16.03.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 160 / Tagesordnungspunkt 1

Sevim DağdelenDIE LINKE - Regierungserklärung zum Europäischen Rat am 17./18. März 2016 in Brüssel

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Während wir hier heute debattieren, treibt die Bundesregierung noch mehr Menschen in die Flucht. Hubschrauber, Gewehre, Pistolen für die Emirate, Saudi-Arabien und Oman: Die Rüstungsindustrie hat neue Millionengeschäfte abgeschlossen. Genehmigt haben sie aber Frau Bundeskanzlerin Merkel und Herr Wirtschaftsminister Gabriel. Wie lange, glauben Sie, wird es dauern, bis sich die 5 Millionen Binnenflüchtlinge im Jemen aus der saudischen Kopf-ab-Diktatur, die Sie, meine Damen und Herren hochrüsten, auf den Weg nach Europa machen? Wie lange wird es dauern, bis sich noch mehr Menschen aus Syrien aufmachen werden, weil sie vor den islamistischen Terrorbanden fliehen müssen, die Sie dadurch unterstützen, dass Sie Saudi-Arabien und die Türkei bewaffnen, meine Damen und Herren? Statt Fluchtursachen zu bekämpfen, liefert die Bundesregierung kriegführenden Staaten weiterhin Waffen und trägt dazu bei, dass immer mehr Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Ihre Waffenlieferungen, Frau Merkel und Herr Gabriel, sind ein Verbrechen gegen die Menschen in der Region.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt versuchen Sie erneut, mit dem Terrorpaten Erdogan zu einem Vertragsabschluss zu kommen. Der Türkei-Plan, der jetzt vorliegt, ist im Kanzleramt geschrieben worden. Fast alle anderen europäischen Partner haben Sie mit diesem Alleingang wieder einmal brüskiert. Sie, Frau Merkel, versuchen, Ihre Politik mit jemandem wie dem türkischen Präsidenten Erdogan durchzusetzen, der Zeitungsredaktionen stürmen lässt und die Presse- und Meinungsfreiheit mit Füßen tritt. Die Alleingänge der Bundesregierung, ihre Bereitschaft, jeden Verstoß Erdogans gegen die Grundwerte unserer Zivilisation zu decken, hat die Bundesregierung in Europa isoliert wie noch nie zuvor. Bei Ihrer Achse Berlin–Ankara will so gut wie niemand – nur Luxemburg – mitmachen. Wir sagen Ihnen: Europa hat Ihre Alleingänge satt. Sie zerstören mehr und mehr all das, was an Vertrauen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut wurde.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage Ihnen auch: Ihr Glaube, mit jemandem wie Erdogan, der Krieg gegen die Kurden führt, dafür sorgen zu wollen, dass weniger Menschen, weniger Flüchtlinge nach Europa kommen, ist ungefähr so stimmig wie die Hoffnung, dass ein Mafiaboss dafür sorgen würde, dass es weniger Verbrechen gibt. Sie machen mit Erdogan den Bock zum Gärtner. Mit dem, der Krieg führt, der die Kurden massakriert, der Menschen zwingt, ihre Heimat zu verlassen, wollen Sie Geschäfte machen, damit keiner flieht. Aber ich frage mich: Wem wollen Sie eigentlich diesen Bären aufbinden? Das ist doch ein Stück aus dem Tollhaus, Herr Kauder. Das müssen Sie doch einmal einsehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Preis, den Sie bereit sind für Ihre tödlichen Illusionen zu bezahlen, ist sehr hoch.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das Tollhaus seid ihr! Ihr seid das Tollhaus!)

Sie schweigen zu den Gewerkschaftern, Sie schweigen zu den Journalisten in den Kerkern Erdogans, und Sie schweigen zu den zerstörten Kirchen

(Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Das stimmt alles nicht!)

und den in die Flucht getriebenen Christen aus Diyarbakir. Die UNO und der Europarat sagen Ihnen, dass dieser Plan mit der Türkei gegen das Völkerrecht verstößt, weil Erdogan dabei ist, die Flüchtlinge weiter in das Bürgerkriegsland Syrien zurückzuschieben. Doch dadurch lassen Sie sich offensichtlich nicht aufhalten. Ich frage Sie: Ist jetzt eigentlich Rechtsnihilismus die offizielle Politik dieser Bundesregierung? Reicht es Ihnen nicht, durch Ihre Unterstützung der Regime-Change-Politik und der Ölkriege internationales Recht zu missachten? Ich finde, der Preis, den Sie da zahlen, ist hoch –

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Noch haben wir gar keinen gezahlt, gute Frau! Reden Sie nicht so einen Quatsch!)

obwohl die Türkei voll auf dem Weg in die Diktatur ist. Herr Kauder, ich finde es wirklich unerträglich, dass Sie jetzt auch noch versprechen, einer Diktatur den Weg in die EU zu bahnen, und dabei sozusagen alle Perspektiven für ein soziales und demokratisches Europa verspielen.

Frau Kollegin.

Eine solche Perspektive bedeutet für Europa eine Beerdigung erster Klasse. Dagegen werden Sie auf jeden Fall Widerstand erfahren. Wir werden dagegen Widerstand leisten.

(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Gerade ihr! Widerstand gegen Israel macht ihr! Was seid ihr für ein Haufen?)

Das Wort erhält nun Gerda Hasselfeldt für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6675125
Wahlperiode 18
Sitzung 160
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung zum Europäischen Rat am 17./18. März 2016 in Brüssel
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