17.03.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 161 / Tagesordnungspunkt 5

Verena Bentele - Behindertengleichstellungsrecht

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Auch ich möchte wie Frau Werner – das war nicht abgesprochen; ich schwöre – den Satz aus dem deutschen Grundgesetz „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ an den Anfang meiner Rede stellen, weil er mir wichtig ist. Auch wegen dieses Satzes bin ich froh, dass die Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsrechts ein Schritt zu wirklich mehr Teilhabe ist, Teilhabe für alle Menschen mit Behinderungen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Es freut mich wirklich, dass vorgesehen ist, dass beispielsweise Bundesbehörden zukünftig Menschen mit – das möchte ich sagen – sogenannten geistigen Behinderungen ihre Bescheide in leichter Sprache erläutern sollen.

(Beifall bei der SPD)

Wir wissen alle – deswegen war die Rede von Gabriele Lösekrug-Möller in leichter Sprache eine ganz tolle –, dass die leichte Sprache vielen Menschen hilft; denn die Sprache der Behörden und, wie wir immer wieder sehen, auch die Sprache der Politik ist doch eher eine komplizierte, und das, meine sehr geehrten Damen und Herren, schließt viele Menschen aus. Für Menschen mit Lernschwierigkeiten sind deswegen Informationen in leichter Sprache – das finde ich wichtig – ein Schlüssel zur Teilhabe. Es gibt Wörter wie das Wort „Partizipation“. Dieses Wort bedeutet Teilhabe; aber es ist, auch wenn es schwer ist, ein gutes Wort: „Partizipationsfonds“ bedeutet, dass zukünftig Geld für wirklich mehr Teilhabe in die Hand genommen wird. Die Selbstvertretungsorganisationen von Menschen mit Behinderungen bekommen damit endlich eine starke Stimme und eine bessere Möglichkeit für politische Beteiligung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dem Grundsatz der UN-Behindertenrechtskonvention, dem „Nichts über uns ohne uns“, entspricht dieser Fonds deswegen sehr. Wichtig ist aber natürlich – das ist vor allem adressiert an die Damen und Herren Finanzpolitiker –: Er muss mit genügend Geld ausgestattet sein.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rudolf Henke [CDU/CSU])

Ein echtes Herzensanliegen ist für mich als Behindertenbeauftragte der Bundesregierung – das werden Sie verstehen – die Schlichtungsstelle, die bei mir angesiedelt sein soll. Dort sollen niedrigschwellig – das ist wichtig – und auch kostenfrei Streitfälle nach dem BGG gelöst werden können, und zwar für Verbände der Menschen mit Behinderungen, aber auch für Einzelpersonen. Hier geht es zum Beispiel darum, was ist, wenn Barrierefreiheit in Behörden nicht berücksichtigt wurde, wenn beispielsweise Behörden Menschen, die gehörlos sind, keine Informationen und Kommunikation in Gebärdensprache zur Verfügung stellen. Ich bin froh, dass wir zukünftig die Schlichtungsstelle anrufen können, um dort Lösungen zu erwirken.

Ich schließe mich aber auch einer der wichtigen Forderungen an, die von allen meinen Vorrednerinnen und Vorrednern mit unterschiedlicher Gewichtung genannt worden sind: In Bestandsbauten des Bundes soll Barrierefreiheit geschaffen werden, und zwar dadurch – das ist wichtig –, dass über diese Barrieren bis 2021 zu berichten ist. Meine sehr geehrten Damen und Herren, vom Berichten über Barrieren werden Barrieren aber definitiv nicht beseitigt. Davon kann ich ein Lied singen.

(Beifall im ganzen Hause)

Barrierefreiheit ist und bleibt für mich einer der wirklich neuralgischen Punkte, wenn es darum geht, echte Teilhabe zu sichern. Rampen statt Stufen, Kommunikationsmöglichkeiten in Gebärdensprache oder Aufzüge, die mir sagen, wo sie gerade halten, sodass ich auch weiß, wo ich aussteigen soll – das ist wichtig.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Immer CDU/CSU-Fraktion! Da steigen Sie aus!)

