Markus KurthDIE GRÜNEN - Rentenrecht für DDR-Altübersiedler und -Flüchtlinge
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Schimke, selten hat jemand so am Thema und am Sachverhalt vorbeigeredet, wie Sie das gerade getan haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Es geht bei dem Thema, das wir heute besprechen, nicht um die allgemeine Zusammenführung der Rentenversicherungen West und Ost im Zuge des Renten-Überleitungsgesetzes. Ziel des Renten-Überleitungsgesetzes damals war es, die Rentenansprüche derjenigen zu regeln, die zum Zeitpunkt des Beitritts als Bürgerinnen und Bürger der DDR Ansprüche gegenüber der DDR geltend machen konnten. Wir reden hier und heute aber über Personen, die zum Zeitpunkt des Beitritts die DDR längst verlassen hatten, entweder weil sie aus Gefängnissen herausgekauft wurden oder weil sie unter lebensgefährlichen Umständen die Mauer oder den Stacheldraht überwunden hatten oder aber weil sie vor 1961, also vor dem Mauerbau, unter Zurücklassung ihres gesamten Hab und Gutes
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und aller Rentenansprüche!)
die DDR verlassen hatten. Um diese Personengruppe geht es. Dieser Gruppe wurde mit der Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland zugesichert, dass ihre Rentenansprüche anders berechnet würden, nämlich nach dem Fremdrentengesetz. Das ist der Sachverhalt, den wir uns bewusst machen sollten.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist es!)
Damals, als das Renten-Überleitungsgesetz verabschiedet worden ist, hat der Gesetzgeber nicht daran gedacht, dass die aus der DDR Geflüchteten und Altübersiedler dann einfach nach dem DDR-Rentenrecht behandelt werden würden.
(Dr. Martin Rosemann [SPD]: Er hat es beschlossen!)
Ein sehr kluger Kronzeuge von damals, mit dem ich sonst politisch nicht übereinstimme, Norbert Geis, hat sich daran erinnert und im laufenden Petitionsverfahren gesagt – ich zitiere –: So – gemeint ist das, was ich gerade dargestellt habe – habe ich und so hat die Mehrheit des Deutschen Bundestages damals das Renten-Überleitungsgesetz verstanden. Anders konnte man es auch nicht verstehen. Deshalb hat auch die Mehrheit dem Gesetz zugestimmt. – So weit die Erinnerung eines Zeitzeugen. Da er von der Union ist, sollten gerade Sie sich daran erinnern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie können auch Norbert Blüm fragen! Er sieht das auch so!)
Ich finde, wir haben jetzt lange genug – davon nehme ich auch meine Fraktion nicht aus – zugesehen, wie ein Zustand herrschte, der für die Betroffenen äußerst unerfreulich und auch mit erheblichen materiellen Nachteilen verbunden ist und der darüber hinaus zu einer erheblichen Vertrauenskrise gegenüber dem Rechtsstaat geführt hat. Wir tun gut daran, nun, 25 Jahre nach der Vereinigung, diesen Zustand zu ändern und den Rechtsfrieden und das Vertrauen wiederherzustellen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Kollege Kurth, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Rosemann?
Ja, selbstverständlich. Gerne.
Herr Kollege Kurth, auch mir ist bekannt, dass frühere Mitglieder dieses Hauses, auch der von Ihnen zitierte Exkollege Geis, davon ausgehen, dass sie das so nicht beschlossen haben. Das kann ja sein – das will ich auch nicht bewerten –; denn das Renten-Überleitungsgesetz ist ein sehr langes und sehr komplexes Gesetz. Ich billige jedem Kollegen zu – ich schließe nicht aus, dass mir das auch einmal passiert –, dass man dann das eine oder andere übersieht.
