26.02.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 159 / Tagesordnungspunkt 21

Silke LaunertCDU/CSU - Übereinkommen gegen Diskriminierung der Frau

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! 0800 0116 016:

(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Frauennotrufnummer!)

Alles Mögliche haben wir heutzutage in unseren Smartphones gespeichert. Aber welche Frau verfügt in ihrem Telefonbuch über diese Nummer? Wer von uns kennt diese Nummer überhaupt? Normalerweise müssten sie mindestens 40 Prozent der in Deutschland lebenden Frauen kennen und auf ihrem Handy unter „H“ wie Hilfetelefon abgespeichert haben. Denn – das zeigt auch der Bericht – laut Studien sind etwa 40 Prozent der Frauen seit ihrem 16. Lebensjahr mindestens einmal psychischer und/oder sexueller Gewalt ausgesetzt gewesen.

Die Nummer, die ich gerade genannt habe, ist die Nummer des Hilfetelefons, das seit März 2013 zur Verfügung steht und in dem Bericht ausdrücklich lobend angesprochen wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Die Bundesregierung hat damit eine wichtige Lücke im Hilfesystem geschlossen. Denn das Telefon ist ein kostenloses, bundesweites und anonymes Erstberatungsangebot bei allen Formen von Gewalt. Es bietet Betroffenen, Angehörigen oder sonstigen Personen unkomplizierte Hilfe rund um die Uhr und in 15 Sprachen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir brauchen Angebote wie dieses für alle, und damit meine ich wirklich: für alle. Denn jedem muss klar sein, dass Gewalt gegen Frauen überall stattfindet, jederzeit und in allen Schichten.

Ich teile die hier angesprochene Ansicht, dass es nichts mit Diskriminierung zu tun hat, wenn ein Mann seine Frau verprügelt, leider nicht. Das zeigt nicht nur ein großer Teil des Berichts. Wenn Frauen körperlich oder sexuell Gewalt erfahren, hat das häufig etwas mit Macht und mit Kleinhalten zu tun. Auch das ist für mich eine Form von Diskriminierung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese Erkenntnis kommt aber spät!)

Spätestens mit den Vorfällen in der Silvesternacht in Köln haben wir erlebt, dass sexuelle und körperliche Gewalt auch öffentlich passiert. Körperliche oder sexuelle Gewalt gegen Frauen kommt überall vor: auf öffentlichen Plätzen und Straßen, am Arbeitsplatz und oft zu Hause in den eigenen vier Wänden. Es ist erschreckend, wenn man hört, dass Frauen von häuslicher Gewalt mehr bedroht sind als durch andere Gewaltdelikte wie Körperverletzung mit Waffen, Wohnungseinbrüche oder Raub.

Sexuelle oder körperliche Gewalt gegen Frauen reicht von einfachen Belästigungen wie anzüglichen Bemerkungen oder einem Klaps auf den Po über Schläge, Verprügeln, Stalking und Vergewaltigung bis hin zu Tötungsdelikten, nicht selten innerhalb von partnerschaftlichen oder familiären Beziehungen. Diese Übergriffe steigern sich dann im Hinblick auf Häufigkeit und Intensität.

Mich hat es oft erschreckt, zu erleben, dass Opfer gerade dem Partner gegenüber später im gerichtlichen Verfahren sich selbst die Schuld gegeben und das Verhalten des Partners entschuldigt haben. Sie haben immer mehr das Gespür dafür verloren, was man eigentlich in einer Beziehung akzeptieren sollte und was nicht.

So vielfältig diese Formen von Gewalt gegenüber Frauen sind – ich habe gar nicht alle Formen der Gewalt angesprochen –, so vielfältig sind auch die strafrechtlichen Einordnungen. Sie reichen von der einfachen Beleidigung bis hin zu Stalking, Körperverletzung, Vergewaltigung oder auch Tötungsdelikten. Leider bestehen im Strafrecht erhebliche Strafbarkeitslücken. Deshalb – das haben einige Kollegen schon zu Recht gesagt – braucht man beides: die Debatte in der Bevölkerung wie auch in manchen Fällen die Änderung des Rechts. Wir als Gesetzgeber müssen genau da ansetzen. Denn als Bundesgesetzgeber sind wir definitiv für die Reform des Strafrechts zuständig.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ein Beispiel ist die Reform der Straftatbestände bei Menschenhandel und Zwangsprostitution. In den nächsten Wochen und Monaten wird sicherlich ein Gesetzentwurf eingebracht. Denn es ist kein Geheimnis, und es ist auch keine Übertreibung, wenn ich sage, dass junge Mädchen und Frauen mitten in Europa wie Ware gehandelt werden. Sie werden wie Frischfleisch angepriesen und von einem Bordell ins nächste verkauft, benutzt und weggeworfen. Da müssen wir tätig werden – leider hat das gutgemeinte Prostitutionsgesetz zum Teil das Gegenteil bewirkt –; wir müssen die ersten Schritte gehen und werden sehen, wie praxistauglich diese sind.

