Thomas OppermannSPD - Regierungserklärung zum Europäischen Rat am 17./18. März 2016 in Brüssel
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der EU-Gipfel in den nächsten beiden Tagen wird einer der wichtigsten der letzten Jahre sein. Denn nach wie vor befindet sich die Europäische Union in einer äußerst angespannten Lage. Es geht um die Frage: Überwinden wir die Flüchtlingskrise gemeinsam auf einem europäischen Weg, oder zerfällt Europa in einzelne nationale Entscheidungen?
Wir haben in den letzten Wochen gesehen, wohin nationale Alleingänge führen: Das Schengen-System ist an vielen Stellen außer Kraft, es gibt diplomatische Spannungen zwischen EU-Staaten, und Griechenland trägt zurzeit die ganze Last der Probleme. Das ist keine dauerhafte Lösung, und das ist auch nicht der richtige Weg für Europa.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Deshalb sind die Ergebnisse des EU-Türkei-Gipfels der vergangenen Woche aus meiner Sicht ein gutes Zwischenergebnis. Es war auf diesem Gipfel das erste Mal seit längerer Zeit wieder spürbar, dass es ein gemeinsames Interesse an einer europäischen Lösung gibt. Deshalb hoffe ich sehr, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie in den nächsten beiden Tagen aus diesem Zwischenergebnis einen tragbaren, dauerhaften Kompromiss entwickeln können.
Dazu gehören für uns erstens ein Rücknahmeabkommen zwischen der EU und der Türkei, zweitens eine Vereinbarung über Flüchtlingskontingente, mit denen wir die Türkei entlasten und unsere eigenen humanitären Verpflichtungen erfüllen können, drittens die europäische Unterstützung von Griechenland und viertens ein klares Signal, dass die EU entschlossen ist, die Fluchtursachen entschieden zu bekämpfen. Mit einem solchen Ergebnis können wir die Spaltung der Europäischen Union in der Flüchtlingsfrage überwinden und die Flüchtlingsströme reduzieren und wieder in geordnete Bahnen lenken.
(Beifall bei der SPD)
Vor allem aber ist es wichtig, dass alle Flüchtlinge wissen: Wer mit Schleppern über die Ägäis kommt, der muss damit rechnen, wieder zurückgeschickt zu werden. Denn erst dann werden die Flüchtlinge aufhören, ihre Ersparnisse den Schleppern anzuvertrauen, und erst dann werden wir in der Lage sein, den kriminellen Banden in der Ägäis endlich das Handwerk zu legen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Meine Damen und Herren, ich weiß, dass diese Lösung nicht jedem gefällt. Der UN-Menschenrechtskommissar hat die geplante Rückführung von Flüchtlingen kritisiert.
(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat er ja auch recht!)
Das ist ein gewichtiges Wort, das wir ernst nehmen müssen. Ich bin mir sicher, dass der EU-Gipfel diese Kritik aufnehmen und menschenwürdige und rechtskonforme Lösungen finden wird, um die Zusammenarbeit mit der Türkei zu ermöglichen. Das ist aus zwei Gründen wichtig:
Erstens. Die Sicherung der europäischen Außengrenze in der Ägäis ist ohne die Kooperation zwischen Griechenland und der Türkei ausgesprochen schwierig. Wenn uns hier keine Übereinkunft mit der Türkei gelingt, dann wird es überall in Europa zu einer nationalen Grenzschutzpolitik, zu einer Renationalisierung der Grenzen und zu einer schweren Beeinträchtigung der Freizügigkeit und der Reisefreiheit kommen.
Ich darf daran erinnern: In Deutschland hängt jeder vierte Arbeitsplatz direkt von der Exportwirtschaft ab.
(Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD])
Der Export-Vizeweltmeister Deutschland als abgeschotteter Nationalstaat: Das wäre ein Treppenwitz der Geschichte. Mit Grenzschließungen können wir unseren Wohlstand nicht erhalten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Zweitens. Trotz aller berechtigten Kritik an Präsident Erdogan und seiner Politik gilt: Syrische Flüchtlinge sind in der Türkei sicher. Die Türkei gibt mehr Syrern Schutz und Sicherheit als alle anderen europäischen Länder zusammen.
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Außer Kurden!)
Deshalb ist eine überhebliche und herablassende Haltung gegenüber der Türkei in der Flüchtlingsfrage völlig unangebracht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Es gibt in diesem Land allerdings zwei gravierende Mängel bei der Flüchtlingsunterbringung.
Darf die Kollegin Hänsel eine Zwischenfrage stellen?
(Christine Lambrecht [SPD]: Oh nein!)
Ja, bitte.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6675058 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 160 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung zum Europäischen Rat am 17./18. März 2016 in Brüssel |