Aber würden Sie vielleicht zur Kenntnis nehmen, dass erstens mit dem Renten-Überleitungsgesetz und der Neufassung des SGB VI in den §§ 256 a und 259 a explizit auf die Beitragszeiten im Beitrittsgebiet abgehoben wird, aber nicht auf bestimmte Personengruppen und die Frage, wann Personengruppen in die Bundesrepublik übergesiedelt sind, und dass zweitens durch Artikel 14 des Renten-Überleitungsgesetzes gleichzeitig auch die entsprechende Regelung im Fremdrentengesetz, wonach bis dahin die DDR-Zeiten mit Tabellenentgelten bewertet wurden, gestrichen wurde, sodass bei näherer Beschäftigung mit dem Gesetzesvorhaben damals sehr wohl hätte klar sein können, was da beschlossen wurde?
Das billige ich Ihnen ja gerne zu. Aber das war offensichtlich nicht der politische Wille und die Absicht des Gesetzgebers damals. So verstehe ich zumindest Herrn Geis.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Unabhängig vom sicherlich zutreffenden Wortlaut des Gesetzes, Herr Rosemann, muss man doch sehen, dass sich die betroffenen Altübersiedlerinnen und Altübersiedler bzw. Flüchtlinge jahrelang bzw. teilweise jahrzehntelang darauf verlassen haben, dass die Rentenansprüche so berechnet werden, wie es ihnen zum Zeitpunkt der Übersiedlung versprochen worden ist und wie es ihnen – der Kollege Matthias Birkwald hat es hier ja dargestellt – zum Zeitpunkt der Übersiedlung auch noch einmal schriftlich als Information gegeben worden ist. Das ist doch der politische Kern.
Ich finde nicht, dass man jetzt sozusagen mit der Darlegung eines Gesetzestextes, in dem alles schwarz auf weiß steht, das politische Problem überspielen und darüber hinwegtäuschen oder davon ablenken kann, dass wir als Gesetzgeber selbstverständlich in der Lage sind, diesen politischen Fehler zu heilen und zu korrigieren, um, wie gesagt, den Rechtsfrieden wieder herzustellen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
Herr Kollege Kurth, einen kleinen Moment. – Kollege Birkwald, sind Sie sich sicher, dass Sie sich jetzt melden wollen? Ich mache darauf aufmerksam, dass ich dann zu diesem Tagesordnungspunkt keine weitere Intervention von Ihnen zulassen kann, weil Sie dadurch Ihre Redezeit verdoppeln würden.
Na gut. Dann höre ich auf die Weisheit der Präsidentin.
Gut. – Dann kann der Kollege Kurth jetzt fortfahren; ich schalte auch die Uhr wieder ein.
Danke, Frau Präsidentin. – Der Kollege Birkwald – wir bringen den Antrag ja gemeinsam ein – kann sich darauf verlassen,
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ich wollte etwas zum Kollegen Rosemann sagen!)
dass ich auch noch den Sozialdemokraten ein Zitat mit auf den Weg gebe, das sie nachdenklich stimmen sollte. Sie sprechen ja immer gerne von „Wort halten“ und wiederholen geradezu mantraartig, dass Vertrauenswürdigkeit Ihr Markenkern ist. Ich möchte meine Rede nicht beenden, ohne an Ihren leider viel zu früh verstorbenen Kollegen Ottmar Schreiner und an das, was er 2012 von diesem Pult aus gesagt hat, zu erinnern. Damals hat er nämlich zu dem SPD-Antrag, den wir heute praktisch wortgleich einbringen, an die Union gerichtet gesagt – ich zitiere –:
Wenn auf Ihrer Seite der politische Wille vorhanden wäre, hier wirklich zu einer vernünftigen Korrektur zu kommen, zugunsten von Menschen, die es wirklich verdient hätten, dann könnten Änderungen erfolgen ... Aber es ist nichts anderes als Heuchelei, wenn Ihren Worten keine Taten folgen.
Ich weiß, das ist ein bitteres Zitat für Sie. Aber dem bleibt nichts hinzufügen.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Das Wort hat die Kollegin Daniela Kolbe für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6679091 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 161 |
Tagesordnungspunkt | Rentenrecht für DDR-Altübersiedler und -Flüchtlinge |