Kai WhittakerCDU/CSU - Änderung des SGB II - Rechtsvereinfachung
Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Politik beginnt ja bekanntlich mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Der eine muss sie etwas länger betrachten als der andere, um sie zu erkennen, aber am Ende bleibt es dieselbe Wirklichkeit. Wenn ich mir die eine oder andere Rede der Opposition hier anhöre, dann habe ich den Eindruck, dass Sie heute beim Betrachten noch etwas Nachhilfe brauchen.
(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Neue Brille!)
Ich bin meinem AG-Chef Karl Schiewerling sehr dankbar dafür, dass wir heute dieses Gesetz auf den Weg bringen können, in dem wir nicht nur die technischen Vereinfachungen bei Hartz IV, auf die sich Bund und Länder geeinigt haben, durchsetzen,
(Katja Kipping [DIE LINKE]: Meinen Sie die Wirklichkeit, mit 9 Euro am Tag auskommen zu müssen?)
sondern auch noch einmal den Instrumentenkasten in den Blick nehmen. Warum ist der Instrumentenkasten so wichtig? Uns, der Union, ist es wichtig, Menschen wieder in Arbeit zu bringen anstatt sie teuer und ineffizient zu verwalten. Das ist der Punkt, den wir mit dieser Reform machen.
(Katja Kipping [DIE LINKE]: Das passiert aber mit dem Gesetz nicht! Das ist überhaupt nicht drin!)
Menschen, die lange arbeitslos sind, haben viele soziale Probleme und einen langen und steilen Weg zurück in die Arbeitswelt vor sich. Sie brauchen Hilfe, indem wir ihnen eine Treppe in diesen ersten Arbeitsmarkt bauen. Mit diesem Gesetz bauen wir ein paar Stufen in diese Treppe ein.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich möchte heute auf eine dieser Stufen hinweisen, weil sie mir persönlich sehr wichtig ist, nämlich die Öffnung der Integrationsbetriebe. Ich halte das für einen Meilenstein. Denn wir, die Union, waren immer der Ansicht, dass wir lieber Arbeit als Nichtstun finanzieren. Diese Integrationsbetriebe schaffen genau das. Sie sind ein gutes Beispiel. Sie sind ein Erfolgsmodell. Das ist der Unterschied zwischen uns und Ihnen: Sie wollen Langzeitarbeitslose in einem sogenannten dritten sozialen Arbeitsmarkt parken und sie so aus der Statistik heraushaben,
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ordentlich bezahlen!)
weil Sie den Glauben an diese Menschen verloren haben.
(Katja Kipping [DIE LINKE]: Die Statistik macht Ihre Regierung! Sie schönt die Statistik!)
Das ist die Wahrheit. Wir hingegen möchten mit den Integrationsbetrieben ein Mittel finden, wie wir diese Menschen wieder in den ersten Arbeitsmarkt zurückbekommen. Diese Integrationsbetriebe sind kein dritter Arbeitsmarkt, und sie arbeiten auch nicht im zweiten Arbeitsmarkt, sondern sie sind mittendrin im wirtschaftlichen Leben im ersten Arbeitsmarkt. Deshalb halte ich diesen Schritt für wichtig.
Wir öffnen den Arbeitsmarkt für schwerbehinderte Langzeitarbeitslose. Es ist zugegebenermaßen eine vorsichtige Öffnung, weil wir die Integrationsbetriebe auch nicht überlasten wollen. Aber für über 80 000 Menschen in diesem Land ist das eine echte Perspektive, ein erster kleiner Schritt. Jede große Reise beginnt eben mit dem ersten Schritt. Deshalb bin ich darüber sehr glücklich.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es gibt im Gesetzentwurf noch viele weitere Verbesserungen, die schon angesprochen worden sind: Wir führen ein Profiling ein. Da machen wir nichts anderes, als die Stärken der Langzeitarbeitslosen zu analysieren, um zu erfahren, was sie können und wo wir sie noch fördern können. Wir führen für Langzeitarbeitslose, die wieder in den ersten Arbeitsmarkt kommen, eine nachgehende Betreuung ein, damit sie stabil bleiben und nicht in die Langzeitarbeitslosigkeit zurückfallen. Wir machen auch im Bereich der Ausbildung etwas.
57 Prozent der Langzeitarbeitslosen haben keine Ausbildung. Würden sie eine machen, verdienten sie mit ihrem Azubigehalt weniger, als wenn sie weiterhin Hartz IV bekämen. Das habe ich nicht verstanden, das haben wir nie verstanden, und deshalb ändern wir das jetzt, indem wir Hartz IV für Langzeitarbeitslose, die eine Ausbildung machen wollen, öffnen.
(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Hartz IV ist schon lange offen für Langzeitarbeitslose!)
