15.04.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 165 / Tagesordnungspunkt 20

Karl SchiewerlingCDU/CSU - Änderung des SGB II - Rechtsvereinfachung

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war mal wieder ein Lehrstück aus der Küche der Linken. Das kenne ich seit 2005.

(Katja Kipping [DIE LINKE]: Es ist ja nicht besser geworden mit Hartz IV!)

Frau Kipping – das muss ich Ihnen sagen –, seitdem bleiben Sie sich treu, aber ich bleibe mir auch treu. Was ich Ihnen schon 2006 gesagt habe, sage ich Ihnen auch heute: SGB II ist ein lernendes System. Das merken Sie daran, dass wir schon das neunte Änderungsgesetz diskutieren. SGB II ist kein starres System. Jeden Monat gehen 90 000 Menschen aus der Grundsicherung heraus. Das heißt, wir haben es nicht mit einem monolithischen Block zu tun, sondern mit Entwicklungen.

Hartz IV setzt auf Fordern und Fördern – ja, das ist richtig –, aber Hartz IV hat auch seine Grenzen; das will ich gern zugestehen. Weil wir in diesem Gesetz den Anspruch haben, jedem Einzelnen gerecht zu werden, und weil die Lebenssituationen der Menschen höchst unterschiedlich sind, werden, auch zu meinem Leidwesen, zu viele Klagen eingereicht.

Das Gesetz, das wir heute auf den Tisch legen, ist zwischen 16 Bundesländern, unter anderem auch den Bundesländern, in denen Sie mitregieren, und der Bundesregierung abgestimmt.

(Widerspruch bei der LINKEN)

Deswegen wundere ich mich sehr darüber, in welcher Form Sie jetzt hier auftreten. Sie sagen, das sei alles nur eine Geschichte der Bundesarbeitsministerin. Es ist aber das Ergebnis der Bund-Länder-Gespräche. Ich kann nur hoffen und gehe davon auch aus, dass über die Länder die Praxis vor Ort, die Praxis der Agenturen und der Jobcenter, in dieses Gesetz eingeflossen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Herr Kollege Schiewerling, darf die Kollegin Kipping dazu eine Zwischenbemerkung machen?

Von mir aus ja; eine.

(Heiterkeit – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und nicht so lange! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Drei Minuten steht in der Geschäftsordnung!)

Werter Kollege Schiewerling, Sie haben hier den Eindruck erweckt, dass auch die Bundesländer, in denen die Linke mit in der Regierung ist, Thüringen und Brandenburg, diesen Gesetzentwurf so mittragen würden. Vor diesem Hintergrund frage ich: Ist Ihnen bekannt, dass es im Bundesrat – im Fachgremium für Soziales – genau diese beiden Bundesländer waren, die deutliche Veränderungen eingefordert haben, nämlich eine generelle Abschaffung der Sanktionen oder zumindest die Abmilderung, und dass sie insofern den vorliegenden Gesetzentwurf, weil das darin unterbleibt, nicht teilen und nicht zu verantworten haben?

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Kollegin Kipping, ist Ihnen bekannt, dass die Bundesländer im Endeffekt auch mit Ihren Stimmen diesen Vereinbarungen zugestimmt haben?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sonst hätte es das Abstimmungsergebnis 15 : 0 nicht gegeben.

(Zuruf der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE])

Es kann ja sein, dass bei der Konferenz der Arbeits- und Sozialminister andere Positionen vertreten worden sind. Aber hinterher ist unter denen, die bei den Ländern das Sagen haben, abgestimmt worden, und das ist das Ergebnis dieses Abstimmungsprozesses.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Meine Damen und Herren, das vorliegende Neunte SGB-II-Änderungsgesetz beinhaltet viele Regelungen, von denen ich hoffe, dass sie sich positiv auswirken. Es wird in einer Zeit vorgelegt, in der wir einen hohen Aufwuchs an Beschäftigung haben –731000 zusätzliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse seit dem letzten Jahr – sowie etwa 600 000 offene Stellen, also ein Arbeitsmarktumfeld, das für die Unterbringung auf dem Arbeitsmarkt günstiger eigentlich nicht sein kann.

Deswegen, glaube ich, ist es gut, wenn wir uns mit diesem Gesetz jetzt auf die Personengruppen konzen­trieren, die Probleme haben, auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzukommen oder wieder in Beschäftigung zu kommen. Die Rechtsvereinfachungen dienen ja dazu, in den Ämtern den Einzelnen mehr helfen zu können.

