Rainer SpieringSPD - Umsetzung der Richtlinie über Tabakerzeugnisse
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Bevor ich einsteige: Herr Tempel, das war der beste Werbeblock für E-Zigaretten, den ich in letzter Zeit in der Primetime gehört habe. Herzlichen Glückwunsch zu diesem Werbeblock in der Primetime!
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Wir sprechen heute über das Tabakerzeugnisgesetz. Der Minister hat etliches von dem, was technologisch abzuarbeiten ist, dargestellt. Ich möchte mich vorab bei all denen bedanken, die sich an der Debatte beteiligt haben. Es waren ausgesprochen schwierige Diskussionen. Da ich aus meinem Herzen keine Mördergrube machen will – das werde ich in diesem Moment auch nicht tun –, möchte ich sagen: Wir haben es mit einem Wirtschaftszweig zu tun, dessen Gebaren bei der Wahl seiner Mittel für mich fremd ist; das will ich deutlich sagen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Es war sehr schwierig, in diesem Punkt Einvernehmen herzustellen.
Herr Tempel, Sie haben eben die E-Zigarette angesprochen. Nun spricht ein direkt Betroffener; denn ich bin Raucher. Ich werde mir Ihre Erwägungen durch den Kopf gehen lassen. Ob sie zünden, weiß ich nicht. Bei dieser Frage geht es nämlich um eine Abwägung: Auf der einen Seite haben wir die Zigarette. Hierzu hat Herr Tempel Zahlen genannt, die ich so nicht kenne. Gleichwohl, es ändert nicht viel: Die Zigarette ist ein gesundheitsschädliches Konsumgut. Auf der anderen Seite haben wir den freien Willen von Menschen, etwas zu konsumieren, was für sie nicht gut ist. Dieser Abwägung mussten wir Rechnung tragen.
Das versuchen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zu tun. Er wird natürlich nicht perfekt sein. Aber ich glaube, er ist gut und im Rahmen des Möglichen das Beste, was wir derzeit tun können. Er geht auch konform mit dem EU-Recht, was ich ebenfalls für sehr wichtig und sehr wertvoll halte; wir sind uns da mit unseren europäischen Partnern einig. Der Gesetzentwurf versucht, die Risiken, die das Rauchen mit sich bringt, so weit wie möglich einzuschränken, und das unter Beibehaltung der Möglichkeiten des Konsums. Das ist ein schwieriger Schritt, und er ist, glaube ich, gelungen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Bei der Auseinandersetzung mit der Zigarette ist mir etwas aufgefallen. Es ist ja häufig so, dass einem, wenn man sich intensiv mit einem Thema beschäftigt, auch Widersprüche auffallen. Über den Widerspruch, den ich Ihnen gleich nennen werde, werden Sie sich vielleicht wundern. Als ich mich mehr und mehr mit den Folgen des Rauchens auseinandergesetzt habe, während ich gleichzeitig an den Sitzungen des Ausschusses für Landwirtschaft teilgenommen habe, haben sich für mich Widersprüche aufgetan, die mich wirklich erschrocken haben.
Wir diskutieren über ein Konsumgut, von dem wir wissen, dass es schädlich ist. Gleichzeitig erleben wir, dass die Landwirtschaft schwer um ihre Existenz kämpft. Ich bin vor vier oder fünf Wochen in eine Filiale einer großen Einzelhandelskette gegangen, um für das Abendessen das Notwendige zu kaufen, unter anderem Kartoffeln. Dabei habe ich festgestellt, dass 1 Kilogramm Schnitzel für 4 Euro angeboten wird. Gleichzeitig wird eine Schachtel Zigaretten, die 6 Euro kostet, den Verkäufern geradezu aus den Händen gerissen. Kolleginnen und Kollegen, das geht so nicht. Das passt in unserem Land nicht zusammen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Das ist keine Anerkennung der Leistungen in der Landwirtschaft. Wir müssen dringend darüber nachdenken, ob die Prozesse, die wir dort erleben, richtig sind, oder ob wir dem, was durch menschliche Arbeit geschaffen wird, nicht mehr Rechnung tragen sollten, um so den Bäuerinnen und Bauern und ihren Produkten zu viel mehr Anerkennung zu verhelfen. Sollten wir uns nicht viel intensiver damit beschäftigen, wie wir die Dinge, die uns krank machen, beseitigen können?
