Renate KünastDIE GRÜNEN - Menschenrechtsschutz bei Produktion im Ausland
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In zehn Tagen, am 24. April, ist der dritte Jahrestag des Unglücks von Rana Plaza. Das war ein Gebäude in der Hauptstadt von Bangladesch, das gar nicht für die Textilfertigung vorgesehen war. Es gab darin eine Bank und Geschäfte, und im obersten Stockwerk hat jemand Nähmaschinen aufgestellt und Notstromaggregate installiert, weil in der Hauptstadt Dhaka so oft der Strom ausfällt. Wenn das der Fall ist, gehen mehrmals am Tag mit einer großen Erschütterung die Aggregate an. Vor drei Jahren, am 24. April, hat sich gezeigt, dass die Statik des Gebäudes diese Erschütterungen nicht aushielt, weil es dafür nicht geplant war.
Es sind mehr als 1 100 Menschen von den Trümmern zermalmt und unter ihnen begraben worden, mehr als 2 400 Menschen sind verletzt worden, viele darunter schwer. Dieses Bild hat uns vor drei Jahren aufgerüttelt und den Fokus auf die internationale Textilproduktion gerichtet. Bei der Textilproduktion findet eine Art globaler Wanderzirkus statt. Die Unternehmen gehen überall dorthin, wo wenige Einschränkungen für sie herrschen, wo es nur geringe Umweltstandards gibt, der Schutz der Menschenrechte wenig ausgeprägt ist, die Arbeitsbedingungen schlecht sind und kaum Sicherheitsstandards eingehalten werden, kurz: Sie gehen dorthin, wo sie möglichst billig produzieren können. Der globale Wanderzirkus geht auch heute immer weiter.
Die Bedingungen in der gesamten Produktionskette, angefangen von der Baumwollproduktion bis hin zum Endprodukt, sind von Unsicherheit und Nichtbeachtung der Menschenwürde geprägt. Das schließt auch Sklaven- und Kinderarbeit ein. Deshalb stehen die internationalen Textilunternehmen und der Handel zu Recht in der Kritik. Makaber ist, dass wir mit all diesen Ländern Investitionsschutzabkommen abschließen, um das Geld, das dort investiert wird, abzusichern, aber nicht dafür Sorge tragen, dass die international anerkannten Arbeitnehmer- und Menschenrechte hundertprozentig gewahrt werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wie andere aus meiner Fraktion habe auch ich mir schon manche Produktionsstätten angesehen, in China, in Bangladesch und in Myanmar. Ich habe mit Gewerkschaftsvertreterinnen und -vertretern geredet, mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, NGOs, Unternehmerinnen und Unternehmern und auch mit Bestellern aus Europa. Ich sage: Die Situation ist immer noch horrorhaft, selbst da, wo man sich auf den Weg gemacht hat, um etwas zu ändern, was ich durchaus anerkennen will.
Ich will Ihnen ein Bild von meiner letzten Reise im Februar nach Myanmar nennen. Ich war in einer Fabrik für Brautkleider, und zwar Brautkleider, die auch nach Europa und in die USA exportiert werden und in denen die Frauen wie Prinzessinnen aussehen. Aber schauen Sie sich die Arbeiterinnen dort an: Es sind junge Mädchen, die alle im Kindesalter sind. Es ist Kinderarbeit. Auch diese Kinder arbeiten zehn Stunden am Tag. Das ist nicht in Ordnung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich glaube, wir alle müssen uns anstrengen und uns bemühen, dass die Kleidung, die wir tragen, fair produziert ist. Wer, wenn nicht die Europäische Union, soll eigentlich dafür Sorge tragen, dass die Arbeitnehmer- und Menschenrechte tatsächlich umgesetzt werden? Deshalb haben wir einen Antrag vorgelegt, der auf dem europäischen Binnenmarkt Transparenz- und Sorgfaltspflichten vorsieht, damit jeder Kunde, jede Gewerkschaft, die das überprüfen will, und auch jeder Unternehmer erkennen kann, woher welcher Rohstoff auf welcher Produktionsstufe kommt und zu welchen Bedingungen und unter welchen Kontrollen das Produkt produziert worden ist.
