Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kauder,
(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht jetzt die Therapiesitzung weiter?)
wenn Sie festgestellt haben, dass es in Berlin Viertel gibt, in denen die Polizei nicht mehr präsent ist und Kriminalität nicht mehr bekämpft, dann empfehle ich, dass Sie das dem Berliner Innensenator, Herrn Henkel, mitteilen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wenn Sie das nicht machen, übernehme ich das gern.
Ich muss Ihnen sagen: Ich als Berliner Bundestagsabgeordnete habe das noch nicht feststellen können.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das sagt gar nichts!)
Ich finde, wir sollten so etwas auch nicht herbeireden. Unsere Polizei ist landauf, landab gut aufgestellt, auch in Berlin.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Lieber Herr Kauder, in der Koalition können wir gleich morgen über mehr Geld für die Einbruchsicherung und auch über mehr Unterstützung für die Polizei sprechen. Da haben Sie uns, die SPD-Bundestagsfraktion, wirklich ganz an Ihrer Seite.
(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!)
Sie wissen auch, dass wir bei den Gesprächen immer eher in diese Richtung gedrängelt haben, als dass wir da blockiert haben.
(Zuruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU])
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich lenke unseren Blick wieder zurück auf die Lage in Europa und auf den bevorstehenden Gipfel. Ich möchte damit beginnen, dass ich noch einmal hervorhebe, dass die Lage in Griechenland und die Bilder aus Idomeni uns jeden Tag vor Augen führen – das sage ich jetzt sehr deutlich –, wie grausam Grenzschließungen sind und welch gravierender Verstoß gegen Menschenrechte und gegen internationales Asylrecht diese Grenzschließungen zwischen Mazedonien und Griechenland sind und wie absurd, sinnlos und hilflos solche nationalen Alleingänge sind. Deshalb, Frau Bundeskanzlerin, haben Sie uns, die SPD-Bundestagsfraktion, selbstverständlich an Ihrer Seite, wenn es darum geht, eine gemeinsame europäische Politik zu gestalten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ich möchte eines noch einmal ganz deutlich sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wenn Personen vor Verfolgung, vor Folter, vor Vertreibung und vor Krieg fliehen, dann hat jede einzelne dieser Personen das Recht darauf, in Europa um Schutz zu bitten – jede einzelne Person.
(Beifall bei der SPD)
Diese Personen handeln nicht illegal – auch nicht, wenn sie von der Türkei nach Griechenland kommen –, sondern sie haben einen Anspruch darauf, dass wir ihr Anliegen prüfen. Sie haben einen Anspruch auf ein faires Verfahren, und wenn sie schutzberechtigt sind, haben sie auch einen Anspruch auf Schutz. Deswegen erübrigt sich in dieser Debatte jede Diskussion über Obergrenzen, über Tageskontingente oder über Grenzschließungen, weil sie weder rechtlich zulässig noch, wie ich finde, moralisch vertretbar, sinnvoll oder wirksam sind.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt keine einfachen Antworten, weil wir natürlich wissen, dass nicht alle Menschen, die verfolgt sind, nach Europa kommen können und auch nicht alle in Deutschland Zuflucht finden können; das haben wir hier schon oft betont. Es gibt nur schwierige Antworten, um die lange gerungen werden muss. Eines will ich aber deutlich sagen – das haben Sie herausgestrichen, Frau Bundeskanzlerin –: Die Antwort liegt in einer gemeinsamen europäischen Politik. Alle anderen Antworten sind unzureichend, und deswegen müssen wir gemeinsam daran arbeiten.
Ich finde, wir müssen klarmachen, dass es etwas geben muss zwischen einer Festung Europa auf der einen Seite – was wir nicht wollen, sind Stacheldraht und Grenzpolizei – und einer unkontrollierten und unbegrenzten Einwanderung auf der anderen Seite; das wollen wir natürlich auch nicht. Was wir wollen und woran wir gemeinsam in Europa arbeiten müssen, sind Recht und Ordnung sowie faire Verfahren. Ich finde, es lohnt sich, unsere gesamte politische Anstrengung genau darauf zu lenken, dass wir in Europa diesen Weg weiter beschreiten.
