18.03.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 162 / Tagesordnungspunkt 20

Philipp LengsfeldCDU/CSU - Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, ich habe zu Ihrem Gesetzentwurf als Forschungspolitiker zwei grundsätzliche Anmerkungen.

Aber eine andere Bemerkung vorab. Dieser Gesetzentwurf zielt – das ist in dieser Debatte an den Stichworten „Forschung“, „Innovation“, „Mittelstand“ ganz deutlich geworden – vor allem Richtung Union.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Richtung KMU! Wie sind Sie denn drauf?)

Ich nehme dies einmal als Kooperationsangebot, obwohl bis zur nächsten Bundestagswahl und zu den nächsten Koalitionsverhandlungen noch etwas Zeit ist.

(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das für ein Problem?)

Bis dato war diese Art von Anträgen eher eine Masche der Linkspartei gegenüber der SPD; ich habe es hier oft genug miterlebt.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir beantragen das seit den 2000er-Jahren! – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir beschäftigen uns doch nicht mit der Union! Wir beschäftigen uns mit Mittelstand!)

Es ist schon ein gutes Gefühl, wenn Sie uns umwerben – das gebe ich zu –, aber es ist auch ein bisschen komisch. Leider, wie ich ausführen werde, ist es auch nicht so originell, wie Sie tun.

Zum Inhalt. Ich bin der festen Überzeugung, dass eine steuerliche Forschungsförderung im Prinzip eine gute Sache ist – so wie es in unserem Wahlprogramm steht. Aber man muss auch konstatieren, dass wir in der Vergangenheit und in dieser Legislatur eine andere Politik gemacht haben. Wir haben dies anlässlich des diesjährigen EFI-Gutachtens an dieser Stelle schon diskutiert; es ist auch in der Debatte hier gesagt worden. Deutschland steht mit dieser Politik der aktuell rein direkten Forschungsförderung international sehr ansehnlich da. Das ist ein Fakt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ja, diesen Weg gehen in Europa nur zwei Staaten – auch das haben Sie erwähnt –: Deutschland und Estland. Aber schadet Estland der Verzicht auf steuerliche Forschungsförderung? Nein. Auch die Forschungslandschaft in Estland ist in keinem schlechten Zustand. Im Gegenteil: Estland, eine ehemalige Sowjetrepublik, hat seit über einem Jahrzehnt eine der höchsten FuE-Intensitäten aller osteuropäischen Staaten und ist einer der digitalen Vorreiter Europas; das kann man hier auch ruhig einmal erwähnen.

(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir leider nicht! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Als digitaler Nachreiter können wir davon viel lernen!)

Zurück zu unserer Situation. Wir sind eine Nation, die mit ihrem Geld umsichtig umgeht; zumindest steht die Union dafür.

(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Na, na, na! Was war denn das?)

Da wir Geld nur einmal ausgeben können, sollte unser jetziges Fördersystem in seinen Stärken geachtet werden. Dass Sie die Steuermindereinnahmen nicht unerwähnt lassen, ehrt Sie. Aber Sie drücken sich um die Frage, woher wir die Mittel nehmen. Ein gewisser Umbau der momentanen direkten Projektförderung – auch das ist erwähnt worden – wäre sicherlich unumgänglich. Das sollte gut überlegt sein. – Das ist mein erster Punkt.

Trotzdem wiegen die Argumente für eine steuerliche Forschungsförderung als zweite Säule schwer. Steuerliche Forschungsförderung – Sie von Bündnis 90/Die Grünen wissen vielleicht schon alles, aber Sie können mir ruhig zuhören – ist themenoffen, branchenoffen, breitenwirksam und generiert eine starke Hebelwirkung. Ich habe keine Angst davor. Ich finde das richtig: the­menoffen, branchenoffen, breitenwirksam und eine starke Hebelwirkung. – Um die sehr aufmerksamen Beobachter von LobbyControl zu beruhigen: Ja, diese Argumentation habe ich direkt aus einem Verbandspapier von BDI/BDA.

Diese Argumente klingen nicht nur überzeugend; ich halte sie auch für vollkommen richtig. BDI/BDA verweisen auf Studien – auch das ist hier erwähnt worden –, die belegen, dass zu jedem Euro Förderung mindestens 1 Euro an zusätzlichen FuE-Ausgaben eingesetzt wird.

(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und irgendwann gibt es wieder Steuern zurück!)

Das deckt sich übrigens auch mit meinen eigenen Erfahrungen im Bereich Forschung und Entwicklung, wo beileibe nicht alles nur nach reiner Notwendigkeit gemacht wird oder gemacht werden kann. Ich habe deshalb vor Mitnahmeeffekten auch nicht so große Sorgen wie andere.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, Ihr Antrag greift zu kurz – zu kurz! –;

(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann macht ihn weiter!)

denn Sie bleiben auf halber Strecke stehen. Frau Sitte will ich erwähnen; sie ist, glaube ich, nicht mehr hier.

