18.03.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 162 / Tagesordnungspunkt 22

Steffen KanitzCDU/CSU - Atomausstieg in Europa

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich bedanke mich ganz herzlich bei den Linken für diesen Antrag, weil er mir die Gelegenheit gibt, Herr Kollege Zdebel, ein paar Sachverhalte klarzustellen und auch Unklarheiten zu beseitigen.

Zunächst zum Titel Ihres Antrags: „Risiko-Reaktoren abschalten – Atomausstieg in Europa beschleunigen“. Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, da war der Wunsch Vater des Gedankens. Wir müssen zur Kenntnis nehmen – wir haben das auch in dem Fachgespräch im Umweltausschuss in dieser Woche so festgestellt –, dass in Europa vier Kernkraftwerke aktuell im Bau und weitere 30 in Planung sind. Insofern können wir davon ausgehen, dass der deutsche Weg im Moment nach wie vor ein Sonderweg ist. Ich hoffe, dass er gelingt und werde mich sehr dafür einsetzen. Meine Fraktion tut das auch. Aber der wichtigste Indikator dafür, ob Europa mitmacht, wird sein, ob die Energiewende gelingt oder nicht, und nicht, ob wir die Europäer dazu zwingen, unserem Weg zu folgen.

Zu der Forderung in Ihrem Antrag, aus dem Euratom-Vertrag auszusteigen, ihn zu kündigen. Um das für unsere Fraktion klarzustellen: Das kommt für uns nicht infrage.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Euratom-Vertrag, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist Teil der Römischen Verträge von 1957 zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften. Eine einseitige Aufkündigung des Euratom-Vertrages – das impliziert Ihr Antrag – käme einem Austritt aus der Europäischen Union gleich.

(Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Das ist Quatsch!)

Andere europäische Länder zu bewegen, aus der Kernenergie auszusteigen, ohne selbst EU-Mitglied zu sein, diese Forderung erscheint mir nicht wirklich schlüssig. Wir sind uns ja völlig einig, dass wir Europa dazu bringen wollen, andere Sicherheitsstandards zu akzeptieren. Wir würden uns ins eigene Fleisch schneiden, wenn wir uns aus dem Euratom-Vertrag verabschieden würden, weil wir damit nicht mehr die Möglichkeit hätten, auf europäischer Ebene darauf hinzuwirken, dass höhere Sicherheitsstandards angewendet werden.

Ihre öffentlichen Äußerungen zu Vorfällen in den europäischen Kernkraftwerken halte ich, ehrlich gesagt, für ziemlich unverantwortlich. Würde man allein Ihren heutigen Ausführungen oder auch denen aus den letzten Wochen und Monaten folgen, dann stünde der sogenannte Super-GAU, wie Sie es beschreiben, in mehreren deutschen Nachbarstaaten kurz bevor.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Waren Sie schon einmal in Fessenheim?)

Ich kann nur an Sie appellieren: Lassen Sie uns das Thema ernsthaft und sorgfältig diskutieren, aber bitte keine Panikmache auf Grundlage falscher Behauptungen betreiben.

Um Ihre irreführende Argumentation zu entlarven, möchte ich beispielhaft auf die Ereignisse, Herr Kollege Krischer, im Kernkraftwerk Fessenheim vom 9. April 2014 eingehen, die Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, ja als einen wahnsinnigen Skandal beschreiben. Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass es sich um einen vertuschten Störfall in einem Schrottreaktor handelt, bei dem die französische Atomaufsichtsbehörde beide Augen zugedrückt habe. Ich stelle zu Beginn einmal fest: Es gab weder einen vertuschten Störfall, noch gab es einen schweren Störfall.

Das Kernkraftwerk Fessenheim – jetzt etwas zur Technik – umfasst neben dem Reaktorgebäude auch ein separates Schaltanlagengebäude. Dort befinden sich sämtliche Schalt- und Regelanlagen zum Betrieb des Reaktors. Das ist an sich nichts Neues, sondern üblicher Standard bei unseren Kernkraftwerken und auch denen in Europa. Zu diesem Schaltanlagengebäude gehört auch das Reaktorschnellabschaltsystem, mit dem im Anforderungsfall – und nur im Anforderungsfall – der Reaktor heruntergefahren werden kann. Dieses Reaktorschnellabschaltsystem gehört zu den sogenannten Sicherheitssystemen und ist genau aus diesem Grund redundant, also doppelt, ausgelegt.

