Frank SchwabeSPD - Schutz des zivilgesellschaftlichen Engagements
Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Tat das Verdienst der Grünen, dieses Thema erneut und so explizit auf die Tagesordnung gesetzt zu haben, wohl wissend, dass wir uns mit Grundfragen von Menschenrechtsverteidigern schon Ende des letzten Jahres beschäftigt haben und dies ein Schwerpunktthema ist, auch im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe.
Dass sich NGOs, also Nichtregierungsorganisationen, und die Zivilgesellschaft in einer Demokratie entfalten können, ist grundlegend für die Demokratie wie die Luft zum Atmen. Frau Kollegin Schulz-Asche hat CIVICUS schon zitiert und erwähnt, dass festgestellt wurde, dass es allein zwischen dem Sommer 2014 und dem Sommer 2015 weltweit 96 Eingriffe in die Rechte solcher Nichtregierungsorganisationen gegeben hat.
Ich will kurz aus dem Antrag, der Ende letzten Jahres verabschiedet worden ist – der Kollege Fabritius hat das schon erwähnt –, zitieren, damit klar wird: Es ist ein Konsens im Deutschen Bundestag, sich um solche Fragen zu kümmern, wie auch immer wir mit dem grünen Antrag umgehen. – Ich zitiere aus dem Antrag:
In immer mehr Staaten werden zivilgesellschaftliche Spielräume systematisch eingeschränkt und damit auch die Handlungsmöglichkeiten von Menschenrechtsverteidigern. Der Deutsche Bundestag sieht mit wachsender Sorge, dass sich diese Entwicklung in den vergangenen Jahren verstärkt hat.
Das haben wir hier fraktionsübergreifend beschlossen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns weltweit, aber natürlich auch im eigenen Land, jedem Versuch entgegenstellen, die Zivilgesellschaft zu drangsalieren und Menschenrechtsorganisationen, Journalisten und auch Satirikern über den Mund zu fahren und sie mundtot zu machen. Rede-, Presse- und Meinungsfreiheit sind die Selbstversicherung für jede Demokratie.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Nach dem aktuellen Index von Freedom House – auch das ist gerade schon erwähnt worden – ist es in den letzten zehn Jahren in sage und schreibe 105 Ländern, also der Mehrheit der Länder auf der Welt, zu Rückschritten bei den bürgerlichen und politischen Rechten gekommen. Nun kann sich hier in der Tat jeder seine Rosinen herauspicken. Ich versuche – vielleicht gelingt es mir nicht immer –, das nicht zu tun. Das kann man auch lassen; denn wenn man sich diese 105 Länder einmal anguckt, dann sieht man Länder mit Regierungen jeder politischen Richtung. Manche Länder haben rechte Regierungen, andere linke. Egal welche religiöse Ausrichtung in einem Land vorherrscht: In allen Teilen der Welt hat es eine solche Gesetzgebung gegeben. Es tut mir ganz schrecklich leid, aber es ist nun einmal so: Als eine Art negativer Vorreiter ist Russland anzusehen, das mit der Klassifizierung von NGOs als ausländische Agenten leider einen negativen Trend für andere Länder gesetzt hat. Ohne die einzelnen Länder miteinander vergleichen zu wollen, könnte man diese Liste lange fortsetzen.
Behinderungen gibt es in ganz unterschiedlicher Ausprägung: Es gibt schikanöse Finanzkontrollen – NGOs werden plötzlich daraufhin überprüft, ob sie ihre Finanzgeschäfte ordentlich abwickeln –, es gibt Einschüchterungen und Diffamierungen, und es gibt Überwachungen bis hin zu Kriminalisierungen, sodass Menschen am Ende im Gefängnis landen. Solche besonderen Gesetze gibt es zum Beispiel in China, in Indien, der größten Demokratie der Welt, in Ägypten und in Ecuador. Vor kurzem durfte eine Delegation des Deutschen Bundestages abermals nicht in Ecuador einreisen, weil sie sich dort mit kritischen Aktivisten, unter anderem den Yasunidos, treffen wollte. Solche Gesetze gibt es aber auch in Israel, wo B’Tselem, Breaking the Silence und Al-Haq aktuell Probleme haben. In den palästinensischen Gebieten ist es nicht besser – ganz im Gegenteil –, und leider kommt das auch in Ländern der Europäischen Union vor. In Ungarn hat Ministerpräsident Orban von „gekauften politischen Aktivisten“ geredet, und im Jahr 2014 hat es dort bei 49 Nichtregierungsorganisationen Finanzprüfungen gegeben.