(Zuruf der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE])

Wenn sie noch hier wäre, dann könnte sie sich freuen; denn sie hat es schon angekündigt: Wenn wir nach der nächsten Wahl tatsächlich eine steuerliche Forschungsförderung einführen, warum sollten wir sie auf KMUs, auf kleine und mittlere Unternehmen, beschränken? Warum?

(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil wir Steuergeld effizient einsetzen wollen!)

Weil die Forschungsförderung von KMUs der Kompromiss der Großen Koalition ist? Da sage ich ganz deutlich: Nein.

(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich stelle gleich eine Zwischenfrage!)

Wenn dieses Instrument eingeführt wird – ich bin im Prinzip dafür –, dann richtig, dann für alle!

Übrigens – das müssen Sie sich dann schon anhören, Frau Andreae –: Eine steuerliche FuE-Förderung ausschließlich für KMUs findet sich in keinem anderen Land, übrigens aus guten Gründen. Das können Sie in einem Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste nachlesen. Vielleicht haben Sie es selber in Auftrag gegeben; wenn nicht, sage ich es Ihnen: WD 4 – 3000 – 059/15. Darin wurde herausgearbeitet, dass es in keinem einzigen Land eine ausschließliche steuerliche Forschungsförderung von KMUs gibt. Das heißt: Was Sie hier vorschlagen, ist eigentlich wieder eine deutsche Sonderposition in Europa.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist so unkonkret!)

Darüber sollten Sie einmal nachdenken. Sie würde am Grundgedanken vorbeiführen, Standortanreize zu schaffen oder Standortnachteile einzudämmen, und könnte im Zweifel sogar kontraproduktiv sein. Das muss man sich einfach einmal überlegen.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eigentlich müssten wir Sie mit Zwischenfragen triezen! Dann könnten Sie noch mehr reden!)

Wenn zum Beispiel eine größere Firma ein kleines innovatives deutsches Unternehmen stützen will – das soll ja gelegentlich vorkommen; auch in Sachsen-Anhalt –, dann hätten wir große Probleme, wenn wir diese Unterscheidung einführen.

(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So viel zu Mittelstand!)

Wir brauchen eine steuerliche Forschungsförderung ohne zusätzliche Bürokratie und ohne willkürliche Grenzen.

(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! Wieder für die Konzerne, wieder für die Großen und nicht für den Mittelstand! Effizienter Steuergeldeinsatz!)

– Haben Sie einmal in einer großen Firma gearbeitet, Frau Andreae? Ich habe es. Ist es ein schlechterer Arbeitsplatz als in einem mittelständischen Unternehmen? Ich glaube nicht.

(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat doch nichts mit einem schlechteren Arbeitsplatz zu tun! Das hat etwas mit effizientem Mitteleinsatz zu tun!)

Ich finde, Sie machen es sich sehr leicht, wenn Sie fordern, dass wir die großen Arbeitgeber in diesem Land einfach zur Seite lassen. Ich glaube, da machen Sie es sich ziemlich leicht.

(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, Mensch! Erzählen Sie mir nichts über Wirtschaftspolitik!)

Aber ich sage Ihnen auch – das ist Ihnen natürlich klar –: Wenn wir es so machen, dann kostet es sehr viel mehr Geld, als Sie prognostiziert haben.

(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)

Die zwangsläufige Konsequenz wäre – ich sage es noch einmal –,

(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Plus 4 Milliarden Euro!)

dass es zu Verschiebungen in unserer Förderpolitik käme; das muss uns klar sein. Das wäre zu bedenken.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und schon wieder wächst zusammen, was zusammengehört! Union und Linke, erschreckend!)

Lassen Sie uns noch einmal im Detail darauf schauen, weil Sie ja offensichtlich von dieser Unterscheidung „KMU und große Arbeitgeber“ so tief überzeugt sind. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Gute und schlechte Forschung hängt ganz sicher nicht von der Unternehmensgröße ab. Das haben Sie zwar nicht behauptet; aber das steckt mit in dieser Logik.

(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber man kann es ja mal sagen!)

Herr Kollege Lengsfeld, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Andreae?

Ich freue mich.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt hast du ihm das Wochenende versüßt! – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Bitte schön.

Frau Lemke, Sie können es mir noch mehr versüßen, indem Sie mir noch eine weitere Frage stellen.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kein Interesse! Danke!)

– Dann eben nicht. Dann belasse ich es bei Frau Andreae.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht zur Sommerzeit!)