Neben diesen Sicherheitssystemen gibt es weitere betriebliche Systeme, mit denen wir Reaktoren steuern und herunterfahren. Dazu – das ist eben keine Neuigkeit – gehört gerade und insbesondere die Borsäure.

(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht zur Schnellabschaltung!)

– In jedem deutschen Druckwasserreaktor wird Borsäure eingesetzt,

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was soll das denn?)

ganz einfach deswegen, Frau Kollegin Kotting-Uhl, um die Überschussaktivität, die anfällt, wenn sie neue Brennelemente einsetzen, abzufangen. Das ist bei Siedewasserreaktoren anders. Diese werden über die Brennstäbe gesteuert, die Druckwasserreaktoren nicht. Ich möchte für Sie noch einmal festhalten: In jedem Druckwasserreaktor befindet sich Borsäure. Mindestens einmal jährlich wird jeder deutsche Druckwasserreaktor zu Revisionszwecken unter Zugabe von Bor abgeschaltet

(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht mit Borsäure!)

– selbstverständlich – und nicht über die Abschaltung der Brennelemente. Die Verwendung von Bor ist eben nicht ungewöhnlich, sondern ein ganz normaler betrieblicher Vorgang, nicht nur in deutschen Druckwasserreaktoren.

(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Richtig!)

Was ist nun im April 2014 in Fessenheim passiert? Ein Kühlwassertank ist übergelaufen. Das Wasser hat einen Schaltschrank erreicht und hat ein Reaktorschnell­abschaltsystem außer Betrieb gesetzt. Das zweite Reaktorschnellabschaltsystem war zu jedem Zeitpunkt einsatzbereit. Da aber kein Anforderungsfall für die Betriebsmannschaft vorlag, weil der Betrieb des Reaktors ja völlig normal weiterlief, bestand überhaupt gar keine Notwendigkeit, auf die Schnellabschaltung zurückzugreifen. Vielmehr hat man nach dem Betriebshandbuch gehandelt, das besagt, bei einem Störfall der Klasse 1 binnen acht Stunden die Druckwasserreaktoren durch die Zugabe von Bor herunterzufahren. Die französische Atomaufsichtsbehörde wurde noch am selben Tag informiert und machte sich am nächsten Tag ein Bild von der Lage vor Ort. Sämtliche Untersuchungsergebnisse wurden unmittelbar veröffentlicht.

Und nun zum Vorwurf der Opposition – wir hatten das ja auch im Umweltausschuss in dieser Woche –, dass die Zugabe von Bor nicht veröffentlicht wurde. Ich richte mich insbesondere an Sie, Frau Kotting-Uhl, und an die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen: Sie scheinen die Anfragen der Kolleginnen und Kollegen Ihrer eigenen Partei in den Landtagen nicht zu kennen. Schon im Dezember 2014 hat die grüne Landtagsfraktion in Baden-Württemberg den grünen Umweltminister Untersteller ebenfalls zu diesem Vorfall befragt. Ergebnis der Anfrage war, dass alle relevanten Informationen zu dem Ereignis in Fessenheim veröffentlicht wurden – inklusive der Verwendung von Bor. Ich stelle Ihnen die Antwort auf die Anfrage gerne zur Verfügung, damit Sie das überprüfen können.

Ich bitte insofern alle, die hier sitzen, bei diesem sehr ernsthaften Thema sachlich und faktenbezogen zu diskutieren, keine Hysterie zu schüren und keine Unsicherheit zu produzieren.

Dieser Seitenschwenk sei mir erlaubt: Wenn kurz vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg ein solcher angeblicher Störfall öffentlich wird, verbunden mit der angeblichen Neuigkeit, dass Borsäure verwendet wurde, um den Reaktor abzuschalten,

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das für eine Rede? Was rechtfertigen Sie hier?)

dann liegt zumindest der Verdacht nahe, dass hier auch ein bisschen Wahlkampfhilfe geleistet wurde.