(Beifall bei der SPD)
Dies setzt voraus – das ist schon erwähnt worden; ich möchte es aber noch einmal betonen –, dass wir Griechenland unterstützen. Ja, es gehört zur Wahrheit, dass wir – Deutschland – es waren, die die Mitgliedstaaten, die eine EU-Außengrenze haben, insbesondere die Mitgliedstaaten am südlichen Rand der Europäischen Union, in den vergangenen Jahren mit dem Thema Flüchtlingspolitik alleingelassen haben. Diese Politik müssen wir jetzt ändern.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Es ist wichtig, dass wir das Dublin-System weiterentwickeln. Das Dublin-System ist von der Anlage gut und richtig; es beinhaltet richtige Prinzipien. Aber wir merken jetzt, dass es unter diesem enormen Druck nicht funktioniert, und wir stellen auch fest, dass sich nicht alle Mitgliedstaaten daran halten. Deswegen ist es wichtig, dass wir das Dublin-System weiterentwickeln, und zwar in die Richtung, wie es ursprünglich einmal angelegt war: Wir müssen eine einheitliche Registrierung, einheitliche Standards und einheitliche Kriterien für die Überprüfung, ob eine Person Schutz bekommt, schaffen.
Ich würde das Dublin-System auch gerne in die Richtung weiterentwickeln, dass wir einen einheitlichen Flüchtlingsausweis für ganz Europa bekommen. Das ist sicherlich noch Zukunftsmusik, aber ich glaube, dass es sinnvoll und richtig wäre, wenn wir mit dem Dublin-System genau dahin kämen.
(Beifall bei der SPD)
Ein paar Sätze zur Türkei. Auch ich bin der Auffassung – dieser Auffassung ist die gesamte SPD-Bundestagsfraktion –, dass wir die Türkei als Gesprächspartner brauchen. Die Türkei ist das Nachbarland von Syrien. Die meisten Flüchtlinge, die jetzt versuchen, über die Balkanroute zu kommen, kommen von Syrien über die Türkei. Die Türkei ist ein wichtiger und notwendiger Partner, aber selbstverständlich – das ist heute schon gesagt worden – nicht um jeden Preis. Das sagt auch niemand, der für die Zusammenarbeit mit der Türkei wirbt. Selbstverständlich nutzen wir die Gespräche auch, um die Einhaltung der Menschenrechte und der Pressefreiheit sowie die Situation der Kurdinnen und Kurden anzusprechen. Aber wenn die Zusammenarbeit mit der Türkei unsere Möglichkeit ist, legale Wege nach Europa zu öffnen, den Schleppern das Handwerk zu legen und in Europa zu einer einheitlichen Politik zu kommen, dann ist das alle Anstrengung wert, dann lohnen sich die Gespräche mit der Türkei, und dann ist das sinnvoll und richtig.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die Türkei möchte von uns gern Erleichterungen in der Visapolitik und eine Visafreiheit haben. Ich wundere mich ein bisschen – jetzt gucke ich ein wenig nach rechts –, wer sich jetzt alles zu Wort meldet und sagt, dass es nicht vereinbart und auf keinen Fall machbar sei, mit der Türkei über Visaerleichterungen zu sprechen. Wir haben das längst vereinbart. Die Gespräche laufen seit 2012. Das, was wir jetzt vereinbart haben, ist genau der richtige Weg, nämlich diese Vereinbarung zu beschleunigen und vorzuziehen. Wir haben übrigens auch in der Koalition längst gemeinsam besprochen, dass wir Visaerleichterungen für die Türkei auf den Weg bringen wollen.
Natürlich wird es keine voraussetzungslose Visafreiheit geben; auch das ist längst vereinbart. Die Türkei muss Voraussetzungen erfüllen, was die Sicherheit der Dokumente, den Austausch der Daten und natürlich auch ihre eigene liberale Visapolitik angeht. Beispielsweise müsste sie ihre Visafreiheit mit Ländern der Maghreb-Staaten oder Pakistan einschränken, damit wir davon ausgehen können, dass, wenn wir Visafreiheit gewährleisten, dadurch keine weiteren Lücken und Schlupflöcher entstehen. Es wird noch schwierig genug, bis die Türkei diese Voraussetzungen erfüllen kann, aber die Anstrengungen lohnen sich auf jeden Fall.
Deshalb sage ich, wir haben ein klares Programm: Fluchtursachen bekämpfen, gemeinsame Politik in Europa sowie hier in Deutschland die richtigen Voraussetzungen dafür schaffen, dass Flüchtlinge aufgenommen und integriert werden können.
Mit Blick auf den europäischen Gipfel, Frau Bundeskanzlerin, wünschen wir Ihnen viel Erfolg. Kommen Sie mit guten Ergebnissen zurück. Ich wünsche uns weiterhin gute Beratungen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Sevim Dağdelen ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 160 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung zum Europäischen Rat am 17./18. März 2016 in Brüssel |