Wissen Sie, Herr Lengsfeld, Sie haben ja recht, dass die steuerliche Forschungsförderung für alle Unternehmen deutlich teurer werden würde, nämlich um ungefähr 4 Milliarden Euro. Wenn wir beobachten, dass unsere Forschungsförderung konzernlastig ist und dass bei der Projektförderung – das finden Sie in sämtlichen Studien; sogar beim DIW – vor allem die großen Unternehmen zum Zuge kommen, dann stelle ich mir als Wirtschaftspolitikerin die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, ein In­strument zu konzipieren, das den kleinen und den mittleren Unternehmen zur Verfügung steht. Ich gehe nämlich sorgsam mit Steuergeldern um. Ich möchte nicht, dass wir 4 Milliarden Euro für eine steuerliche Forschungsförderung in die Hand nehmen und sie allen zugutekommen lassen. Ich möchte, dass wir uns auf die Unternehmen konzentrieren, bei denen wirklich Bedarf ist, bei denen die Mittel wirklich effizient eingesetzt werden. Das sind die KMUs.

Erzählen Sie mir nicht, dass wir jetzt zwischen einem guten und einem schlechten Arbeitsplatz unterscheiden. Das ist ziemlicher Kokolores. Gehen Sie stattdessen einmal auf die Frage ein, warum Sie nicht in der Lage sind, zu sehen, dass wir eine konzernlastige Forschungsförderung haben und dass wir im Mittelstand viel Potenzial haben, das wir heben könnten, und dass wir den Gesetzentwurf deswegen so konzipiert haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kollegin Andreae, vielen Dank für die Frage. Im Prinzip beantworte ich sie gleich in meinem folgenden Redetext, aber ich sage es auch direkt. Ich habe in einem von den Großunternehmen gearbeitet, in einem von denen, die von Ihnen, ich will nicht sagen: schlechtgeredet, aber irgendwie so ein bisschen separiert betrachtet wurden. Ist Ihnen eigentlich klar, Frau Kollegin, dass auch in Großunternehmen Substrukturen vorhanden sind, dass bestimmte Produktbereiche sehr klein sind und fast total autonom gemanagt werden, dass da auch geforscht wird?

(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, natürlich!)

Können Sie sich diese Situation vorstellen? Übrigens ist das eine ziemlich reguläre Geschichte nach Übernahmen. Wenn man eine kleine Firma kauft, behält man die Marke bei, hat eine große Dachmarke darüber; aber gemanagt wird das Ganze wie ein kleines und mittleres Unternehmen.

Dann erzählen Sie mal den Forschern in diesem Produktbereich, dass sie keine Forschungsförderung kriegen, während eine ganz ähnlich strukturierte Firma, zu der sie in direkter Konkurrenz stehen, ein echtes KMU, Ihre Spezialförderung genießen darf. Da sage ich: Ich bin nicht dafür. Ich bin dafür, dass dieses Instrument, wenn wir es einführen, allen zugutekommt. Natürlich können wir eine Ausdifferenzierung vornehmen, aber der Grundsatz ist – das sagt übrigens auch die EFI –, dass wir diese zweite Säule für alle einführen. Die Einführung einer steuerlichen FuE-Förderung hält die EFI für dringend erforderlich; das ist von Ihnen zitiert worden. Dann kommt eine Einschränkung, die ich aber übrigens als rein taktisch sehe:

(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was kommt den jetzt für eine taktische Einschränkung?)

Wenn Budgetrestriktionen im Bundeshaushalt nur eine begrenzte steuerliche Förderung ermöglichen, sollte sie zunächst vornehmlich für KMU eingeführt werden.

(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)

Das steht in dem EFI-Gutachten.

Ganz ehrlich: Da haben sich die Wissenschaftler einfach die reale Situation in dieser Legislaturperiode und die politische Diskussion angeschaut und gesagt: Wenn wir schon nicht durchsetzen können, dass es richtig gemacht wird, dann wird wenigstens über die KMUs der Fuß in die Tür gesetzt. – Ich sage: Nein; wenn, dann sollten wir es richtig machen.

Zusammengefasst – meine Redezeit ist noch nicht ganz abgelaufen, aber fast vorbei –: Wir haben eine starke Forschungsförderung – auch ohne die zweite Säule der steuerlichen Entlastung. Aber wenn wir die zweite Säule einführen – darüber können wir reden; ich bin dafür –, dann sollten wir es richtig machen und sie für alle Unternehmen, die Innovationen in diesem Land leisten, die Arbeitsplätze schaffen und uns voranbringen, einführen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Und zusätzlich!)

Vielen Dank.

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Daniela De Ridder, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6680631
Wahlperiode 18
Sitzung 162
Tagesordnungspunkt Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen
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