Nikotin ist ein hochwirksames Nervengift; das wissen wir alle. Wir müssen daher alles tun, um das Nikotin und seine Folgen in den Griff zu bekommen. Ich glaube – das habe ich eben schon einmal gesagt –, dass der Gesetzentwurf dem Rechnung trägt. Der Minister hat die Umsetzungsfrist angesprochen. Wahrscheinlich wird es am Ende des Tages darüber die heikelste Diskussion geben. Man muss dazu sagen: Es gibt die technische Möglichkeit des Umsetzens, so die Experten. Da es sie gibt und ich großes Vertrauen in die Fähigkeiten der deutschen Technologie habe, gehen wir jetzt diesen Weg. Das ist aber auch der Tatsache geschuldet, dass sich die Tabakindustrie uneins war und uns die Möglichkeiten genommen hat, überhaupt gesetzgeberisch tätig zu werden. Das ist nämlich die Wahrheit dahinter: Die Umsetzungsfrist ist an der Tabakindustrie selbst gescheitert.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Wenn wir uns jetzt mit der Zukunft auseinandersetzen, werden wir uns mit der Frage beschäftigen müssen, was wir in Zukunft noch machen wollen. Wir befinden uns jetzt beim ersten Gesetzentwurf. Ein zweiter wird folgen, der sich mit der Werbung und den Zusatzstoffen beschäftigen wird. Wir werden die Zusatzstoffe sehr kritisch beobachten müssen, die dem Raucher etwas suggerieren, was das reale Produkt überhaupt nicht bringt. Das beste Beispiel ist Menthol. Wir kennen Menthol als etwas eigentlich Gesundheitsförderndes. Beim Inhalieren des Zigarettendampfes wird suggeriert: Wir nehmen etwas zu uns, das gesundheitsfördernd ist. Das glauben wir; in Wahrheit ist es aber gesundheitsschädlich.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das hat mir aber der Helmut Schmidt nie geglaubt!)
– Herr Kauder, das weiß ich, und das wissen Sie. Helmut Schmidt hat es bestimmt auch gewusst. Es hat ihn schlicht und ergreifend nicht interessiert. Damit kommen wir an die Stelle, wo der einzelne Mensch die Möglichkeit haben muss, selbst zu entscheiden.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Richtig!)
– Herr Kauder, wir als Gesetzgeber sollten aber dafür Sorge tragen, die Menschen davor zu schützen, etwas zu tun, was sie vielleicht selber gar nicht wollen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Das ist Dialektik!)
– Danke für die Zustimmung.
Wir werden also die charakteristischen Aromen, die schädlich sind, vom Markt nehmen. Und wir werden uns mit den Zusatzstoffen Vitamine, Koffein und Taurin beschäftigen und sie vermutlich auch per Gesetzeskraft verbieten. Und das ist auch gut und richtig so.
Wie sieht die Zukunft aus? Wir werden uns mit dem Werbeverbot auseinandersetzen müssen. Die Anhörung hat sehr deutlich ergeben, dass das Bedürfnis nach Konsum in jungen Jahren entsteht. Wir werden alles daransetzen müssen, Kollege Tempel, um das Konsumverhalten von vornherein so zu steuern, dass junge Menschen nicht auf die Idee kommen, etwas zu konsumieren, das für ihren Lebensweg schädlich ist. Das ist die Aufgabe des Gesetzgebers.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Deswegen werden wir uns intensivst bemühen, ein durchgängiges Werbeverbot zu erlassen, um junge Menschen davon abzuhalten, etwas zu tun, was für sie nicht gut und richtig ist.
Man könnte natürlich der Zigarettenindustrie auch anbieten, eine Werbung mit einem Plakat zu machen, das zu 65 Prozent Warnhinweise enthält. Ob ihr das so gefällt, weiß ich nicht. Ich würde eher vermuten, dass das nicht der Fall sein wird. Es wird aber im nächsten Schritt unsere Aufgabe sein, bei der Außenwerbung – bei der Werbung insgesamt – ein großes Augenmerk darauf zu richten, etwas klarzustellen.
Deutschland ist das einzige EU-Land, das noch Außenwerbung erlaubt; denn in Bulgarien ist sie mittlerweile auch nicht mehr erlaubt. Ich glaube, wir sollten uns da der Weisheit der europäischen Staaten anschließen und Außenwerbung auch in Deutschland untersagen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU], an die SPD gewandt: Etwas mehr!)
– Herr Kauder, zu Ihrer Linken hat man vernünftigerweise auch geklatscht.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ist in Ordnung! Aber die Sozialdemokraten haben nicht mit genügend Empathie geklatscht! Und die habe ich ermuntert! – Heiterkeit)
– Das ist nett von Ihnen, Herr Kauder. Dafür bin ich Ihnen dankbar.
(Marcus Held [SPD]: Wir sind noch im Diskussionszyklus!)
Ich möchte meine Ausführungen damit beenden, mich noch einmal ausdrücklich beim Minister für die gute Zusammenarbeit zu bedanken. Ich glaube, wir haben im Rahmen des Möglichen das getan, was wir tun konnten, um hier heute einen ausgesprochen schwierigen Gesetzentwurf einvernehmlich zu verabschieden.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Der Kollege Frank Tempel hat jetzt für eine Kurzintervention um das Wort gebeten. Bitte schön.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6594527 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 158 |
Tagesordnungspunkt | Umsetzung der Richtlinie über Tabakerzeugnisse |