17.03.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 161 / Tagesordnungspunkt 10

Alexander HoffmannCDU/CSU - Sexualstrafrecht

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Keul, Sie haben wieder einmal versucht, das Bild der unwilligen und unfähigen Großen Koalition zu malen.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht so schwierig!)

Ich hätte mir bei diesem wichtigen Thema ein bisschen mehr Sachlichkeit gewünscht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer behindert das denn die ganze Zeit? Das sind doch Sie!)

Ich möchte vorab eines feststellen: Wir alle hier haben dem Grunde nach dasselbe Ziel. Wir wollen einen besseren Schutz von Frauen vor Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch. Es wäre gut gewesen, Frau Keul, wenn Sie genau das herausgearbeitet hätten. Das wäre heute ein sehr gutes Signal an die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes gewesen.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Geschäftsordnungsbericht, den wir debattieren!)

Auch Ihre Unterstellung, dass wir die Dinge verzögern wollen, trägt bei genauer Betrachtung nicht. Ich will einmal die Chronologie ins Gedächtnis rufen, die wie folgt aussah: Es gab am 7. April 2014 einen Referentenentwurf vom Justizministerium, der keinerlei Handlungsbedarf bei § 177 StGB sah. Die CDU/CSU-Fraktion hat sich frühzeitig positioniert. Wir haben im Schulterschluss mit Frauenrechtsverbänden auf Handlungsbedarf hingewiesen. Wir haben auf Artikel 36 Absatz 1 der Istanbul-Konvention hingewiesen, der vorsieht, dass jedwede sexuelle Handlung gegen den Willen des Opfers unter Strafe zu stellen ist.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein Antrag von den Grünen!)

Unsere Botschaft lautete damals: Nein heißt Nein.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das steht aber nicht im Gesetz!)

Wenn dem Täter das bekannt ist oder er es auch nur billigend in Kauf nimmt, dann muss das unter Strafe gestellt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Mechthild Rawert [SPD] – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das steht aber nicht im Gesetz!)

Interessant ist: Wenn man sich die Zeitschiene anschaut, dann stellt man fest, dass unsere Positionierung stattgefunden hat, bevor Sie Ihren Gesetzentwurf vorgelegt haben.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch! – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der erste Antrag war von den Grünen, lieber Herr Kollege!)

Nun verteufeln Sie das Gesetzgebungsverfahren als zu langsam. Ich bin mittlerweile etwas verwirrt, weil Sie offensichtlich unterschiedliche Vorstellungen von einem zügigen Verfahren haben.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur nach der Geschäftsordnung, Herr Kollege!)

Wir haben jüngst eine Gesetzesänderung besprochen, die der Ausweisung ausländischer Sexualstraftäter dient. Damals lautete Ihre Argumentation: Das Verfahren geht viel zu schnell. Wir haben keine Zeit, uns mit diesen wichtigen Fragestellungen auseinanderzusetzen. – Nun ist Ihnen alles zu langsam. Kollege Fechner, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie in der gestrigen Ausschusssitzung in unserem Namen deutlich gemacht haben – wir tragen das ausdrücklich mit –, dass es unser Ziel ist, noch vor der Sommerpause dieses Gesetzgebungsverfahren abzuschließen, das heißt, noch vor der Sommerpause zu einer neuen Regelung zu kommen. Das Einzige, worum wir gebeten haben, war, dass wir eine Anhörung erst dann terminieren, wenn die verschiedenen Etappen des Verfahrens kalendermäßig feststehen. Alles andere ist einfach nicht seriös.

Die Anhörung ist dem Grunde nach schon lange beschlossen; Sie hatten es erwähnt. Was Ihnen aber leider entfallen ist, ist offensichtlich die Information, dass am 28. Januar 2015 schon eine erste, für uns alle sehr fruchtbare Anhörung, wie ich denke, stattgefunden hat.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, zum Antrag der Grünen!)

Wenn es nach Ihnen geht, hätten wir diese Anhörung gehabt, dann eine Anhörung zu Ihrem Entwurf

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Und was ist schlimm daran?)

und schließlich auch noch eine Anhörung zum Referen­tenentwurf. Das ist für Sie dann eine zügige Behandlung. Bei anderen Themen – auch das will ich einmal etwas süffisant in Erinnerung rufen – beklagen Sie sich immer und sagen, die Terminierung für die Anhörung sei für Sie so schwer, weil Sie als kleine Fraktion so viele Berichterstatterthemen auf eine Person vereinigen.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Blick in die Geschäftsordnung hilft da ungemein!)

Hier aber fordern Sie Anhörungen in einer schon fast inflationären Art und Weise.

Der zweite Vorwurf, mit dem Sie den Entwurf aus dem Ministerium geißeln, ist, er sei halbherzig. Das ist er nicht. Die Umsetzung von Nein heißt Nein.

(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach!)

