14.04.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 164 / Tagesordnungspunkt 13

Thomas JarzombekCDU/CSU - Netzneutralität

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist nicht das erste Mal, dass wir heute im Deutschen Bundestag über Netzneutralität reden.

(Klaus Barthel [SPD]: In der Tat!)

Ich glaube, wir alle sind uns einig, dass die Netzneutralität ein hohes Gut ist. Denn sie ist der Innovationsmotor des Internets. Man bekommt eben nicht nur ein paar Applikationen, die der eigene Provider entwickelt hat und von denen er glaubt, dass sie das Beste für den Kunden sind, sondern jeder, der im Internet ist, kann Anwendungen, Innovationen entwickeln, die allen über alle Kanäle zur Verfügung stehen. Das ist ein absolut wesentliches Prinzip.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das!)

Daran darf man nicht rütteln.

Der entscheidende Punkt ist, dass wir aber auch über Jahre eine Diskussion führen – die Kollegin Wawzyniak hat sie vorhin ein bisschen in dieses Licht gerückt – nach dem Motto: Gleiches Netz für alle. Das hat so etwas Wundervolles, so einen Sound von einer politischen Auseinandersetzung, die es früher einmal gegeben hat, als noch die Mauer vor dem Reichstag gestanden hat.

(Heiterkeit des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich dachte eigentlich, dass diese Art des Schwarz-Weiß-Denkens heute nicht mehr Stand der Dinge ist.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das gilt für einige mit Sicherheit!)

Insofern stehen wir bei diesem Thema doch, ehrlich gesagt, alle zusammen.

Das Europäische Parlament, lieber Konstantin von Notz, ist im Übrigen nicht die Bundesregierung. Ich habe vorhin die ganze Zeit eine beißende Kritik an der Bundesregierung gehört.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr hättet das halt regeln müssen!)

Aber damit es alle wissen: Es geht hier um die Beschlüsse des gleichen Europäischen Parlaments, das heute die Datenschutz-Grundverordnung freigegeben hat. Das muss man in einem gemeinsamen Kontext sehen.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

Was ist der Kern dessen? Der Kern dessen ist: Netzneutralität muss gewahrt bleiben. Aber – da haben wir in der Enquete-Kommission damals einen Konsens erreicht – es muss auch Diensteklassen geben können.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!)

Ich glaube – das ist meine Position und auch die meiner Fraktion –, das entscheidende Prinzip muss lauten: Wir müssen das Beste an Innovation ermöglichen. Das Beste an Innovation hat man nicht bei einem Internet der Dienste. Das Beste an Innovation hat man aber auch nicht, wenn man anfängt, Dienste zu verbieten, die es heute schon gibt, beispielsweise T-Entertain als Fernsehdienst. Das ist ein klarer Spezialdienst – qualitätsgesichert –, kein Internet-Zusatzdienst.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der hat kein Vectoring! Dann müsst ihr halt Glasfaser nehmen!)

– Melde dich und frage; sonst kann dich vor den Fernsehgeräten keiner hören.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– Bitte.

(Heiterkeit)

– Entschuldigung, Frau Präsidentin.

Ich wollte mein Amt noch nicht abgeben. – Aber bitte schön, Herr Kollege von Notz.

Herr Kollege Jarzombek, vielen Dank für das Zulassen der Zwischenfrage. – Wir haben ja gerade erst – es klang eben auch an – über die Mangelverwaltung usw. diskutiert. Wie ist es denn in Sachen Internet? Ist überall genug Breitband da, oder haben wir mit dem Vectoring, das jetzt kommt und das, glaube ich, auch ein Plan der Bundesregierung ist, nicht genau das Problem, dass eben nicht genug Kapazitäten da sind und es deswegen ein knappes Gut ist? Wenn man die Netzneutralität festschreiben würde, dann würde man die Anbieter dazu zwingen, ausreichende Kapazitäten zu schaffen, damit sich alle Bürger Videos im Netz ansehen können und nicht nur die, die bereit sind, dafür 50 Euro im Monat zu zahlen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Klaus Barthel [SPD]: Das Blöde ist nur, dass die Inhalteanbieter die Infrastruktur klauen!)

Lieber Kollege von Notz, ich glaube, das ist ein besseres Format. Denn der Redner hört die Zwischenrufe zwar, aber das Publikum an den Fernsehern oder im Internet nicht. Jetzt können wir darüber diskutieren.

Zum Breitbandausbau in Deutschland. Diese Bundesregierung ist die erste seit Menschengedenken,

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

die überhaupt ein Breitbandförderprogramm ins Leben gerufen hat.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr regiert seit über zehn Jahren!)

Es geht dabei um 2,7 Milliarden Euro. Im Dezember letzten Jahres und im Januar dieses Jahres sind sehr viele Förderbescheide herausgegangen, um genau die Gemeinden, in denen es heute noch kein Breitband gibt – die meisten befinden sich im ländlichen Raum –, zu versorgen. Diese Bundesregierung hat es im letzten Jahr gemeinsam mit den Landesregierungen geschafft, einen großen Block von Fernsehfrequenzen für schnelles Internet zur Verfügung zu stellen, sodass das mobile Internet ab dem nächsten Jahr doppelt so schnell wird, weil es doppelt so viel an Kapazität gibt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aber einen Applaus wert!)

Das sind, glaube ich, zwei große Erfolge.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vectoring!)