Hier möchte ich, ohne dass es auf meinem Zettel steht, ein persönliches Beispiel nennen. Ich war neulich in einem Hotel und stand im Aufzug vor einem Touchscreen, der von mir wissen wollte, in welche Etage ich fahren möchte. Wenn der Touchscreen aber nicht spricht, wie soll ich dann wissen, ob ich mit meiner Hand ganz oben oder ganz unten bin? Wären wir im Märchen Dorn­röschen, könnte es lustig sein, in den Turm zu fahren. In meinem Leben ist es eine echte Zeitverschwendung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Es ist daher wichtig, dass wir eine Bundesfachstelle für Barrierefreiheit haben werden, wo sich alle informieren und Expertise zum Thema Barrierefreiheit erhalten können. Ich stelle mir das so vor, dass künftig Restaurantbetreiber, Ladenbesitzer, aber natürlich auch Behörden anfragen, wie sie ihre Einrichtungen barrierefrei gestalten sollen. In der Realität – das ist das Problem – wird es aber mit Sicherheit oft anders sein. Meine Fantasie geht hier weitere Wege. Heute bin ich hier, um dafür zu werben, die Fantasie endlich Wirklichkeit werden zu lassen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es geht an der Lebensrealität von Menschen mit Behinderung vorbei, zwischen Trägern öffentlicher Gewalt und privaten Anbietern öffentlich zugänglicher Gebäude, Dienstleistungen und Produkte zu unterscheiden. Deswegen werbe ich sehr für mehr Barrierefreiheit. Wir brauchen endlich eine barrierefreie Gesundheitsversorgung, barrierefreie Restaurants.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN)

– Ich sehe schon: Beim Thema Gesundheit klatschen viele. Wer geht zum Arzt? Es sind nicht unbedingt die, die gesund sind, sondern meist die, die Unterstützung brauchen. Deswegen: Eine barrierefreie Gesundheitsversorgung ist mir ganz wichtig.

Genauso wichtig sind aber auch barrierefreie Kultur- und Freizeiteinrichtungen, Kinos, Restaurants – ich habe sie schon genannt –, aber auch Geschäfte. Wollen wir nur Internetshopping, oder wollen wir belebte Innenstädte? Das, finde ich, ist die große Frage.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die privaten Anbieter werden durch den vorgelegten Gesetzentwurf nicht verpflichtet. Für mich ist deswegen entscheidend, immer wieder die Frage zu stellen: Was wollen wir tun, um endlich Teilhabe zu sichern? Vom Amt bis zum Zahnarzt, von der Kneipe bis zum Bundestag – Barrierefreiheit brauchen wir überall.

Unser Nachbarland Österreich – das wurde schon genannt – ist da einen Schritt weiter gegangen; denn dort müssen alle Anbieter richtige und angemessene Vorkehrungen treffen. Eine solche Regelung – da sehen Sie: ich bin eine konstruktive Beauftragte – wäre auch hier möglich; denn es gibt die Möglichkeit, in den vorliegenden Gesetzentwurf einen weiteren Artikel aufzunehmen, der eine passende Änderung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes vorsieht. Ich hätte auch eine Quelle, wo Sie das nachschauen können: Das Forum behinderter Juristinnen und Juristen hat hierzu einen Vorschlag unterbreitet.

(Beifall im ganzen Hause)

„Niemand“, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete, „darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Mit diesem Satz aus dem Grundgesetz möchte ich schließen. Lassen Sie uns gemeinsam entschieden gegen Benachteiligung kämpfen! Ich appelliere daher an die Kraft des Parlaments: Verpflichten Sie endlich auch Private zur Barrierefreiheit!

(Beifall im ganzen Hause)

Vielen herzlichen Dank, liebe Verena Bentele, auch für Ihren leidenschaftlichen Appell. – Nächster Redner in der Debatte: Uwe Schummer für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6677518
Wahlperiode 18
Sitzung 161
Tagesordnungspunkt Behindertengleichstellungsrecht
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