Auch im Bereich des Stalkings hat der Bundesjustizminister vergangene Woche einen Entwurf vorgelegt. Ich freue mich sehr darüber. Denn auch das zeigen die Statistiken: Es wurden 25 000 Fälle zur Anzeige gebracht, und es gab 400 Verurteilungen. Und warum? Ein erheblicher Grund für dieses Missverhältnis besteht in der Fassung des Straftatbestandes. Es ist nicht in Ordnung, zuerst zu verlangen, dass das Opfer wegen der permanenten Belästigungen seinen Arbeitsplatz wechselt oder umzieht. Wir müssen hier früher ansetzen. Ich freue mich, dass Justizminister Maas nun das Thema aktiv angeht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Mechthild Rawert [SPD]: Nein heißt nein!)

Das nächste Thema – Sie sprachen es schon an – ist die Reform des Vergewaltigungstatbestandes. Hier wird in den nächsten Wochen ein Entwurf in die Gesetzgebung eingebracht werden. Auch hier gibt es gravierende Schutzlücken, und zwar schon vor den Ereignissen in der Kölner Silvesternacht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Es kann nicht sein, dass die Fälle, in denen sich die Frau nicht wehrt, weil der Täter überlegen ist, oder in denen sich die Mutter nicht wehrt, wenn sie vergewaltigt wird, weil sie ihr Kind nicht aufwecken will, nicht bestraft werden.

Die Rechtslage zu verbessern, ist das eine. Ich höre immer wieder, dass die Gesetze nichts bringen. Manchmal ist das so; das räume ich ein. Aber eine frühzeitig eingreifende Strafbarkeit kann vieles verhindern. Ich nenne als Beispiel den Bereich des Stalking. Wenn Opfer zur Polizei oder zur Staatsanwaltschaft gehen und ihnen dort gesagt wird, das sei doch nichts, und sie schließlich weggeschickt werden, dann spricht sich das herum. Die Opfer nehmen das mit. Glauben Sie mir: Gerade im Bereich des Stalking ist es wichtig, die Täter frühzeitig zu erreichen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Nicht wenige von ihnen haben psychische Schäden. Nicht selten führen diese harmlosen Stalking-Delikte zu einer Steigerung, bis hin zur Tötung.

Ein weiterer Aspekt ist die Finanzierung. Sie haben recht: Die Finanzierung ist ein Hauptproblem. Dabei sind wir als Bund häufig nicht zuständig. Aber das Thema im Hinblick auf den Bericht anzusprechen, ist völlig richtig. Mir tut es in der Seele weh – dabei läuft in Bayern in diesem Bereich vieles besser als woanders –,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

wenn ich erlebe, dass lokale Einrichtungen wie der Notruf der Diakonie Hochfranken oder die „Schutzhöhle“ ums Überleben kämpfen müssen und dass nur dank der Medien, des Fernsehens und der Zeitungen, Gelder akquiriert werden, die das Überleben solcher Einrichtungen sichern. Jeden Euro, den wir an dieser Stelle sparen, müssen wir hinterher – genauso wie in der Jugendhilfe – mehrfach wieder ausgeben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Wenn wir die Opfer gleich zu Beginn alleine lassen und nicht optimal betreuen, tragen viele gesundheitliche Schäden davon. Auch die Kosten sind enorm. Viele Opfer landen in der Erwerbsunfähigkeit, weil sie mit den Belastungen nicht zurechtkommen. Daher kann ich nur sagen: Auch wenn der Bund nicht zuständig ist, sollten wir an einem Strang ziehen und uns eine Strategie überlegen. Hier bin ich sofort bei Ihnen. Das ist ein Bereich, den wir auch im Hinblick auf die Flüchtlingskrise nicht vernachlässigen dürfen. Ganz im Gegenteil: Wir werden ihn sogar ausbauen müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wenn wir nicht wollen, dass sich Frauen aus Scham nicht melden, dann müssen wir dieses Thema mitten in die Gesellschaft bringen, und zwar nicht nur einmal am 8. März eines jeden Jahres, sondern immer wieder. Wenn wir wollen, dass Taten zur Anzeige gebracht werden und dass Männer, die zu solchen Taten neigen, therapiert werden, dann müssen sich mutige Nachbarn bei der Polizei melden, wenn sie hören, dass eine Frau zu Hause verprügelt wird. Wir müssen zudem junge Mädchen ermutigen, sich selbst einzugestehen, dass vielleicht in der eigenen Beziehung eine Grenze längst überschritten ist und dass man Hilfe in Anspruch nehmen sollte.

Allen Betroffenen sage ich: Das Wählen der 0800 0116 016 kann die Eintrittskarte in ein neues Leben sein.

Vielen Dank.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6598995
Wahlperiode 18
Sitzung 159
Tagesordnungspunkt Übereinkommen gegen Diskriminierung der Frau
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