Aber ich sage auch sehr deutlich: Es gibt Zielgruppen, bei denen wir uns sehr schwer tun, sie überhaupt zu erreichen. Das ist eine Diskussion, die wir seit längerem im Deutschen Bundestag führen, zumindest so lange, wie ich dabei bin. Es geht um die Zielgruppe der jungen Menschen, die durch nahezu alle sozialen Raster fallen. Es sind junge Menschen, die von ihrer Familie nicht erreicht werden, weil schon ihre Herkunftsfamilie nicht mehr erreicht worden ist. Sie werden von der Schule nicht erreicht. Sie werden von der Agentur für Arbeit nicht erreicht. Sie werden von den Sozialämtern nicht erreicht. Die Problemlage dieser jungen Menschen, die in unserer Gesellschaft leben, wird sozusagen erst dann in der Öffentlichkeit bekannt, wenn sie so drängend ist, dass Polizei und Staatsanwaltschaft da sind, oder wenn beispielsweise ein 15-jähriges Mädchen vor der Niederkunft steht, ein Kind erwartet, und wissen will, wohin es sich wenden kann.

Diese Situation erleben wir in einer Reihe von Einrichtungen, die sich um diese Jugendlichen, diese jungen Menschen kümmern. Diese sorgen dafür, dass die vielfältigen Lebenssituationen, die auch mit unterschiedlichen Sozialgesetzen hinterlegt sind, aufgegriffen werden, um den jungen Menschen tatsächlich helfen zu können. Da geht es dann um die Kinder- und Jugendhilfe, um das SGB VIII, es geht um das SGB III, um die aktive Arbeitsmarktförderung, es geht um die Grundsicherung, es geht um das Bildungs- und Teilhabepaket, es geht um die Sozialhilfe, und es geht nicht zuletzt – im SGB V – um die Fragen der psychischen Belastungen und der psychischen Hilfen. Alle diese Hilfen, die dringend notwendig wären, erreichen diese Zielgruppen nicht, weil sie kaum irgendwo aufgegriffen werden. Deswegen habe ich mich sehr darüber gefreut, dass es uns mit diesem Gesetzgebungsverfahren gelungen ist, einen neuen § 16 h im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch unterzubringen, der die Möglichkeit eröffnet, die Schnittstellen, an denen es heißt: „Dafür ist ja eigentlich jemand anderes zuständig“, zu überwinden und diesen jungen Menschen Hilfen aus einer Hand geben zu können.

Meine Damen und Herren, ich habe mich sehr gefreut, dass dieses Anliegen in unserer Fraktion eine große Unterstützung erfahren hat durch unseren Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass dieses Anliegen von Anfang an eine persönliche Unterstützung erfahren hat durch die Bundeskanzlerin selbst, die in der Karwoche, also in der Woche vor Ostern, eine solche Einrichtung besucht hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich bin sehr froh und dankbar, dass die Bundesarbeitsministerin und das Bundesarbeitsministerium dieses Anliegen sieht und mitträgt und möchte an dieser Stelle neben der Bundesarbeitsministerin und der Fachabteilung insbesondere der Staatssekretärin Lösekrug-Möller für ihre Unterstützung sehr herzlich danken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Meine Damen und Herren, mit diesem Akzent, den wir in diesem Gesetzgebungsvorhaben setzen, wollen wir deutlich machen, dass wir keinen verloren gehen lassen, dass wir alles daransetzen, um jedem Menschen in unserer Gesellschaft, mag er sich noch so schwertun, eine Perspektive aufzuzeigen und diesen Menschen zu helfen. Wir kümmern uns jetzt um die, denen kaum noch einer hilft. Das sind andere Töne – das will ich gerne zugestehen – als die sozialpolitischen Töne, die die Linken anschlagen. Uns geht es nicht darum, Hilfesysteme zu zerschlagen, sondern darum, bestehende Hilfesysteme so zu nutzen, dass die Hilfe bei den Menschen ankommt. Hartz IV muss nicht abgeschafft werden, Hartz IV muss immer wieder als lernendes System verändert werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ersetzt werden durch eine sanktionslose Grundsicherung!)

Wir müssen den Menschen eine Perspektive geben, und diese Perspektive lautet: Wir lassen keinen durchs soziale Netz fallen; wir wollen den Menschen helfen. Das ist unser Anliegen, und dem dient auch dieser Gesetzentwurf.

Ich danke Ihnen sehr.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Der Kollege Strengmann-Kuhn erhält nun das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6756009
Wahlperiode 18
Sitzung 165
Tagesordnungspunkt Änderung des SGB II - Rechtsvereinfachung
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