In Deutschland haben – jetzt komme ich zum Vectoring – 72 Prozent der Haushalte Kabelanschluss. Viele davon sind heute schon mit Bandbreiten von mehr als 100 MBit/s ertüchtigt. Wir werden noch in diesem Jahr die ersten dieser Anschlüsse auf 1 000 MBit/s, also im Gigabyte-Bereich, sehen. Wir werden perspektivisch in einem sehr überschaubaren Zeitraum – in den nächsten zwei, drei Jahren – wahrscheinlich sehr viele dieser 72 Prozent der Haushalte mit Gigabyte sehen.

Eine Rolle spielt in diesem Zusammenhang auch die Entscheidung der unabhängigen Beschlusskammer der Bundesnetzagentur, die ich an einigen Stellen deutlich kritisiere. Aber das ist eben so, wenn man unabhängige Gremien schafft.

Ich glaube, dass die Vectoring-Technik insgesamt gut ist, weil sie dafür sorgt, dass sich die Geschwindigkeiten bei DSL-Anschlüssen ebenfalls deutlich steigern lassen, und zwar auf 100 MBit/s, mit Super-Vectoring in den nächsten zwei Jahren sogar auf 200 MBit/s. Das sind Kapazitäten, die ganz okay sind. Damit kann man auch eine Familie mit zwei Kindern im Teenageralter, die sich 4-K-Videos ansehen wollen, ziemlich gut versorgen. Das ist ja auch nicht das Ende der Fahnenstange, sondern das ist eine Entwicklung, sodass ich nicht glaube, dass wir Brandbreitenengpässe haben werden. Es wird ja immer darüber philosophiert, wann diese kommen könnten.

Zu den Innovationen. Die Bundeskanzlerin hat sehr zu Recht einmal gesagt: Der tatsächliche Anwendungsfall für Spezialdienste kommt erst noch. – Ich habe mit dem Fernsehdienst zwar schon einen genannt. Aber stellen wir uns doch einmal das Connected Car vor.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber doch nicht über das Internet!)

Da braucht man natürlich Dienste mit einer kurzen Latenzzeit. Wenn man, um Abstände zu reduzieren, einen Konvoi von selbstfahrenden Autos steuern will, dann muss das zwanzigste Auto in Echtzeit das Bremssignal vom ersten Auto bekommen; sonst müssten die Autos mit einem viel größeren Abstand fahren. Dafür braucht man ein absolut verzögerungsfreies Netz. Dass das Priorität gegenüber einem Bus mit Bundestagsabgeordneten – –

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ich fahre Fahrrad!)

– Unsere gesamte Landesgruppe fährt am Wochenende nach Hamm in Westfalen zu einer Klausurtagung. Dahin kommen wir nicht mit dem Fahrrad. – Wenn also ein ganzer Bus mit Bundestagsabgeordneten, die alle Informationen wie die Presseschau aus dem Internet herunterladen möchten,

(Klaus Barthel [SPD]: Das geht gar nicht!)

unterwegs ist, dann erschließt es sich doch dem logischen Menschenverstand, dass die Steuerung von Connected Cars Vorrang haben muss, um diese Innovation zu ermöglichen.

(Beifall des Abg. Matthias Hauer [CDU/CSU] – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb darfst du das auch nicht aufs Internet legen!)

Auf europäischer Ebene ist nun eine Verordnung erarbeitet worden. Jetzt können wir doch nicht allen Ernstes anfangen, in nationalstaatliche Regelungen zu verfallen.

(Klaus Barthel [SPD]: So ist es!)

Wer in Nordrhein-Westfalen im Internet surft, schaut natürlich immer mit Begeisterung nach Frankfurt; denn da ist der größte Internetknoten der Welt, der DE-CIX. Aber nicht sehr viel kleiner als dieser Knoten ist der im Amsterdam. Wenn in Düsseldorf, in Aachen oder im Münsterland gesurft wird, dann kann es schon einmal passieren, dass das über den Knoten in Amsterdam geschieht. Wenn in Belgien oder in Holland andere Regelungen als in Nordrhein-Westfalen gelten, dann ist das doch nicht Ausdruck einer sinnvollen Regulierung. Wir können doch nicht allen Ernstes einen Vorschlag zur Regulierung der Netzneutralität machen, der dazu führt, dass ein Connected Car beim Übertritt über die Grenze nach Belgien auf einmal bestimmte Funktionen nutzen kann oder andere nicht mehr nutzen kann.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Connect­ed Car geht doch nicht über Internet!)

Ganz im Ernst, meine lieben Kollegen: Der Zeitpunkt für die heutige Debatte ist bemerkenswert; denn die angesprochene europäische Verordnung tritt Ende dieses Monats in Kraft. Sämtliche nationale Regulierer führen im Sommer eine aufwändige Konsultation durch: Sechs Wochen lang sollen Leitlinien diskutiert werden, die Ende August tatsächlich in Kraft treten. Wenn wir heute ein Gesetz verabschieden, obwohl wir genau wissen, dass im August dieses Jahres europäische Regelungen kommen, die wir alle noch gar nicht kennen können,

(Beifall des Abg. Klaus Barthel [SPD])

würde das bedeuten, dass die Konsultation im Sommer zu einer Farce wird.

Insofern glaube ich, wir sollten erst einmal diesen Prozess vernünftig zu Ende bringen.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Und dann?)

Danach können wir einmal schauen, wo wir stehen. Dann kann man immer noch überlegen, welche Handlungsspielräume bestehen. Es kann aber ganz sicher nicht so laufen, dass jetzt jedes europäische Land eigene Gesetze verabschiedet, wodurch wieder ein europäischer Flickenteppich erzeugt wird.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6754522
Wahlperiode 18
Sitzung 164
Tagesordnungspunkt Netzneutralität
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