17.03.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 161 / Tagesordnungspunkt 10

Sylvia PantelCDU/CSU - Sexualstrafrecht

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vergewaltigungen gehören zu den niederträchtigsten Straftaten, die wir uns vorstellen können. Eine Vergewaltigung zwingt in der Regel die Frau, etwas Abscheuliches über sich ergehen lassen zu müssen. Eine Vergewaltigung demütigt sie. Eine Vergewaltigung soll den Willen einer Frau brechen. Es ist der grausame Versuch, dem Opfer seine Würde zu nehmen. Eine der tragischsten Seiten ist: Eine Vergewaltigung hinterlässt Wunden, die nie wieder verheilen. Es sind diese schrecklichen Bilder im Kopf, die jeden hier im Saal beim Gedanken daran erschauern lassen – beim Gedanken daran, dass dies eine Mutter, eine Schwester, eine Tochter, eine Ehefrau oder Freundin erleben müsste.

Ich will an dieser Stelle keineswegs verschweigen, dass auch Männer Opfer sexueller Gewalt werden können. Auch wenn die Dunkelziffer bei Sexualdelikten gegen Männer wahrscheinlich ebenfalls hoch sein wird, sind es doch überwiegend Frauen, die Opfer werden.

Zwei wesentliche Punkte müssen wir an unserem Sexualstrafrecht verbessern. Wir sind gerade am Anfang der Debatte. Es ist nicht so – wie Sie gerade den Anschein erwecken wollten –, als wenn wir nichts verändern und auch über nichts reden wollten.

Erstens. Wir müssen dafür sorgen, dass der Tatbestand einer Vergewaltigung nicht erst dann vorliegt, wenn sich eine Frau mit Händen und Füßen gewehrt und der Vergewaltiger sie mit Gewalt zum Sex gezwungen hat; da sind wir uns einig. Zu oft schon kamen Täter straflos davon, weil sich ihre Opfer aus Angst und Panik wehrlos im Schock befanden und sich eben nicht körperlich wehren konnten. Wenn eine Frau um ihr Leben fürchtete, deshalb eine Vergewaltigung über sich ergehen ließ und der Täter dann straflos davonkam, wurde sie dann nicht gleich zweimal zum Opfer? Was nützt uns das Strafrecht, wenn zum Beispiel eine Mutter aus Angst vor den Konsequenzen für ihre Kinder wieder und wieder eine Vergewaltigung über sich ergehen lässt? Wo ist der Schutz, den wir als Gesellschaft hier bieten müssen?

Zweitens müssen wir dafür sorgen, dass auch die sexuelle Nötigung im Strafrecht präzise das umfasst, was wir bestrafen wollen. Der Griff in den Intimbereich muss genauso strafbewehrt sein wie sexuelle Übergriffe aus dem Schutz einer Gruppe heraus.

(Beifall bei der CDU/CSU und SPD)

Für uns ist ganz klar: Nein heißt nein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Das Problem bei jeder Gesetzgebung zu diesem Thema ist, dass wir vor einer schwierigen Abwägung stehen. Jede Anbahnung einer körperlichen Beziehung hat Momente der Ungewissheit: Will er, dass ich ihn fest in den Arm nehme? Will sie, dass ich sie jetzt küsse? – Stellen Sie sich vor, der impulsive Abschiedskuss bei einer ersten Verabredung würde den Tatbestand einer sexuellen Nötigung erfüllen! Es klingt absurd, aber so kann es missverstanden werden.

Der falsche Vorwurf einer Vergewaltigung kann ein Leben zerstören.

(Mechthild Rawert [SPD]: Eine Vergewaltigung auch!)

Es ist wichtig, ein Gesetz zu schaffen, das Rechtssicherheit schafft – und keine Verunsicherung. Am Ende wird all das, was wir im Bundestag in ein Gesetz gegossen haben, der Alltagspraxis bei Staatsanwaltschaften und Gerichten standhalten müssen. Daher ist es wichtig, einen gesetzlichen Rahmen zu haben, der klug und gewissenhaft ausbalanciert ist.