Ich sage Ihnen: Das zu wissen, ist das gute Recht der Verbraucherinnen und Verbraucher, weil die Kunden Teil des Wirtschaftslebens sind. Nicht nur die Unternehmer, sondern auch die Endverbraucher haben das Recht, zu wissen, woher die Produkte bzw. die Rohstoffe kommen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Diese Art von Transparenz ist Voraussetzung für eine Veränderung. Nur wenn wir eine solche Transparenzpflicht haben – natürlich wird es einige Jahre dauern, diese zu implementieren und die Systeme zu etablieren; aber wir leben im digitalen Zeitalter, und das wird wohl machbar sein –, können wir kontrollieren und nachvollziehen, wer zu welchem Standard arbeitet. Wir haben diesen Vorschlag gemacht, um uns jetzt endlich auf den Weg zu machen.
Wenn Sie genau hinschauen, wissen Sie: Acht von zehn Verbraucherinnen und Verbrauchern sagen: Wir wollen faire Arbeitsbedingungen. Aber sie fragen auch: Wie erkennen wir sie denn am Endprodukt, wenn da gerade einmal „Made in Bangladesch“ oder so steht, wenn nicht einmal etwas dazu ausgesagt wird, wo die anderen Produktionsstufen sind, wenn man mehr nicht erkennen kann?
Ich bin der festen Überzeugung, dass zur Durchsetzung der Interessen und der Rechte der Verbraucher auch gehört, dass die Verbraucher keinen Suchauftrag bekommen, dass sie nicht mit Lexikon und Lupe und Handy tagelang durch die Läden laufen und suchen müssen, bevor sie das T-Shirt kaufen. Sie haben das Recht, zu wissen, was drin ist. Es muss einfach erkennbar sein.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wer jetzt sagt: „Das ist wahnsinnig kompliziert“, dem sage ich: Wir haben nicht hineingeschrieben: Es soll zum 1. Januar 2017 in Kraft treten. – Erst einmal müssen wir es in der EU durchsetzen, meine Damen und Herren. Ich habe das alles persönlich vor Jahren schon einmal beim Thema Lebensmittel durchdekliniert. Im Lebensmittelbereich hat man den Druck der Kundinnen und Kunden gehabt. Immer einmal wieder wurde enttarnt, wo die Stoffe herkommen und warum im Futter plötzlich Antibabypillenrückstände und sonst etwas waren. Da hat man gemerkt, dass man mehr Transparenz für die Kunden schaffen muss, um sich selber im Unternehmen finanziell abzusichern. Was im Lebensmittelbereich möglich ist, auch digital, nämlich eine Rückverfolgbarkeit in der ganzen Kette, muss für den Textilbereich genauso möglich sein, meine Damen und Herren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Stefan Rebmann [SPD])
Ich will einen Satz zu Minister Müller sagen, der immerhin – das kommt bestimmt nachher – ein deutsches Textilbündnis eingeführt hat. Gut so! Gute Geschichte! Aber ich sage Ihnen: 2014 wurde es eingerichtet. Bis 2016 wird es nicht einmal einen gemeinsamen Arbeitsplan geben, geschweige denn Veränderungen. Greenpeace ist da weiter. Greenpeace hat mit über 30 globalen Marken längst vereinbart, dass bis 2020 giftige Chemikalien aus den Produkten raus sein müssen.
(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)
Falls gleich einer sagen möchte, dass das alles zu schwierig ist: Es geht also.
Wir haben eine europäische Verordnung zu Transparenz- und Offenlegungspflichten bei Konfliktrohstoffen in Arbeit; sie wird verhandelt. Was für Konfliktrohstoffe gilt, muss hinsichtlich der Menschen- und Umweltrechte auch für unsere Kleidung gelten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Bei den Chemikalien muss gelten: Was hier gefährlich und gesundheitsgefährdend ist, ist auch in Myanmar gesundheitsgefährdend.
Deshalb sage ich: Lassen Sie uns ein System aufbauen, bei dem am Ende der Kunde erkennt, was Sache ist, bei dem die Unternehmen wissen, was sie zu tun haben, und die Herstellerländer wissen, was in der Europäischen Union gefragt ist! Lassen Sie uns, Herr Müller, unsere Entwicklungshilfe danach ausrichten! Unser Ziel muss sein, nicht nur ein paar Pioniere zu haben, die statt „Fast Fashion“ „Fair Fashion“ produzieren, sondern als Europäer ein Zeichen zu setzen, dass wir die Menschenrechte umsetzen wollen. Ich bitte Sie um Zustimmung dazu, weil wir dann die Transparenz- und Sorgfaltsregeln definieren können, sie umsetzen können, weil dann die Kunden sich danach verhalten können. Wer, wenn nicht wir, soll denn eine solche Menschenrechtsinitiative ergreifen?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Renate Künast. – Nächste Rednerin: Mechthild Heil für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6753876 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 164 |
Tagesordnungspunkt | Menschenrechtsschutz bei Produktion im Ausland |