16.03.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 160 / Tagesordnungspunkt 1

Gerda HasselfeldtCDU/CSU - Regierungserklärung zum Europäischen Rat am 17./18. März 2016 in Brüssel

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wieder einmal beschäftigt sich ein europäischer Gipfel im Schwerpunkt mit der Bewältigung der Flüchtlingsproblematik, und das ist auch gut so. Denn eines gilt: Mit rein nationalen Maßnahmen wird dieses Problem nicht zu lösen sein. Es gilt aber auch: Je weniger auf europäischer Ebene gelöst wird, desto größer wird der Druck, noch mehr nationale Maßnahmen zu ergreifen, und je mehr auf europäischer Ebene gelöst wird, desto geringer wird dieser Druck sein.

(Beifall bei der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ein kluger Satz!)

Worum geht es? Ich will ins Gedächtnis rufen, dass es – zum Ersten – darum geht, mit den Menschen, die zu uns kommen, aber auch mit den Menschen, die in Krisengebieten unter schwierigen Umständen leben, human umzugehen und unseren Beitrag dazu zu leisten. Ich sage bewusst: mit denjenigen, die bei uns sind, aber auch mit denjenigen – auch sie müssen wir im Blick haben –, die in den Krisengebieten und Kriegsgebieten sind, dort unter schwierigen Verhältnissen leben, in den Flüchtlingslagern sind oder auch in Staaten und Ländern leben, in denen die Verhältnisse sehr schwierig sind.

Ich will bei der Gelegenheit deutlich machen: Das, was in unserem Land an Nächstenhilfe, an humanitärer Begleitung bei der Unterbringung, bei der Versorgung, bei der Integration geleistet wird, ist beispielhaft und kann nicht oft genug gewürdigt werden; dafür gilt unser Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will auch sagen: Das, was zur Bekämpfung der Fluchtursachen, zur Verbesserung der Situation der Menschen in den Krisengebieten, geleistet wird – mittlerweile mehr und intensiver, als es in den vergangenen Monaten zu spüren war –, darf nicht einfach negiert werden, sondern muss erwähnt und auch weitergeführt werden. Ich bin der Bundeskanzlerin sehr dankbar, dass sie dies heute angesprochen hat. Dazu gehört zum Beispiel die Hilfe für Griechenland und andere Länder.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD])

Es geht um ein Zweites: um die Integration derjenigen, die eine Bleibeperspektive haben. Auch da wird Enormes unternommen, wenn auch in den einzelnen Ländern unterschiedlich viel. Aber die Integration ist keine Angelegenheit, die man nur mit Geld und noch so vielen Kursen lösen kann, sondern sie ist – liebe Kolleginnen und Kollegen, auch darauf will ich hinweisen – eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das, was heute schon von unseren Vereinen – nicht nur von den Sportvereinen, sondern auch von vielen anderen in unserem Land – geleistet wird, ist beispielhaft und vorbildlich. Ich möchte ausdrücklich dafür danken.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es geht um ein Drittes, nämlich um die Begrenzung der Zahlen. Das ist wichtig; denn die Integration von und der humanitäre Umgang mit Flüchtlingen sind nur zu leisten, wenn wir die Zahl der Flüchtlinge deutlich und nachhaltig reduzieren. Die Integrationskraft unseres Landes hat Grenzen, und diese Grenzen müssen wir beachten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nun geht es darum: Wie machen wir das auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene? Auf nationaler Ebene haben wir in den vergangenen Monaten eine ganze Reihe von Gesetzen verabschiedet: Asylpaket II, Asylpaket I. Wir haben die Westbalkanländer als sichere Herkunftsstaaten eingestuft. Nur als Randbemerkung: Wenn die Grünen rechtzeitig bereit gewesen wären, eine entsprechende Entscheidung zu fällen,

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt das wieder!)

dann wären viele Hunderttausende von Flüchtlingen im vergangenen Jahr nicht in unser Land gekommen. Auch das gehört zur Wahrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In den nächsten Wochen gilt es, weitere Vorhaben umzusetzen, zum Beispiel die Einstufung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsstaaten. Auch das gehört zu unserer nationalen Verantwortung.

(Beifall bei der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das machen die Grünen sowieso! Keine Sorge!)

Auf dem Europäischen Gipfel stehen die Verhandlungen mit der Türkei im Mittelpunkt. Wir alle wissen, dass die Türkei ein Schlüsselland bei der Bewältigung der Problematik ist. Das ist unbestritten. Trotz all dem, was wir kritisieren, was uns besorgt durch die Bilder und Berichte zur Menschenrechtssituation, zur Pressefreiheit und zur Meinungsfreiheit, deren Einhaltung in der Türkei sehr zu wünschen übrig lässt, gilt: Wir müssen mit der Türkei reden, verhandeln und zu Lösungen kommen. Das ist unbestritten.