Frau Kollegin Pantel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fechner?

Ja.

Bitte schön.

Frau Kollegin Pantel, vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Ich habe eine Zwischenfrage, weil ich jetzt doch den Eindruck gewinne, die CDU/CSU-Fraktion wäre für die „Nein heißt nein“-Lösung. In der Frank­furter Allgemeinen Zeitung vom 12. Januar 2016 wird das Büro des stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, Herrn Strobl, zitiert – es deckt sich mit den Antworten, die ich von ihm bekommen habe –: Die Formulierung in der „Mainzer Erklärung“, die auf ein „Nein heißt nein“ hindeutet, sei nicht rechtstechnisch zu verstehen, sondern nur eine „griffige Formulierung“, die aber nicht wortwörtlich zu nehmen sei. – Was gilt denn jetzt? Was wollen Sie konkret?

Es gilt das, was unsere Fraktion hinterher ausgearbeitet hat: wie rechtsfest, rechtssicher und beweisfest dieses „Nein heißt nein“ sein kann.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie jetzt auch etwas ausgearbeitet? Das kennen wir ja noch gar nicht!)

– Davon sprach ich gerade. Ich wurde jetzt auf den Zeitungsartikel angesprochen. – Für uns heißt ein Nein nein. Es ist aber so, dass man dieses Nein beweisen können muss. Ich habe gerade versucht, es auszuführen: Man muss, wenn in einer bestimmten Situation im Intimbereich nicht klar war, dass für den, der übergriffig wurde, das Nein zu erkennen war, diesen Umstand beweisen.

(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss man immer beweisen! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Was heißt denn bei Ihnen „erkennbar“? Erkennbar ist erkennbar!)

– Erkennbar für wen? Erkennbar für den, der sich in der Rolle fühlte oder der das vermeintliche Opfer war oder nicht.

(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie jetzt die Täter schützen, oder was?)

Insofern muss man hier verschiedene Punkte klären. Wenn wir am Ende unserer Klärung sind, dann – davon bin ich überzeugt – werden wir eine Verbesserung der Situation herbeiführen können.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie auch eine Zwischenfrage der Kollegin Wawzyniak zu?

Ja klar.

Bitte schön.

Ich habe eine ganz einfache Frage. Sie haben gesagt: Ein Nein muss auch erkennbar sein. Was ist denn an einem Nein nicht zu verstehen?

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Es könnte nicht ernst gemeint sein!)

Angenommen, ich werde überrumpelt, und meine gesamte körperliche Haltung zeigt, dass ich das nicht will. Ich bin aber so geschockt, dass ich nicht antworten kann. Dann würde ich das auch als Nein werten. Ob der Richter das dann hinterher aufgrund bestimmter Positionen als Nein wertet, ist eine andere Sache.

Kollege Hoffmann hat doch eben einen Fall geschildert,

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jetzt kommen Sie nicht mit der Frau, die die Kontrolle verloren hat!)

dass die Frau am Anfang des Abends Nein gesagt hat, aber hinterher sich etwas anderes entwickelt, und dann ist es kein Nein mehr.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil sie die Kontrolle verloren hat! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Weil sie die Kontrolle verloren hat! – Gegenruf des Abg. Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Was ist denn da so lächerlich? Sie tun so, als gäbe es diese Frage nicht! – Mechthild Rawert [SPD]: Beide haben die Kontrolle verloren!)

– Wir sind erst am Anfang, das ordentlich zu beantworten. Wir hoffen, so viele Grenzfälle wie möglich gesetzlich zu regeln. Wir werden das sehen.

Die bisherige Gesetzgebung zu § 177 des Strafgesetzbuchs muss überarbeitet werden; darüber sind wir uns im Klaren. Deshalb wird die Regierungskoalition einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen, in dem die genannten Probleme klug abgewogen werden.

