Andreas NickCDU/CSU - Weiterentwicklung der transatlantischen Beziehungen
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der bevorstehende Besuch von Präsident Obama in Hannover ist Anlass für diese Debatte
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Anlass für die Abwesenheit des Außenministers!)
und auch Beleg dafür, wie eng und wichtig die transatlantischen Beziehungen auch im Jahr 2016 sind. Die Tradition der Verbundenheit reicht jedoch deutlich weiter zurück als das NATO-Bündnis und auch der Beitrag der USA zur deutschen Einheit, zum Marshallplan oder zur Berliner Luftbrücke. Schon die deutsche Freiheitsbewegung im 19. Jahrhundert wäre ohne das Vorbild der USA nicht denkbar gewesen. Bereits 1832 rief Philipp Jakob Siebenpfeiffer, Initiator des Hambacher Festes, dort aus: Wir beneiden den Nordamerikaner um sein glückliches Los, das er sich mutvoll selbst erschaffen hat. – 1848 waren die Vereinigten Staaten die einzige Großmacht ihrer Zeit, die sich bei der Frankfurter Nationalversammlung in der Paulskirche durch einen Gesandten vertreten ließ. Nach dem Scheitern der 48er-Revolution fanden viele deutsche Liberale eine neue Heimat in den USA, und auch während der Nazidiktatur waren die USA Zufluchtsort für zahlreiche Emigranten aus Deutschland. Uns verbindet eben mehr als historische Erfahrungen oder gemeinsame Werte.
Laut einer aktuellen Studie haben mehr als die Hälfte der Amerikaner ein exzellentes Bild von Deutschland. Über 60 Prozent aller Amerikaner glauben, dass beide Länder eine enge Bindung haben und Deutschland eines der fünf wichtigsten Partnerländer der USA ist. Die USA waren und sind Garant für die europäische Sicherheit. Zusammen mit den Staaten der Europäischen Union sind sie weltweit unser wichtigster Partner und verlässlichster Verbündeter. Die transatlantische Partnerschaft ist neben der europäischen Integration der wichtigste Pfeiler deutscher Außenpolitik. Um es mit den Worten von Helmut Kohl zu sagen: Das Bündnis mit den freiheitlichen Demokratien des Westens ist der Kernpunkt deutscher Staatsräson. – Dieser Leitsatz hat auch im 21. Jahrhundert unverändert Gültigkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Gleichwohl gibt es unter engen Partnern und Freunden auch immer wieder Meinungsverschiedenheiten, die zum Teil auch aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Erfahrungen oder kulturellen Prägungen erwachsen. Deshalb ist ein breiter Dialog und Gedankenaustausch zur Vertiefung des gegenseitigen Verständnisses, gerade auch unter Parlamentariern beider Länder, notwendig. Formate für diesen informellen Austausch sind daher unverzichtbar, beispielsweise das jährliche Congress Bundestag Forum, für dessen Organisation ich – sicher auch im Namen vieler Kollegen aus allen Fraktionen – dem GMF und der Bosch-Stiftung besonders danken möchte.
(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])
Unsere Gesellschaften profitieren im 21. Jahrhundert wie nie zuvor in der Geschichte vom offenen Austausch. Die Ströme von Menschen und Gütern, von Kapital und Informationen, die uns verbinden, sind um ein Vielfaches wichtiger geworden als die Kontrolle über geografisch abgegrenzte Räume. Konnektivität zu ermöglichen, dafür einen verlässlichen Rahmen zu bieten, aber auch Schutz und Sicherheit vor äußerer Bedrohung zu gewährleisten, ist eine zentrale politische Aufgabe; Kollege Steinbrück hat das vorhin schon angesprochen. Deshalb ist das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP so wichtig, und deshalb bedarf es auch klarer Regeln etwa zum Fluggastdatenaustausch, wie sie gestern im Europäischen Parlament verabschiedet wurden.
Für die weltweite Vernetzung steht aber kaum etwas mehr als das Internet, das World Wide Web. Das Netz ist ein Raum der Meinungsvielfalt und Teilhabe und nicht zuletzt ein Motor für Innovation, Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze der Zukunft. Regeln und Rahmenbedingungen für ein offenes und freies globales Netz können nicht alleine auf nationaler Ebene geschaffen werden. 2014 haben die USA angekündigt, die Kontrolle über ICANN, die Organisation zur globalen Vergabe kritischer Internetressourcen wie Domainnamen und IP-Adressen, abzugeben. Das ist ein wichtiger Schritt im Sinne eines offenen, dezentral kontrollierten Netzes auf Basis eines Multi-Stakeholder-Ansatzes. Es wäre zu begrüßen, wenn eine der nächsten Veranstaltungen des Internet Governance Forums der Vereinten Nationen bei uns in Deutschland stattfinden würde.
