mitregieren würden? Das kann ich Ihnen sagen. Wenn die SPD nicht mitregieren würde, dann hätten wir heute Transitzonen mit Haftanstalten an unseren Grenzen, und es gäbe eine allgemeine Einschränkung des Familiennachzugs. So wäre es doch.

(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU – Jan Korte [DIE LINKE]: Gut, dass es euch gibt! Das ist doch ein Witz!)

Ich glaube, uns wäre es nicht eingefallen – das habe ich eingangs mit den Grautönen im Brandt-Zitat gemeint –, Einschränkungen gerade an diesen Stellen vorzunehmen. Weil das Thema Familiennachzug hier in der Debatte sehr pauschal behandelt wurde, möchte ich deutlich machen, dass hierzu viele Regelungen getroffen wurden.

Erstens. Die getroffenen Regelungen betreffen bei weitem nicht alle, sondern nur eine kleine Gruppe von Flüchtlingen. Sie alle sind Menschen; gar keine Frage. Aber es ist nur eine kleine Gruppe, die den subsidiären Schutz bekommt. 1 700 Menschen waren es 2015 und sind eben etwas anderes als 1,1 Millionen Menschen; das muss man klar sehen.

(Beifall bei der SPD)

Das Zweite ist, dass die Regelung zum Familiennachzug nach zwei Jahren automatisch außer Kraft tritt. Das heißt, wer in einigen Monaten zu uns kommt, der ist von der Regelung bezüglich der zwei Jahre nicht vollumfänglich betroffen. Wer beispielsweise in einem Jahr zu uns kommt, für den gilt sie nur ein Jahr. Das ist notwendig, um ein Stück weit für eine Atempause zu sorgen, auch wenn es nur um eine kleine Gruppe geht. Das ist aber auf jeden Fall etwas anderes, als zu sagen, es sei grundsätzlich etwas beim Familiennachzug geändert worden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sehr wichtig ist mir, dass nach den §§ 22 und 23 Aufenthaltsgesetz weiterhin Ausnahmen für Härtefälle möglich sind. Wir sollten, glaube ich, den Worten des Bundesinnenministers Glauben schenken, der meiner Fraktion sehr deutlich gesagt hat – darauf vertrauen wir, und Vertrauen ist etwas Wichtiges in der Politik –: Es wird keine Weisung an das BAMF geben, die Entscheidungspraxis bei syrischen Schutzsuchenden zu ändern. – Das möchte ich ganz deutlich unterstreichen.

(Beifall bei der SPD)

Jeden Tag neue Vorschläge zu machen, führt wirklich nicht zum Ziel; wie ich gerade hörte, hat auch Herr Kauder das schon gesagt. Ich glaube, das sollten wir alle unterstreichen. Deswegen möchte ich eine Sache gerne richtigstellen – in der letzten Woche ist hier nämlich etwas gesagt worden, was falsch war; aber was eine große Wirkung in unser Land hinein haben kann. –: Der Kollege Strobl stand hier und meinte, es sei ein Integrationshindernis, dass wir im Zuwanderungsgesetz für anerkannte Flüchtlinge nach drei Jahren ein unbefristetes Daueraufenthaltsrecht eingeführt haben und dass dieses Recht voraussetzungslos sei – ich zitiere –, „gleichviel, ob man straffällig geworden ist“. So haben Sie es gesagt, Herr Kollege Strobl. Aber Sie wissen ganz genau: Das Ausweisungsrecht gilt auch für anerkannte Flüchtlinge. Ich möchte Sie bitten, solche Sachen von dieser Stelle aus nicht mehr zu sagen, nur weil sich das für Sie irgendwie gut anhört.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Soweit ich weiß, hat aber auch die Union diese Regelungen damals mitgetragen.

Zuletzt komme ich auf das, was auch Frau Göring-Eckardt schon angesprochen hat. Wir brauchen tatsächlich ein Integrationspaket;

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schon lange!)

wir brauchen es jetzt und schnell. Viele Dinge haben wir schon verbessert. Übrigens haben wir das in der Vergangenheit oftmals schon gemeinsam mit den Grünen gemacht. Es sollte auf jeden Fall so sein, dass junge Auszubildende nach der Drei-plus-zwei-Regelung behandelt werden. Wir hatten doch in der Vergangenheit die Situation, dass Hochschulabsolventen mit dem Tag ihrer Exmatrikulation das Land verlassen sollten.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie mal ein Integrationspaket!)

Jeder hat gesagt, wie absurd das ist. Bei Auszubildenden sollte es also so sein: Wenn sie mit der Ausbildung fertig sind, sollen sie ihre Kenntnisse im Betrieb anwenden und zwei Jahre bleiben können. Und dann gibt es sowieso eine Bleibeperspektive für sie.

(Beifall bei der SPD)

Es ist klar, dass wir für Flüchtlinge den Arbeitsmarktzugang weiter verbessern müssen. Wir dürfen aber auch niemals diejenigen vergessen, die schon seit vielen Jahren in unserem Land keine Arbeit finden.

Und natürlich müssen wir noch über den sozialen Wohnungsbau sprechen. Das ist doch für uns alle hier ein ganz wichtiges Anliegen. Es gilt übrigens besonders für die Metropolen, wo schon jetzt kaum Wohnungen vorhanden sind.

Frau Staatsministerin.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Ich kann nur dafür werben, dass wir dieses Paket jetzt gemeinsam tragen und auch sehr schnell sagen, wie die Integration all derjenigen, die bei uns bleiben – es werden viele sein –, sehr schnell und sehr gut gelingen kann.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Katja Dörner ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6594295
Wahlperiode 18
Sitzung 158
Tagesordnungspunkt Einführung beschleunigter Asylverfahren
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