Als Familienpolitikerin ist es mir aber auch wichtig – auch wenn Sie das eventuell wieder lächerlich finden –, dass wir unser Augenmerk nicht nur auf das Strafrecht legen. Vielmehr sind auch Prävention, Schutz und Hilfe nötig. Prävention heißt, dass wir jungen Menschen klar und deutlich zu verstehen geben, dass Frauen kein Freiwild, dass Frauen keine Ware sind. Körperlichkeit ist etwas Intimes, Körperlichkeit ist etwas Schützenswertes. Dies zu vermitteln, ist unsere gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dieser Aufgabe gilt es nachzukommen, ganz gleich, ob wir uns an Zuwanderer, Flüchtlinge, Erwachsene oder Jugendliche aus deutschen Familien richten.

Wir müssen uns auch überlegen, ob sämtliche Entwicklungen in der Gesellschaft in die richtige Richtung gehen. Ich will keineswegs in die Sexualmoral der 50er-Jahre zurück; auch wenn Sie eben den Anschein erwecken wollten, dass wir nur gewisse Klischees bedienten. Wir sollten uns aber fragen, ob eine Überhöhung des Sexuellen nicht ebenfalls Teil des Problems ist. Müssen wir schon in der Grundschule Sexualität und Geschlechtlichkeit besonders hervorheben? Müssen schon in der Unterstufe so viele Sexpraktiken auf dem Lehrplan stehen, dass es womöglich zu einem Wettlauf um die krassesten Sexualerfahrungen kommt?

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte?)

Wird durch so etwas nicht auch gefördert, dass Frauen zu Sexobjekten degradiert werden, und somit einer Verrohung der Gesellschaft Vorschub geleistet?

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sexualaufklärung sorgt für Verrohung? Ich glaube, es hakt! – Gegenruf von der CDU/CSU: Genau zuhören!)

– Zwischen Aufklärung und Praktiken – Sie müssen genau hinschauen – besteht ein Riesenunterschied, und ich habe von Sexual praktiken und nicht von Aufklärung gesprochen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist jetzt alles nicht mehr wahr, oder?)

Es geht um Privatheit, um die Grenzen des persönlichen Schutzbereiches eines Menschen. Wir als Gesellschaft müssen deutlich machen, dass zu einem guten menschlichen Umgang miteinander der Respekt vor den Grenzen des anderen gehört. Nein heißt eben Nein.

Jede Frau und jeder Mann bestimmt selbst über den eigenen Körper. Prävention gegen sexuelle Gewalt heißt jedoch nicht, dass wir jetzt wieder für Millionen Euro neue Programme aus der Taufe heben müssen. Es heißt, dass wir Vorbilder sind, dass wir als Eltern unsere Kinder so erziehen, dass sie die Grenzen anderer respektieren. Das heißt auch, dass wir im Alltag Zivilcourage zeigen. Das beginnt im Freundes- und Kollegenkreis, das gilt in der Kneipe und im Schwimmbad, wenn wir erleben, dass unangemessene Sprüche gemacht und Anmachversuche unternommen werden. Hier sollten wir einschreiten und eben nicht wegschauen.

Schutz und Hilfe müssen wir den Opfern zukommen lassen. Der Bund hat durch seine Angebote wie das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ einen wichtigen Beitrag geleistet. Die Aufgabe der Länder ist es, die Frauenhäuser finanziell ausreichend auszustatten.

(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau da ducken Sie sich weg!)

All diese Maßnahmen gehören zusammen. Genau deshalb werden wir einen Gesetzentwurf vorlegen, der klug und gewissenhaft ausbalanciert ist.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Nach dieser Rede habe ich Zweifel! – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind leere Versprechungen, Frau Kollegin! Das wissen Sie genau!)

Vielen Dank. – Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt die Kollegin Mechthild Rawert, SPD-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6678250
Wahlperiode 18
Sitzung 161
Tagesordnungspunkt Sexualstrafrecht
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