Karl LauterbachSPD - Reform der Pflegeberufe
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich will zunächst einmal auf den Schwerpunkt dieses Gesetzentwurfs zu sprechen kommen. Ich möchte in Erinnerung rufen, worum es hier eigentlich geht.
Erstens. Wir haben in der Pflege im Großen und Ganzen drei zentrale Problembereiche. Schon zum gegenwärtigen Zeitpunkt gelingt es uns nicht mehr, genügend junge Menschen für Pflegeberufe zu gewinnen. Viele derer, die in einem Pflegeberuf arbeiten, verlassen ihn zu früh. Unser Personalbedarf kann schon jetzt nicht mehr gedeckt werden. Dieses Problem wird sich vergrößern.
Zweitens. Es ist bekannt: Es gibt große Qualitätsdefizite in der Pflegeausbildung. Das möchte ich hier nicht vertiefen.
Drittens. Die Anforderungen werden immer größer. Die Bereiche überschneiden sich immer stärker: In der Altenpflege ist es notwendig, immer mehr medizinischen Anforderungen gerecht zu werden. Die Medizin, die im Krankenhaus praktiziert wird, hat zum Teil geriatrisch-altenpflegerische Herausforderungen zu bewältigen, was früher nicht der Fall war.
Die mit den drei beschriebenen Punkten verbundenen Probleme wollen wir mit der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs lösen.
Ich will nur der Fairness halber sagen, dass das, was eben vorgetragen wurde – ich weiß gar nicht mehr, von wem; ich glaube, es war von einer Kollegin von den Grünen, Maria Klein-Schmeink –, dass wir nämlich für die Pflege bisher zu wenig gemacht haben, ungerecht ist. Wir haben in dieser Legislaturperiode mehr gemacht, als in acht Jahren zuvor geschehen ist.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe es an die CDU gerichtet!)
Ich bringe dafür vier Beispiele. Wir haben 20 000 zusätzliche Betreuungsplätze in der Altenpflege ermöglicht.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind zwei Stellen pro Krankenhaus!)
Wir haben ein Pflegeförderprogramm im Umfang von 660 Millionen Euro aufgelegt. Wir haben einen Pflegezuschlag im Umfang von 500 Millionen Euro gewährt. Wir haben die Tarifbindung in die Wirtschaftlichkeitsprüfung der kompletten ambulanten und stationären Altenpflege hineingenommen. Derjenige, der nach Tarif bezahlt wird, kann nicht mehr als unwirtschaftlich qualifiziert werden. All das sind wichtige Maßnahmen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Das ist auf jeden Fall mehr, als in den acht Jahren zuvor geschehen ist. Daher ist es einfach unfair, zu sagen, da sei zu wenig gemacht worden.
Ich verweise als jemand, der das Problem der Pflege gut kennt – ich bin mit vielen Kinderkliniken in engem Kontakt; ich kenne die Ausbildungsdefizite genau –, auf den Bereich Kinderkrankenpflege, um zu zeigen, dass die geplante Ausbildungsreform eine gute ist.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die werden Ihnen alle sagen, dass sie sie nicht gut finden!)
– Nur ganz kurz. Ich bin gleich fertig.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich kenne nur Kinderkrankenhäuser, die sich beschweren!)
Der Bereich Kinderkrankenpflege wird ja oft kritisch besprochen. Der allergrößte Teil der praktischen Ausbildung wird in der jeweiligen Einrichtung selbst durch den dualen Träger der Ausbildung durchgeführt. 300 Ausbildungsstunden entfallen auf die stationäre Grundpflege. 120 Ausbildungsstunden,
(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Drei Wochen sind das!)
Pflichtstunden, entfallen auf die pädiatrische Versorgung. Wir haben 500 Stunden Vertiefung. Wir haben 400 Stunden Orientierung. Wir haben dann noch 80 Stunden zur freien Verfügung. Das sind 1 400 Stunden.
