14.04.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 164 / Tagesordnungspunkt 5

Sabine ZimmermannDIE LINKE - Stärkung der beruflichen Weiterbildung

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nichts schützt so sehr vor Erwerbslosigkeit wie eine gute, solide Ausbildung. Zu diesem Ergebnis kommen viele Studien. Heute werden es viele von Ihnen sagen. Ich glaube, jeder hier in diesem Hause weiß das. Über diese Einsicht sollte es auch hier in diesem Hause keine Meinungsunterschiede geben. Das Risiko, erwerbslos zu sein, hängt also eng mit der Qualifikation zusammen. Je niedriger sie ist, desto schlechter sind die Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Nun dürfen wir verblüfft feststellen, dass dies auch in der Begründung des vorliegenden Gesetzesentwurfes ausgeführt wird: Qualifikation sei der beste Schutz vor Erwerbslosigkeit, und dies unterstreiche den Stellenwert von Aus- und Weiterbildung.

(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Stofffestigung durch Wiederholung!)

– Ja, Kollege Zimmer. – Das ist sehr, sehr schön, und das würden wir Linke auch sofort unterschreiben. Aber bei Ihnen – das muss ich Ihnen sagen – ist es einfach nur leeres Geschwätz.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Das kennen wir von Ihnen ja auch!)

Weder in Ihrer bisherigen Arbeitsmarktpolitik hat sich diese Erkenntnis wiedergefunden noch prägt sie dieses Gesetz. Da können Sie sich empören, wie Sie möchten. Das ist alles überflüssig; denn das Einzige, was Sie mit diesem Gesetz tun, ist, Aktivitäten vorzutäuschen.

(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Aber das Vortäuschen ist doch auch eine Aktivität!)

Ich sage Ihnen auch, warum. Das ist ein weiteres Mal eine reine Ankündigungspolitik ohne jede Substanz, eigentlich so, wie wir es schon immer von dieser Bundesregierung zum Thema Arbeitsmarktpolitik gewohnt sind.

(Zuruf von der SPD: Also wirklich!)

Aktuell verfügen 46 Prozent aller Erwerbslosen über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Im Bereich des SGB II sind es sogar 57 Prozent. Allein im SGB II hatten wir im Jahr 2015 1,1 Millionen erwerbslose Menschen ohne Berufsausbildung. Dem stehen nach den aktuellsten Zahlen im Hartz-IV-Bereich 27 835 geförderte Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Maßnahmen zur Erlangung eines Berufsabschlusses gegenüber. So unterstreicht die Bundesregierung den Stellenwert von Aus- und Weiterbildung in der Arbeitsmarktpolitik. Die Linke sagt: Sie täuschen die Bürgerinnen und Bürger mit schönen Worten, und es folgen keine Taten.

(Beifall bei der LINKEN)

Warum machen Sie den Menschen, den über 1 Million Menschen, kein Angebot, Herr Zimmer?

(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Ich kann das doch gar nicht!)

Ich sage es Ihnen. Sie haben die Erwerbslosen aufs Abstellgleis geschoben. Das ist Ihre Arbeitsmarktpolitik der letzten Jahre. Da wird die Linke nie mitmachen. Das muss an dieser Stelle gesagt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Und nicht nur das. Sie verweigern auch eine effektive Unterstützung. Ihre Alternative – die nenne ich Ihnen jetzt auch – ist, die Menschen zu drangsalieren,

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wie bitte?)

zu sanktionieren und ihnen in vielen Fällen sogar das Existenzminimum zu verweigern. Das ist unmenschlich, und das muss hier deutlich gesagt werden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN – Katja Mast [SPD]: Das ist alles widerlegt!)

Dass Sie sich auch noch trauen, hier von einer Verbesserung des Schutzes in der Arbeitslosenversicherung zu schwafeln, grenzt schon etwas an Volksverdummung. Von den Punkten, die Sie, Frau Kramme, genannt haben, sind viele freiwillig. Das, was sich jemand im Niedriglohnbereich freiwillig leisten kann, darf er dann noch von seinem Lohn bezahlen. Das ist für mich keine wirkliche Verbesserung der Arbeitslosenversicherung.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Was wollen Sie denn, Frau Kollegin?)

Weil Sie anscheinend auch jeden Bezug zur Lebensrealität vieler Erwerbsloser verloren haben, schildere ich Ihnen einmal die Situation dieser Menschen. Sie berichten mir nämlich oft von ihren frustrierenden Erfahrungen. Viele möchten sich weiterbilden und qualifizieren. Sie haben sich genaue Gedanken darüber gemacht, was für einen neuen Job sie suchen und was dabei helfen könnte. Aber es kommt die Ernüchterung, wenn sie zum Amt kommen, zum Jobcenter oder zum Arbeitsamt, wo man ihnen dann sagt: Weiterbildung? Für Sie nicht.