Was passiert hier eigentlich weltweit? Der Kollege Fabritius hat ja auch die positiven Entwicklungen genannt. In der Tat hat sich die Zahl der Demokratien seit 1970 stark entwickelt. Man kann sagen, dass sie wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. 1970 gab es 35 Demokratien, heute sind es 110. Myanmar ist ein aktuelles, von Ihnen benanntes positives Beispiel.
Es gibt eine spannende Studie des German Institute of Global and Area Studies, GIGA, auf die, glaube ich, schon hingewiesen worden ist, in der analysiert wird, was der Hintergrund dafür sein könnte, dass es in den letzten zehn Jahren in so vielen Ländern der Welt solche restriktiven Gesetzgebungen gegeben hat. Das hat wohl etwas mit der Angst vor Veränderungen zu tun, die es gegeben hat oder die es vielleicht geben könnte, zum Beispiel die Angst vor einem Regimewechsel, nicht nur rund um den Arabischen Frühling. Das hat auch mit einer gewandelten Protestkultur zu tun, die soziale Netzwerke nutzt, wo viele Regierungen nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Es gibt eine Debatte über Terrorabwehr, in deren Rahmen leider auch gestandene Demokratien problematische Gesetze auf den Weg gebracht haben. Aktuell gibt es populistische Abwehrreaktionen im Zusammenhang mit der Flüchtlingsdebatte, und – ich glaube, das gehört auch dazu – wir haben eine wachsende soziale Spaltung in vielen Gesellschaften der Welt, die dazu führt, dass Menschen weniger an der gesellschaftlichen Entwicklung teilhaben, wodurch der Raum für gesellschaftliches Engagement geringer wird.
Im Antrag der Grünen finden sich viele richtige und vernünftige Forderungen. Eine ganze Reihe der Forderungen – man könnte sie einzeln aufzählen – sind im letzten Jahr schon umgesetzt worden. Wenn man die Anträge übereinanderlegen würde, würde man viele Gemeinsamkeiten finden.
Zwei Dinge, die wir alle uns zu Herzen nehmen müssen, will ich noch ansprechen:
Erstens. Es kann keinen Kontakt mit einem Land geben, in dem es zu solchen Entwicklungen gekommen ist, ohne dass dies thematisiert wird. Wir werden die Gesetzgebung dort nicht verändern können; aber wir können den Finger in die Wunde legen und die Dinge offen ansprechen.
Zweitens. Wir müssen uns noch mehr darüber im Klaren sein, dass wir bei allen Kooperationen, die wir gerade in der Entwicklungszusammenarbeit eingehen, den Schwerpunkt darauf legen müssen, die demokratischen, rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Werte in den Mittelpunkt einer solchen Zusammenarbeit zu stellen. Ich glaube, da müssen wir uns immer wieder überprüfen.
Ich habe noch 30 Sekunden für den ultimativen Werbeblock. Ich kann es nur immer wieder sagen: Wir haben ein tolles Programm. Dabei geht es nicht um die Gesetzgebung gegenüber Nichtregierungsorganisationen, aber um den Schutz von Menschenrechtsverteidigern. Das hängt eng miteinander zusammen. Wir haben ein Programm, das weltweit Beachtung findet, allerdings nicht genug bei allen Kolleginnen und Kollegen hier im Deutschen Bundestag, nämlich das Programm „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ oder auch: Parlamentarier schützen Menschenrechtsverteidiger. Ich habe nachgesehen: Aktuell machen 50 Kolleginnen und Kollegen bei diesem Programm mit. Sie haben Patenschaften für Menschen, die in vielen Ländern der Welt bedroht sind, übernommen. Ich will ausdrücklich dazu auffordern, mitzumachen. Angesichts der 630 Abgeordneten hier im Deutschen Bundestag ist da noch Spielraum.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Wir haben einen neuen gewonnen! Der Kollege Gädechens hat schon zugesagt!)
Ich will ausdrücklich die loben, die das machen, und die anderen bitten – ein paar sind ja auch unter uns –, sich das zu Herzen zu nehmen. Guckt euch das an! Wenn jemand keine Fantasie hat, wen man da aufnehmen könnte: Wir haben immer gute Ideen.
Vielen Dank. Glück auf!
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6754337 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 164 |
Tagesordnungspunkt | Schutz des zivilgesellschaftlichen Engagements |