(Beifall bei der CDU/CSU – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von wem denn?)

Die Fakten besagen, dass es sich um eine umgehend öffentlich kommunizierte Störung der Stufe 1 nach der insgesamt siebenstufigen Internationalen Bewertungs­skala für nukleare und radiologische Ereignisse handelt. Die Definition dieser Stufe lautet: Abweichung vom normalen Betrieb der Anlage. Nichtbehebung der Problemquelle könnte allenfalls zu einem höherstufigen Folgeereignis führen. – Es handelt sich bei dem Unfall in Fessenheim folglich nicht um eine Beinahe-Katastrophe, so wie das hier gerne dargestellt wird, sondern lediglich um ein nicht zu unterschätzendes meldepflichtiges Ereignis der zweitniedrigsten Kategorie.

Angesichts dieser Einordnung der Vorfälle liegt natürlich der Verdacht nahe – das habe ich gerade gesagt –, dass es sich hier um eine Hilfe für die Grünen im Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg handelte, was ich nicht so richtig hilfreich finde.

(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Durch wen denn? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Journalisten veröffentlicht! Ich bitte Sie!)

Jetzt – exemplarisch – zu den einzelnen Forderungen in Ihrem Antrag: Sie fordern, das französische Atomkraftwerk Cattenom stillzulegen. Dazu durften wir ja von Ihrem ideologischen Vordenker, Oskar Lafontaine, in dieser Woche den geistreichen Vorschlag vernehmen, mit deutschen Steuergeldern einen Fonds einzurichten, um das französische Atomkraftwerk abzuschalten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, die Bankenrettung kritisieren, aber die Betreiber von ausländischen Kernkraftwerken für die Stilllegung von Kernkraftwerken großzügig bezahlen wollen – ich würde sagen: Das nennt man Doppelmoral.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Karin Binder [DIE LINKE])

Dann kommen wir noch ganz kurz zu Ihrer Forderung nach öffentlicher Verfügbarkeit sämtlicher sicherheitsrelevanter Unterlagen der Atomkraftwerke. Um das einmal zu sagen: Ich halte diese Forderung für mehr als leichtsinnig. Ich habe schon einmal diesen Vergleich gewählt: Einem Panzerknacker geben Sie als Bankdirektor doch auch nicht die Baupläne Ihres Tresors! – Ich glaube, Ihr Problem als staatsgläubige Partei ist, dass Sie kein Vertrauen in die deutschen Behörden haben. Wir schon, das ist der Unterschied.

(Beifall bei der CDU/CSU – Karin Binder [DIE LINKE]: In die deutschen Behörden schon! – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die Erde ist eine Scheibe!)

Nun eine kurze abschließende Klarstellung zum Thema Urenco und Gronau – dieses Thema bringen Sie ja immer wieder –: Erstens. Beide Unternehmen haben eine gültige Betriebsgenehmigung. Zweitens. Wir steigen zwar aus der Kernenergie als Stromerzeugungsquelle aus, das heißt aber nicht, dass wir ebenso aus der Forschung aussteigen oder es Unternehmen verbieten, Brennelemente zu produzieren. Sie wissen, dass eine Stilllegung beider Unternehmen nicht zur Folge hätte, dass andere Kernkraftwerke abgeschaltet würden, weil die Kernkraftwerke redundant mit Brennelementen versorgt werden.

Abschließend möchte ich noch einmal meine Enttäuschung über Ihren Antrag zum Ausdruck bringen. Ich muss ganz ehrlich sagen: Nach zwei Jahren Kommissionsarbeit hätte ich erwartet, dass wir ernsthaft und faktenbasiert diskutieren können. Ihr Antrag ist kein Beitrag dazu; insofern müssen wir ihn leider ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, die nächste Rednerin ist Sylvia Kotting-Uhl von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6680821
Wahlperiode 18
Sitzung 162
Tagesordnungspunkt Atomausstieg in Europa
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