Tobias ZechCDU/CSU - Arbeitsmarktpolitik für Flüchtlinge
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Pothmer, auch ich will mit dem Positiven anfangen. Der Antrag hat tatsächlich ein paar Punkte, die auch ich, die auch wir unterstützen. Ich fange einmal an:
Punkt eins. Die Asylverfahren müssen weiter beschleunigt werden. Das sehen wir auch so.
Punkt zwei. Der Personalschlüssel in den Jobcentern sollte dem im SGB II angegebenen Verhältnis entsprechen. Das sehen wir auch so. Das ist dringend notwendig, vor allem, je stärker die Jobcenter von der Flüchtlingsfrage betroffen sind. Auch ich besuche die Jobcenter. Da haben Sie recht.
Punkt drei. Die Angebote für Anpassungsqualifizierungen sollten ausgebaut werden. Auch damit haben Sie recht.
Wir tun das alles schon und arbeiten mit Hochdruck daran. Ich möchte nur an eines erinnern: Wir stehen jetzt vor einer Herausforderung, die wir alle vor einem Jahr nicht gesehen haben. Ich habe vor einem Jahr eine Rede bei der KAB gehalten. Ich habe gesagt: Passt mal auf, wir hatten im Jahr 2014 30 000 Flüchtlinge; wir erwarten im Jahr 2015 das Doppelte, 60 000 Flüchtlinge. – Das war im Januar 2015. Das Ergebnis ist bekannt: 1 Million. Dass jetzt nicht alles immer sofort funktioniert, dass nicht alle Strukturen, nicht alles, was wir haben, gleich funktionieren kann, muss jedem, glaube ich, einleuchten. Eines ist aber auch klar: Wir haben unglaublich viele gute Ideen, pragmatische Lösungsansätze auf der Bundesebene, aber auch in den Ländern und in den Kommunen.
(Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
– Herr Strengmann-Kuhn, ich sage gleich etwas dazu. – Man muss denen aber auch Zeit geben, damit sie wirken können.
Drei Dinge haben Sie in Ihrem Antrag, glaube ich, nicht so richtig gesehen. Ich will noch einmal darauf eingehen.
Sie fordern für jeden, egal woher er kommt, sofort den Zugang in den Arbeitsmarkt. Diese Einschätzung teile ich nicht. Da kann man unterschiedlicher Meinung sein. Ich sage Ihnen auch, warum. Kollegin Kolbe hat das schon ziemlich gut ausgeführt; deswegen will ich es nur noch kurz streifen. Die Frage der Qualifizierung: Nicht alle, die hierherkommen, haben ein Qualifikationsniveau, das die Einbettung in den Arbeitsmarkt oder in eine Berufsausbildung ermöglicht.
Drei Zahlen: Ein Viertel der Flüchtlinge hat weniger als fünf Jahre eine Schule besucht. 62 Prozent haben in ihrem Leben weder ein Studium noch eine Berufsausbildung abgeschlossen oder begonnen. 44 Prozent der beschäftigten Syrer, Iraker, Afghanen oder Eritreer hatten lediglich einen Helferjob. Das reicht bei unserem Arbeitsmarkt eben noch nicht, um einen sofortigen Arbeitsmarktzugang zu rechtfertigen. Somit sind es auch nicht die Fachkräfte von morgen. Das wollen sie auch nicht sein; dazu komme ich gleich noch.
Der zweite Punkt ist die fehlende Sprachkenntnis. Wenn Sie mit den Betrieben vor Ort sprechen, hören Sie, dass die fehlende Sprachkenntnis das Hauptproblem ist.
(Zuruf der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
– Es ist schön, dass Sie sich melden. – Ich kann mich noch erinnern, wie reagiert wurde, als wir, die CSU, vor einem Jahr in Kreuth gesagt haben, dass wir gerne möchten, dass alle Flüchtlinge, dass alle Ausländer, die Sprachprobleme haben, zu Hause deutsch sprechen. Wissen Sie, was Sie uns vorgeworfen haben? Zwangsgermanisierung. Was für ein Schwachsinn.
(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: So war es! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Zwangsgermanisierung“ hat niemand vorgeworfen!)
Mittlerweile weiß jeder, dass die Sprache der Schlüssel zur Integration ist. Wer das negiert, ist nicht an der Integration der Menschen interessiert, sondern an Ideologie.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
– Nein, nein.
Nächster Punkt – der ist mir am wichtigsten –: die Vermischung von Arbeitsmigration und Asyl. Sie schreiben – auch ein paar Personen aus der Wirtschaft haben das immer wieder gesagt; das finde ich furchtbar –, dass wir die Flüchtlinge brauchen, um unsere Fachkräfte- und Demografieschwierigkeiten zu überwinden, oder dass wir sie brauchen – so haben sie es fast geschrieben –, um die Sozialkassen zu unterstützen. Die Menschen, die aus Syrien hierherkommen, flüchten vor Krieg. Sie kommen nicht hierher, um unsere Sozialkassen zu füllen, sondern sie kommen hierher, weil sie zu Hause nicht leben können.
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)
Das zu vermischen, Arbeitsintegration mit Flucht gleichzusetzen, wird weder den Menschen gerecht, noch hilft es irgendjemandem im Land.
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht kein Mensch!)
– Doch, genau das machen Sie. – Ich sage Ihnen noch etwas: Sie stellen sich hierher und wollen den Menschen helfen.
Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Pothmer?