Dabei verschweigen Sie aber bei ehrlicher Betrachtung die praktischen Schwierigkeiten dieser Nein-heißt-Nein-Lösung,

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ich denke, Sie sind auch dafür!)

die wir bis heute anstreben. Wir müssen uns diese Schwierigkeiten vor Augen führen; denn nur so können wir das Grundproblem lösen.

Das Grundproblem ist doch Folgendes: Wir haben in der Bundesrepublik jährlich circa 8 000 Vergewaltigungen, die angezeigt werden.

(Mechthild Rawert [SPD]: Von 160 000! Das ist die Dunkelziffer!)

– Frau Kollegin, lassen Sie mich doch einmal ausreden.

(Mechthild Rawert [SPD]: Das war ja nur ein Zwischenruf! – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Sie kennt deine Rede!)

Experten – das sollten wir uns einmal vor Augen führen – befürchten, dass unter Umständen nur jede zehnte Vergewaltigung zur Anzeige kommt. Also brauchen wir eine gesetzliche Regelung, die Frauen Mut macht, Anzeige zu erstatten. Was wir eben nicht reihenweise produzieren wollen, ist folgende Verfahrenschronologie: Anzeige, Verfahren, Einstellung bzw. Freispruch, weil auch in diesem Verfahren der Grundsatz „in dubio pro reo“ gilt. Die Aufgabe – so hat es dieser Tage ein Jurist im Gespräch mit mir deutlich herausgearbeitet – ist doch letztendlich, dass wir dieses „Nein heißt Nein“ so ins Strafrecht übersetzen, dass Staatsanwälte und Richter damit arbeiten können.

Nun werfen wir einmal einen Blick in Ihren Entwurf, liebe Kollegin Keul. Sie haben ihn vorhin so gelobpreist, dass ich zwischendurch schon gedacht habe, Sie hätten das Rad neu erfunden. Sie wollen also – Sie hatten es dargestellt – die Vornahme der sexuellen Handlung dann unter Strafe stellen, wenn der entgegenstehende Wille des Opfers erkennbar zum Ausdruck gebracht ist.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ja!)

Das ist eine einfache und klare Formulierung, eine Formulierung – das sage ich Ihnen ganz ehrlich –, mit der auch ich am Anfang lange geliebäugelt habe; das wissen Sie auch. Das Problem aber, das wir uns vor Augen führen müssen, ist doch: Wie wollen wir das nachweisen, wenn wir wissen, dass die problematischen Fälle in der Praxis doch häufig Fälle der Vergewaltigung in einer Ehe oder einer Beziehung sind, Fälle, in denen der Täter vor dem Richter steht und sagt: „Sie hat es doch gewollt“? Das heißt, wir haben Vier-Augen-Konstellationen, bei denen wir keinerlei objektive Indizien finden und vieles unter Umständen nur auf subjektive Wahrnehmungen gestützt werden kann. Dann laufen wir doch wieder Gefahr, dass wir reihenweise folgende Chronologie provozieren: Anzeige, Verfahren, Einstellung bzw. Freispruch. Wir haben dann keine Verbesserung.

Der zweite Punkt – auch das muss man hinterfragen – ist: Wie wollen wir bei dieser Formulierung konkludentes Verhalten werten? Was meine ich? Stellen Sie sich vor: Zwei Arbeitskollegen sind zusammen auf Dienstreise. Abends trifft man sich in der Bar. Die Stimmung ist gut. Er macht ihr eindeutige Avancen. Sie stellt abends noch klar: Nein, zwischen uns wird nichts laufen. Ich will meine Ehe nicht aufs Spiel setzen. – Der Abend geht weiter, und es wird launiger. Man ist leicht angetrunken; alle wissen noch, was sie tun. Der Abend geht weiter. Er bringt sie wie ein Gentleman auf das Zimmer. Dort verliert sie dann die Kontrolle, und es kommt zum Äußersten.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Oh Mann! Das sind Klischees! Das ist bitter! – Weitere Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gegenruf von der CDU/CSU: Hören Sie doch mal zu!)

Am nächsten Tag sagt sie: Ich wollte das nicht, und das habe ich dir auch gesagt. – Wie wollen wir diesen Fall gemeinsam aufarbeiten? Das Nein war ausdrücklich erkennbar. Die Frage ist: Gab es nach diesem Nein noch eine weitere Willensbekundung durch das Geschehenlassen, oder wirkt dieses Nein fort?

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Rede ist ein Kontrollverlust!)

Wenn wir dieses „Nein heißt nein“ praxistauglich ins Strafrecht übernehmen wollen, dann ist es klug, wenn wir fair objektivierbare Momente in diesen Tatbestand einbauen, wie zum Beispiel die Drohung mit einem empfindlichen Übel. Hierdurch lässt sich der Sachverhalt im Nachgang anhand objektiver Kriterien verdichten. Nehmen wir zum Beispiel den Mitarbeiter einer Ausländerbehörde, der einer ausländischen Mitbürgerin ihren Aufenthaltstitel nur dann erteilt, wenn sie mit ihm den Beischlaf vollzieht. Nur dann, wenn es uns gelingt, objektive Punkte einzubringen, wird es uns gelingen, den Opfern zu helfen. Nur dann senden wir das Signal aus: Eine Anzeige bringt etwas.