Es gibt eine Reihe von Forderungen vonseiten der Türkei. Ich habe Verständnis für die finanziellen Forderungen. Ich habe auch für manche andere Forderung Verständnis. Ich will für die Landesgruppe der CSU allerdings deutlich machen: Wir haben in der Tat Bedenken hinsichtlich der vollen Visumsfreiheit. Eines darf nicht passieren: Die Überprüfung der Bedingungen, die die Türkei zu erfüllen hat, darf nicht zu lasch gehandhabt werden. Auf die Einhaltung der Bedingungen muss geachtet werden. Ich bin dankbar, dass die Bundeskanzlerin heute klargestellt hat: Von der Verbindlichkeit dieser Bedingungen wird kein Jota abgewichen. Das ist für uns ganz wichtig.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will darüber hinaus zum Ausdruck bringen: Wir wissen, dass im Laufe der Beitrittsverhandlungen immer wieder Kapitel eröffnet werden. Die Eröffnung weiterer Kapitel kann durchaus zu einer Modernisierung in der Türkei führen. Aber ich will deutlich machen – nicht dass man später einmal sagt: „Ihr hättet ja was sagen können!“ –: Wir sehen im derzeitigen Stadium keine Möglichkeit, dass die Türkei volles Mitglied der Europäischen Union wird. Das will ich deutlich zum Ausdruck bringen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Auch im späteren Stadium!)

Es ist meines Erachtens ein richtiger Ansatz, die Rücknahme von Flüchtlingen aus Drittstaaten zu vereinbaren. Es ist wichtig, dass die Türkei die Flüchtlinge, die von der Türkei in die Europäische Union, nach Griechenland kommen, wieder zurücknimmt. Das kann zur Eindämmung der Arbeit der Schleuser- und Schlepperbanden führen. Ich hoffe sehr, dass es dazu kommt und dass im Zuge dessen die syrischen Flüchtlinge in Europa verteilt werden. Es muss allerdings auch sichergestellt werden, dass die Last dieser Verteilung nicht einseitig auf Deutschland liegt, vielmehr muss diese in Europa gerecht verteilt werden; das gilt sowohl für die 160 000, deren Verteilung vereinbart wurde, als auch für den Anteil, der darüber hinausgeht. Auch dies ist für uns ein wichtiger Bestandteil der Vereinbarung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dass bei jeder Gelegenheit in Gesprächen mit der Türkei auf die Menschenrechte, auf die Bürgerrechte, auf die Defizite bei der Pressefreiheit und bei der Meinungsfreiheit hingewiesen wird, das versteht sich von selbst. Das hoffe ich zumindest. Wir werden jede Gelegenheit wahrnehmen, darauf hinzuweisen. Vielleicht sind die Beitrittsverhandlungen und die weitere Öffnung der Kapitel auch Anlass dazu, sich zu bewegen.

Meine Damen und Herren, dabei darf es aber nicht bleiben. Wir haben noch eine ganze Reihe an zusätzlichen Aufgaben in Europa, nämlich die wirkliche Umgestaltung von Frontex in einen effektiven Grenz- und Küstenschutz oder die Instandsetzung der Hotspots, der Einrichtungen an den europäischen Außengrenzen, damit sie so, wie es von Anfang an gedacht war, genutzt werden können, nämlich zur Registrierung der Flüchtlinge, aber auch zur Rückführung derer, die keine Bleibeperspektive in Europa haben, und zur gerechten Verteilung in Europa. So war die Arbeit der Hotspots tatsächlich vereinbart. Ich weiß, dass da noch ein Stück Arbeit vor uns liegt, aber wir dürfen da nicht einfach stehenbleiben, sondern wir müssen dies auf den Weg bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Europa hat in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten schon viele schwierige Zeiten erlebt. Viele schwierige Entscheidungen waren zu treffen, viele wichtige Weichen wurden gestellt, und nicht immer war es am Anfang gleich so, dass die Lösung auf dem Tisch lag. Ähnlich ist es auch jetzt. Es ist eine objektiv schwierige Situation, dieses weltweite Problem der Flüchtlingsströme zu bewältigen, und es ist in einem Europa mit unterschiedlichen nationalen Interessen in dieser Frage ganz besonders schwierig. Nicht zuletzt deshalb wünschen wir Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, eine weiterhin glückliche Hand und viel Erfolg bei diesen schwierigen Verhandlungen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich erteile das Wort dem Kollegen Norbert Spinrath für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6675127
Wahlperiode 18
Sitzung 160
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung zum Europäischen Rat am 17./18. März 2016 in Brüssel
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta