17.03.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 161 / Tagesordnungspunkt 9

Gerhard SchickDIE GRÜNEN - Abschlussprüfungsreformgesetz

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Danke schön. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nein, dieser Gesetzentwurf ist kein guter Gesetzentwurf, sondern ein schlechter Gesetzentwurf,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

weil er auf die massiven Fehlentwicklungen der letzten Jahre im Bereich Wirtschaftsprüfung keine adäquate Antwort gibt.

Erste Fehlentwicklung. Es ist ein Oligopol entstanden. Die großen Vier – auf Englisch Big Four genannt – haben gemessen an den gezahlten Prüfungshonoraren einen Marktanteil von rund 95 Prozent. Das ist eine enorme Marktmacht, die wir nur in wenigen anderen Bereichen in solch krasser Form haben. Von Marktwirtschaft kann hier keine Rede mehr sein. Das ist Machtwirtschaft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

In Kernwirtschaftssektoren ist die Konzentration noch höher. Bei Kreditinstituten erzielen die zwei größten Gesellschaften PwC und KPMG zusammen 80 Prozent der Honorare, bei Versicherungsunternehmen erzielt das größte Unternehmen 70 Prozent der Honorare. Wer da nicht massiv gegensteuert, hat nicht verstanden, dass hier marktwirtschaftliche Strukturen auf dem Spiel stehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Johannes Fechner [SPD] – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Richtig! Ich stimme zu!)

Daraus entsteht große politische Macht. Wir können sie auch in genau diesem Gesetzentwurf sehen. Wer den Gesetzgebungsprozess vom Grünbuch der Europäischen Kommission bis hin zu dem, was wir heute vorliegen haben, betrachtet, kann ermessen, wie groß die politische Macht dieser vier großen Unternehmen sein muss. Denn sie konnten es schaffen, die Gesetzgebung noch einmal in ihre Richtung, in ihrem Interesse umzudrehen. Das ist wirklich hoch problematisch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die zweite Fehlentwicklung. Zwischen 2011 und 2013 haben diese großen Gesellschaften 66 Wirtschaftsberatungsunternehmen übernommen und auch eigene Steuer- und Rechtsberatungsunternehmen gegründet. Sie sind also inzwischen gar nicht mehr die Wirtschaftsprüfer im Sinne einer Prüfung der Daten für die Allgemeinheit, sondern sie haben prüfungsfremde Leistungen massiv ausgebaut. Diese umfassen mittlerweile über 60 Prozent des Gesamtumsatzes der Big Four. Das heißt, die Interessenlage ist eindeutig: Geld machen mit privaten Leistungen, und nebenher macht man noch das Geschäft, das für die Allgemeinheit wichtig ist, nämlich die Sauberkeit der Bilanzen zu prüfen. Das muss schiefgehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Und das ist auch schiefgegangen. Zu den genannten Beispielen kann ich zwei weitere hinzufügen. Bei der Sachsen LB mussten die Wirtschaftsprüfer von PwC 40 Millionen Euro zahlen, weil sie eben mit ursächlich waren für die Pleite einer Landesbank, die den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern in Sachsen heute immer noch Kosten verursacht. Wir können es auch bei Lehman Brothers sehen, wo Ernst & Young nachgewiesen wurde, dass sie wissentlich den Bilanzbetrug von Lehman in Höhe eines zweistelligen Milliardenbetrages abgesegnet hatten, wodurch der Markt die wahre Finanzlage von Lehman Brothers nicht kennen konnte. Sie mussten deswegen rund 110 Millionen US-Dollar zahlen. Das sind die massiven Fehlentwicklungen.

Jetzt haben wir eine Reihe von Problemen. Ich will zwei nennen, die für uns in der Beratung im Vordergrund standen. Dazu legen wir auch einen konkreten Änderungsantrag vor.

Das Erste ist die Frage: Wie lange dauert das? Sie sagen, dass Sie das abgewogen haben und dass man es zusammen mit den Kosten sehen muss. Aber jetzt schauen Sie doch einmal: Bei der ersten Vorstellung im Grünbuch ging man von sechs Jahren aus. Ich bin noch bereit, zehn Jahre zu akzeptieren; denn das ist ein Abwägungsprozess mit Blick auf die Prüfungskosten, wie es der Kollege Hirte sagte. Aber wenn man dann zu 20 Jahren kommt, heißt das, dass ein Mensch möglicherweise ein halbes Berufsleben lang dieselbe Unternehmung prüft. Das kann doch kein vernünftiger Ausgleich sein zwischen der Problematik, dass es eine lange Bindung gibt und das zu prüfende Unternehmen und der Prüfer praktisch inei­nander wachsen, und den Kosten und dem Aufwand der Einarbeitung in die komplexe Materie. Hier liegen Sie komplett falsch. Das müsste man korrigieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ja, Sie machen diesen Fehler bei Banken und Versicherungen nicht. Aber wir wissen natürlich, dass der Kapitalmarkt nicht nur davon beeinflusst wird, was bei Banken und Versicherungen passiert, sondern natürlich auch von Fehlentwicklungen, Steuerplanungen, -gestaltungen und -betrug, wie sie bei einem Energieriesen wie Enron, bei verschiedenen Unternehmen am Grauen Kapitalmarkt, wo es auch sei, auch im realwirtschaftlichen Bereich, passieren. Hier den Unternehmen so entgegenzukommen, ist ein massiver Fehler.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])

Das gilt auch für einen weiteren Punkt: die Trennlinie zwischen aggressiver Steuerplanung und anderem. Sie wissen doch selber, dass diese Unterscheidung in der Praxis nicht funktioniert. De facto erlauben Sie weiter, dass die Unternehmen, geleitet von ihrem Interesse, die Mandate im Beratungsbereich zu behalten, fast alles mitmachen, wenn sie den Abschlussbericht prüfen. Das darf nicht sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Deswegen legen wir einen Änderungsantrag vor, in dem wir Sie auffordern: Streichen Sie das, was Sie mit falsch ausgeübtem Wahlrecht geändert haben, und kehren Sie zurück zu dem, was auf europäischer Ebene – übrigens mit breiter Mehrheit – vereinbart worden ist, sodass wir in Zukunft eine klarere Trennung haben! Ein Abschlussprüfer muss für die Allgemeinheit unabhängig prüfen können. Er darf keine Interessenkonflikte dadurch haben, dass er vor allem seine Beratungsmandate im Blick hat. Diesen Fehler müssen wir dringend korrigieren.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Christian Petry von der SPD-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Christian Hirte [CDU/CSU])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6678111
Wahlperiode 18
Sitzung 161
Tagesordnungspunkt Abschlussprüfungsreformgesetz
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