Ich bitte darum.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Herr Zech, ich möchte hier einmal ein Missverständnis aufklären. Wir gehen davon aus, dass die Menschen, die hierherflüchten, vor Krieg flüchten, vor Verfolgung flüchten, um ihr Leben bangen. Aber wenn sie hier sind, dann möchten und sollen die Flüchtlinge – das ist auch gut für die deutsche Gesellschaft – arbeiten. Dafür muss man auch etwas tun. Darin muss man die Flüchtlinge unterstützen. Das hat zunächst einmal gar nichts damit zu tun, dass wir die Flüchtlinge instrumentalisieren, um hier den Fachkräftemangel zu decken. Aber es macht schon Sinn, aus dieser Situation für Flüchtlinge, die Fachkräfte werden möchten und hier arbeiten möchten, und für uns eine Win-win-Situation zu machen.
Noch eine Frage, Herr Zech: Wenn es so ist, dass wir tatsächlich einen Fachkräftemangel haben – das werden Sie wahrscheinlich nicht bestreiten –, –
Nein.
– warum in Gottes Namen müssen Flüchtlinge, die hier bereits ein Arbeitsangebot haben, die eine hohe Qualifikation haben, in ihr Heimatland zurück, um dann von dort – Stichwort: Balkanflüchtlinge – hochkompliziert wieder einen Antrag zu stellen, damit sie zurückkommen können? Was soll das?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Okay, ich kann beides beantworten. – Ich fange bei Punkt eins Ihrer Frage an, Frau Pothmer. Danke, dass Sie es klargestellt haben. Dann schreiben Sie es aber bitte auch in den Antrag.
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie einfach mal den Antrag!)
Sie haben es nicht hineingeschrieben. Das habe ich angesprochen. Es wäre schön, wenn Sie es dort klarstellen. Wir sprechen hier nicht über einen Jobmotor, wir sprechen hier nicht über das vierte Wirtschaftswunder, sondern wir sprechen hier über die größte humanitäre Krise im Nahen Osten. Darüber sprechen wir. Schreiben Sie das bitte auch hinein.
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich wäre bereit, es hineinzuschreiben, wenn Sie dem Antrag dann zustimmen!)
– Danke. Dann hätten Sie es vorher machen müssen. Wir müssen vorher darüber sprechen.
Zweiter Punkt Ihrer Frage: Westbalkan. Jetzt sind wir bei einer grundsätzlichen Frage. Sie haben beim Westbalkan ja recht. Es gibt im Westbalkan – das meinen Sie ja mit Ihrer Frage – wirtschaftliche Probleme, ob das im Kosovo ist, in Mazedonien oder in Montenegro; das bestreitet niemand. Sie werden die Probleme des Westbalkans aber nicht in Deutschland lösen. Wir brauchen einen Marshallplan für den Balkan. Das heißt, wir wollen die Menschen aus dem Balkan nicht deswegen anerkennen. Die Anerkennungsquote für Menschen aus den Balkanstaaten beträgt 0,2 Prozent.
In Ihrem Antrag fordern Sie, dass alle, die hier asylberechtigt sind – –
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es nicht verstanden!)
– Doch, ich habe es schon verstanden.
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)
Sie müssen nur zuhören, Frau Müller-Gemmeke; ich glaube, Sie haben es nicht verstanden. – Sie fordern, dass alle, die hierherkommen, sofort das Recht haben sollen, eine Ausbildung zu machen und in den Arbeitsmarkt zu gehen. Das wollen wir nicht. Denn man kann den Balkan nur stützen, wenn die Menschen ihre Länder zu Hause wieder aufbauen. Das kann man nicht hier leisten. Das ist nicht nur inhuman, sondern auch volkswirtschaftlich schädlich. Somit liegt das in keiner Weise in unserem Interesse. – Das zur Beantwortung Ihrer Frage.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Jetzt komme ich zum letzten Punkt. Es gibt ja schon Maßnahmen, die flankierend greifen, ob „Early Intervention“, „Integration Points“ oder die Einstiegsqualifizierung. Allerdings wollen wir nicht, wie Sie es fordern, die Vorrangprüfung aufheben.
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Wirtschaft möchte das!)
Die Vorrangprüfung ist notwendig. Es gibt Möglichkeiten, die Arbeitsmarktmigration nach Deutschland zu steuern. Das tun wir. Wir haben die Bluecard und verschiedene andere Instrumente, die funktionieren. Was wir nicht wollen – dagegen verwahren wir uns –, ist eine Vermischung von Migration und Flucht. Das eine mit dem anderen aufzuwiegen, ist aus meiner Sicht unredlich.
Wir sind ja kurz vor Ostern, dem Fest der Hoffnung.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Und der Auferstehung!)
Lassen Sie uns doch gemeinsam an den Punkten, die wir vorgeschlagen haben, arbeiten. Lassen Sie uns die Maßnahmen, die wir jetzt auf den Weg gebracht haben, evaluieren. Allein der Freistaat Bayern hat eine halbe Milliarde Euro für Integration ausgegeben. Wir haben gemeinsam mit der vbw, den Handwerkskammern und den IHKen ein Programm aufgelegt, um bis 2016 20 000 und bis 2019 60 000 jugendliche Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
(Jutta Eckenbach [CDU/CSU]: Wenn die anderen Bundesländer das auch alle machen würden, ginge es uns besser! Das gilt übrigens auch für Nordrhein-Westfalen, Frau Pothmer!)
Das ist vernünftige Flüchtlingsarbeit. Das ist Prosa. Lassen Sie uns arbeiten.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das Wort hat die Kollegin Kerstin Griese für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6679027 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 161 |
Tagesordnungspunkt | Arbeitsmarktpolitik für Flüchtlinge |