Dazu müssen wir das parlamentarische Verfahren nutzen. Wir sollten gemeinsam überlegen, wie wir den Referentenentwurf so weiterentwickeln, so verdichten, dass keine Schutzlücken mehr bestehen. Dabei muss es im Strafrahmen einen Unterschied machen, ob das Opfer die Tat einfach über sich ergehen lässt oder ob der Täter zum Beispiel mit einer Drohung den entgegenstehenden Willen des Opfers beugt; das kommt in Ihrem Entwurf nur am Rande zum Ausdruck. Es muss auch einen Unterschied machen, ob die Tat an einem Menschen mit Behinderung begangen wird und der Täter diese Behinderung ausnutzt. Hier denke ich an Artikel 46 der Istanbul-Konvention. Er gibt den Mitgliedstaaten den Handlungsauftrag, noch einmal zu überlegen, ob sich genau dieses Moment strafverschärfend – das ist der Unterschied zu Ihrem Entwurf – auswirken soll. Diese Frage ist im Referentenentwurf aus dem Ministerium sehr gut gelöst. Wir haben schon breite Zustimmung für diese Regelung erhalten, zum Beispiel von der Lebenshilfe.

Herr Kollege Hoffmann, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegen Keul zu?

Ja, aber selbstverständlich. Gerne.

Gut, dann verlängert sich Ihre Redezeit ein wenig.

Danke.

Bitte schön, Frau Keul.

Vielen Dank für die Zulassung der Zwischenfrage. – Sie haben gerade gesagt, dass man eigentlich strafverschärfend berücksichtigen müsse, dass jemand behindert ist. Aber in der Begründung Ihres Gesetzentwurfs ist es genau umgekehrt. Dort wird die Schwerstbehinderung straferleichternd berücksichtigt. Dazu heißt es dort:

Der im Vergleich zu § 177 Absatz 1 StGB niedrigere Strafrahmen rechtfertigt sich daraus, dass der Täter des § 177 Absatz 1 StGB zusätzlich einen entgegenstehenden Willen des Opfers durch Zwang beugen muss und daher wegen Nötigung mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr rechnen muss. Demgegenüber nutzt der Täter des § 179 … lediglich die Schutzlosigkeit des zum Widerstand nicht fähigen Opfers aus. Darüber hinausgehende Tatmodifikationen ...

Das ist die Begründung dafür, dass es weniger strafwürdig ist, wenn man jemanden missbraucht, der sich nicht wehren kann. Wie passt das zu Ihren Ausführungen, die Sie eben gemacht haben?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])

Sie haben vollkommen recht: Das steht so in der Begründung. Ich habe als Student gelernt: Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung. – Wenn Sie § 179 StGB lesen, dann stellen Sie fest, dass dort von „besonders schweren Fällen“ die Rede ist. In einem besonders schweren Fall wirkt sich eine Tat vor allem dann strafverschärfend aus, wenn sie an einem Menschen mit Behinderung begangen wird und der Täter diese Behinderung ausnutzt. – Das steht ausdrücklich so drin. Ich habe den Text jetzt leider nicht da.

(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe es Ihnen ja vorgelesen! Das ist das Gegenteil! – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Antwort gewesen! Ganz schlecht! – Gegenruf des Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Klar war das eine Antwort!)

Ich komme zu den beiden letzten Punkten, die uns bei der Frage bewegen sollten, wie wir in dieses parlamentarische Verfahren gehen. Wir sollten überlegen, wie wir Grapschen besser bestrafen können. Wir müssen von der Hilfskrücke der sexuellen Beleidigung wegkommen. Auch dazu haben Sie keinerlei Vorschläge unterbreitet. Außerdem müssen wir uns noch einmal die Frage stellen, ob wir nicht als Lehre aus Köln einen eigenen Tatbestand für sexuelle Übergriffe aus der Gruppe heraus etablieren, ähnlich § 231 StGB. Ich habe gestern den ausdrücklichen Wunsch von Innenminister de Maizière aufgenommen, dass wir uns mit dieser Frage beschäftigen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Wir haben viel zu tun. Ich denke, wir werden das gemeinsam anpacken. Ich glaube, dass wir das Gesetzgebungsverfahren noch vor der Sommerpause werden abschließen können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Jetzt hat die Kollegin Wawzyniak, Fraktion Die Linke, die Gelegenheit, darauf zu reagieren. Bitte schön.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6678184
Wahlperiode 18
Sitzung 161
Tagesordnungspunkt Sexualstrafrecht
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