Gibt es noch Potenzial nach oben, Herr Strengmann-Kuhn? Natürlich gibt es das. Es handelt sich um einen Gesetzentwurf der Ministerin. Das parlamentarische Verfahren beginnt erst. Jetzt sind wir gefordert. Ich denke, in den nächsten Wochen werden wir noch einige Verbesserungen in das Gesetz einfließen lassen können.
Jetzt können Sie uns vorwerfen, das alles sei nur ein Reförmchen.
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das finden Sie doch auch!)
Aber den Vorwurf, dass die Große Koalition nur noch kleine Gesetze durchbringt, lasse ich Ihnen nicht durchgehen. Denn wenn man sich grundsätzlich über Hartz IV unterhält, dann muss man feststellen, dass man auch bei Ihnen nicht wirklich fündig wird. Sie möchten Hartz IV am liebsten abschaffen: Augen zu, Geld an die Langzeitarbeitslosen überweisen und versprechen, dass Deutschland ein Land ist, in dem Milch und Honig fließen.
(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Völliger Blödsinn! – Katja Kipping [DIE LINKE]: Haben Sie mal unsere Vorschläge zum aktiven Arbeitsmarkt gelesen?)
Aber Sie bringen mit diesen Maßnahmen keinen einzigen Menschen zusätzlich in Arbeit.
Zugleich versteifen Sie sich nur auf das Thema „Sanktionen abschaffen“. Auch da hilft, finde ich, die Betrachtung der Wirklichkeit. Wir haben letztes Jahr gelernt, dass die Sanktionsrate in diesem Land bei circa 1 Prozent der Fälle liegt. 1 Prozent!
(Katja Kipping [DIE LINKE]: Das stimmt nicht! Nein, nein, nein!)
In Großbritannien sind es 5 Prozent, in den Niederlanden sind es 35 Prozent. Wenn Sie sagen, dass in Deutschland eine Herrschaft des Sanktionsregimes besteht, muss ich Ihnen entgegnen: Das ist nicht der Fall. Ich finde, wir sind, was Sanktionen angeht, ziemlich harmlos unterwegs.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wenn es nur 1 Prozent ist, kann man es doch abschaffen!)
Von den Grünen höre ich die Sätze, dass man das Verfahren vereinfachen und Hartz IV einfacher gestalten möchte. Das möchte ich auch sehr gerne. Aber wenn man sich Ihre Anträge anschaut, stellt man fest, dass sie genau das Gegenteil bewirken würden. Sie wollen letztlich eine komplett individuelle Betrachtung der Leistungen der Menschen. Für jeden einzelnen Euro, der ausgezahlt wird, soll eine individuelle Auswertung, eine individuelle Einschätzung vorgenommen werden, damit sich am Ende keiner beschweren kann. Damit sorgen Sie nur für Bürokratieaufwuchs.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich weiß wirklich nicht, was Sie da gelesen haben!)
Wir brauchen eigentlich genau das Gegenteil, nämlich mehr Pauschalierung.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Klar, da sind wir uns sogar einig!)
Wir bräuchten Pauschalierung bei den Wohnkosten, wir bräuchten Pauschalierung bei den Bagatellgrenzen etc. pp. Aber davon ist bei Ihnen momentan wenig zu sehen. Sie verlieren sich im Klein-Klein.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenbemerkung oder -frage von Frau Kipping?
So kurz vor dem Ende meiner Rede, ehrlich gesagt, nicht mehr. Nein, danke.
Ich möchte noch einmal deutlich machen: Wenn wir Hartz IV reformieren wollen, brauchen wir Pauschalierungen in der Art, wie ich es gerade gesagt habe. Wir brauchen auch eine wesentlich bessere individuelle Betreuung der Menschen.
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber dann machen Sie es doch, Herr Whittaker!)
Denn wenn die Hälfte der Jobcenter-Mitarbeiter nichts anderes zu tun hat, als auszurechnen, wie viel Euro ein Mensch am Ende des Monats überwiesen bekommt, dann helfen wir zu wenig und verwalten zu viel.
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum macht ihr es dann nicht?)
Da müssen wir noch einmal ran. Ich muss aber ehrlich sagen: Ich sehe weder bei Ihnen von den Linken noch bei Ihnen von den Grünen den Willen, das zu tun.
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber bei Ihnen, ja?)
Wenn ich in die Gesichter hier schaue,
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verzweiflung!)
denke ich, dass ich Ihnen bei der Betrachtung der Wirklichkeit auf die Sprünge geholfen habe. Zumindest bestätigt sich Schopenhauers Aussage, der einmal festgestellt hat:
Im Reiche der Wirklichkeiten ist man nie so glücklich wie im Reiche der Gedanken.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Vielen Dank, Herr Kollege Whittaker. – Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Kipping.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6756064 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 165 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des SGB II - Rechtsvereinfachung |