Die jetzige Ausbildung in der Kinderkrankenpflege ist qualitativ schlechter, weil bestimmte Bereiche komplett fehlen. Die besonderen Bedingungen bei Migrantenkindern, die besonderen Anforderungen für die moderne pädiatrische Onkologie sind nicht berücksichtigt. Kinderpsychiatrie ist in den jetzigen Curricula kaum enthalten. Also: Wir haben Defizite.
Wir haben bisher nur 900 Stunden. Wenn man den Vorschlag aufgreift, den die Kolleginnen von der Linkspartei hier vorgetragen haben – ein Jahr Vertiefung, nämlich das letzte Jahr –, dann käme man niemals auf die 1 400 Stunden; das ist schlicht ausgeschlossen. In der Praxis ist das so.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles Quatsch, was Sie erzählen!)
Hier wurde von irgendjemandem kritisiert, dass wir diese Inhalte nicht ins Gesetz schreiben, zum Beispiel mit Blick auf die besonderen Stoffwechselerkrankungen von Kindern mit Migrationshintergrund. So etwas machen wir in keinem Gesetz. Wir können in kein Gesetz hineinschreiben, wie beispielsweise die Ausbildung in den Informatikassistenzberufen genau aussehen muss; das bestimmt die entsprechende Fachkommission. Das machen hier die Pflegeschulen. Die Fachgesellschaften arbeiten bereits an dieser Reform. Sie nutzen die Gelegenheit, jetzt die modernen Inhalte zu definieren,
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gegen Modernisierung hat nie jemand etwas gesagt!)
die, ehrlich gesagt, vielleicht nicht jedem im Hause – bei allem Respekt – bekannt sind; das ist zumindest mein Eindruck nach den Reden.
Somit: Die Ausbildung kann man verbessern, wenn man pragmatisch herangeht. Es hat sich nirgendwo erwiesen, dass das alte Modell – zwei Jahre Grundausbildung, dann ein Jahr Vertiefung – funktioniert. Die Vertiefung muss viel früher beginnen. Das gleiche Problem haben wir beim Medizinstudium. Auch da fangen wir mit der Vertiefung viel zu spät an. Dass wir hier jetzt die Vertiefung und die Spezialisierung ganz nach vorn nehmen, schon in die Orientierung hinein – man kann schon in der Orientierung, in den ersten 400 Stunden, in die Pädiatrie gehen, man kann schon in die stationäre oder in die ambulante Altenpflege gehen –, ist genau der richtige Schritt, weil man darauf in den drei Jahren aufbauen kann.
Ich bin jetzt nur auf die 2 500 Stunden der praktischen Ausbildung eingegangen. Die 2 100 Stunden umfassende theoretische Ausbildung wird auch überarbeitet. Wir überarbeiten das Curriculum komplett und schmeißen dabei – Herr Kollege Henke wird das wissen – zahlreiche Dopplungen raus. Wir geben zudem vor – das gab es bisher nicht –, dass Personen unterrichten, die darin ausgebildet sind, die das hauptberuflich machen. Bisher ist das zum Teil im Nebenberuf gemacht worden. Ganz ehrlich – das darf man heute gar nicht mehr laut sagen –, wir haben zum Teil während des Medizinstudiums, ohne von der Pflege damals viel verstanden zu haben, Pflegeausbildung gemacht. Das ist nach der neuen Regelung überhaupt nicht mehr erlaubt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Somit: Alles kann man verbessern. Aber dann muss man in die Details einsteigen.
Letzte Bemerkung. Ich finde es traurig, dass der Protest, der am stärksten von den privaten Pflegeverbänden kommt,
(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt überhaupt nicht! – Gegenruf der Abg. Petra Crone [SPD]: Natürlich stimmt das!)
im Prinzip von den großen französischen Konzernen, die die Privatisierung der Altenpflege betreiben, ausgerechnet von der Linken und von den Grünen hier aufgenommen wird.
(Beifall bei der SPD – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie suchen sich hier die falschen Verbündeten. Das sind die härtesten Gegner unserer Reform, weil sie eine bessere Vergütung der Altenpflege fürchten. Das halte ich für nicht ehrenhaft.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Erich Irlstorfer, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6680446 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 162 |
Tagesordnungspunkt | Reform der Pflegeberufe |