Auf beiden Seiten des Atlantiks brauchen wir immer wieder eine Verständigung über die richtige Balance von Freiheit und Sicherheit in unseren offenen und pluralistischen Gesellschaften. Aber die Debatte um Informationssicherheit und Datenschutz ist nicht nur eine Frage zwischen Staaten und Regierungen, so wichtig etwa das Format des deutsch-amerikanischen Cyberdialogs ist. Wir brauchen Rechtssicherheit für alle Bürgerinnen und Bürger und für alle Unternehmen beim dringend notwendigen transatlantischen Datenaustausch. Deshalb ist eine verlässliche Nachfolgeregelung zu Safe Harbor unverzichtbar.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Gerade die global agierenden Unternehmen der Internetökonomie haben eine zentrale Rolle bei der Klärung der Frage, welche Zukunftsrechte nationale Regierungen auf die Daten ihrer Kunden beanspruchen. Die Klage von Microsoft gegen den Zugriff der US-Regierung auf ihre Datencenter in Irland verdeutlicht, dass diese Diskussion auch eine transatlantische Komponente hat. Auch die Europäer sollten sich hier in angemessener Weise einbringen; denn gerade die global agierenden Player der Internetökonomie wie Apple, Google oder Microsoft können aus ihrem wohlverstandenen Eigeninteresse heraus durchaus wichtige Verbündete sein, wenn es darum geht, einen verlässlichen und international akzeptierten Rechtsrahmen auch im Washingtoner Politikbetrieb einzufordern.
Meine Damen und Herren, die deutsch-amerikanischen Beziehungen müssen aber mehr sein als Traditionspflege oder die Angelegenheit von Regierungen. Sie brauchen auch in Zukunft eine breite gesellschaftliche Verankerung. Über Jahrzehnte haben die in Deutschland stationierten US-Soldaten nicht nur während ihrer Dienstzeit hier, sondern vor allem auch nach der Rückkehr in ihre Heimat einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet.
(Jürgen Hardt [CDU/CSU]: 17 Millionen!)
Jeder deutsche USA-Reisende kennt die Erfahrung eines zufälligen Zusammentreffens mit Menschen, die begeistert von ihrer Zeit in Frankfurt, Heidelberg oder „K-Town“, Kaiserslautern, aber auch in Hahn, Bitburg oder Spangdahlem berichten. Viele dieser Standorte sind inzwischen Geschichte. Die Bedeutung dieses Kitts geht zurück. Wirtschaftliche Zusammenarbeit allein kann dies nicht ersetzen. Deshalb sind Austauschprogramme zwischen unseren Ländern wie unser Parlamentarisches Patenschafts-Programm so wichtig.
Wir müssen aber auch neue gesellschaftliche Gruppen mit teils anderem kulturellen Hintergrund – Jürgen Hardt hat es vorhin schon angesprochen – für die Zukunft der transatlantischen Beziehungen gewinnen. Deshalb freue ich mich ganz besonders, Anfang Mai erstmals die Teilnehmer eines neuen Begegnungsprogramms im Bundestag begrüßen zu können, das gezielt junge Hispanics aus den USA und junge Deutsche mit türkischen Wurzeln zusammenbringt. Das ist ein wichtiger Beitrag zu einer neuen, bunteren transatlantischen Generation.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich danke dem American Institute for Contemporary German Studies, AICGS, für diese hervorragende Initiative, die auch mit ERP-Mitteln des Bundeswirtschaftsministeriums unterstützt wird.
Liebe Kollegen, im November 2016 wird ein neuer amerikanischer Präsident gewählt.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Oder eine Präsidentin!)
Auch in Deutschland verfolgen wir diesen Prozess mit Aufmerksamkeit und teilweise leider auch mit Sorge. Aber unser Vertrauen in die amerikanische Gesellschaft und Demokratie ist groß, dass am Ende eine verantwortliche Entscheidung einer breiten Mehrheit der amerikanischen Wähler stehen wird. Eines steht bereits so gut wie fest: Auch der neue Präsident oder die neue Präsidentin wird in den ersten Monaten nach Amtsantritt zu einem Besuch nach Deutschland kommen, und zwar aus Anlass des G-20-Gipfels im Juli 2017 in Hamburg.
Wir setzen fest darauf, die transatlantischen Beziehungen auch mit neuen Partnern in Washington zukunftsfest gestalten und gemeinsam weiterentwickeln zu können.
Vielen Dank.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6755955 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 165 |
Tagesordnungspunkt | Weiterentwicklung der transatlantischen Beziehungen |