Ursache ist die extreme Unterfinanzierung der Arbeitsmarktpolitik, der Kahlschlag, der im Jahre 2010 von Ihnen so richtig eingeleitet wurde. Wenn Arbeitsmarktpolitik keine Chancenverhinderungspolitik sein soll, wie es momentan aufgrund Ihrer Politik der Fall ist, muss sie ausfinanziert sein. Nehmen Sie endlich Geld in die Hand, um Weiterbildung zu finanzieren, statt einfach nur he­rumzuschwafeln!

(Beifall bei der LINKEN)

Investieren Sie in die Menschen, anstatt sie zu demoralisieren! Unterstützen Sie die Stärken und die vorhandenen Potenziale, statt sie den Erwerbslosen abzusprechen! Unterstützen Sie die gute Beschäftigung! Stoppen Sie endlich die verdeckte Förderung der Wirtschaft im Zusammenhang mit Dumpinglöhnen und der Aufstockung durch Hartz IV! Das darf es nicht mehr geben.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Förderung muss deutlich mehr Geld zur Verfügung gestellt werden; aber das muss man natürlich auch wollen. Die Linke fordert dies seit vielen Jahren. Wenn Sie nicht bereit sind, für eine ordentliche Finanzierung in der Weiterbildung zu sorgen, dann wird sich hier auch nichts ändern. Notwendig ist ein Rechtsanspruch auf berufliche Weiterbildung. Sie würden staunen, wie viele Erwerbslose davon Gebrauch machen würden. Die Linke sagt deutlich: Es geht nicht nur um Weiterbildungsangebote, sondern hier muss auch an anderen Stellschrauben gedreht werden. Zum Beispiel muss dafür gesorgt werden, dass Alleinerziehende, die eine Weiterbildung machen wollen, mit einem Kitaplatz versorgt sind. Das ist auch sehr wichtig.

Jetzt wollen Sie eine Weiterbildungsprämie für das Bestehen der Zwischenprüfung und der Abschlussprüfung einführen.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ist das eine Verschlechterung oder eine Verbesserung?)

Das ist ein richtiger Schritt; das spreche ich Ihnen auch gar nicht ab.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Na endlich! – Weitere Zurufe von der SPD: Oh!)

Aber das Entscheidende ist doch – da müssen Sie mir auch zuhören –, dass die Berufsqualifizierung durch einen Bildungszuschuss begleitet wird, wodurch geringere Einkommen gerade während dieser Zeit ausgeglichen werden. Und da geht es nicht um große Beträge. Für viele Menschen entscheidet sich das an wenigen Euro, ob genug Geld vorhanden ist, um den Alltag bewältigen zu können, wenn sie eine Weiterbildung machen.

Es gibt auch noch andere Faktoren, die hier wichtig sind. In Ihrem Gesetzentwurf findet sich dazu aber leider nichts. Fehlanzeige! Der Handlungsbedarf ist riesig, doch die Bundesregierung bewegt sich hier bestenfalls um einige Millimeter. Dazu gehört auch, dass Sie in Ihre Überlegungen zum Beispiel überhaupt nicht mit einbeziehen, dass Weiterbildungsinitiativen mit einem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor flankiert werden müssen; denn nach wie vor gibt es doch bei uns Regionen, in denen es zu wenige Arbeitsplätze gibt, aber wichtige gesellschaftliche Aufgaben vorhanden sind.

Meine Damen und Herren, mittlerweile werden über zwei Drittel der Erwerbslosen nicht mehr durch die Erwerbslosenversicherung betreut, sondern im Hartz-IV-System. Fast ein Viertel der Beschäftigten, die erwerbslos werden, fallen direkt in Hartz IV. Diese Zahlen machen doch ganz deutlich, dass die Arbeitslosenversicherung in dieser Form zum Auslaufmodell geworden ist. Nun aufgrund von minimalen Detailregelungen von einer Stärkung durch den vorliegenden Gesetzentwurf zu sprechen, ist aus unserer Sicht wirklich eine Frechheit.

Soll die Arbeitslosenversicherung wieder vom Sonderfall zum Regelfall werden, muss unter anderem die Rahmenfrist wieder von zwei auf drei Jahre erweitert werden

(Beifall bei der LINKEN)

und der Anspruch auf Arbeitslosengeld bereits nach vier Monaten Beitragszeit entstehen. Außerdem müssten ältere Erwerbslose einen Anspruch darauf haben, länger Arbeitslosengeld zu erhalten.

Ich komme zum Schluss: Nichts von alledem findet sich in Ihrem Gesetzentwurf. Aber das sind eigentlich elementare Punkte sozialer Gerechtigkeit und des sozialen Friedens. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Das sind, wie ich glaube, Worte, die Sie hier in diesem Hause schon lange vergessen haben.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Kollege Karl Schiewerling spricht jetzt für die CDU/CSU.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6753327
Wahlperiode 18
Sitzung 164
Tagesordnungspunkt Stärkung der beruflichen Weiterbildung
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta