27.04.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 166 / Zusatzpunkt 1

Andreas NickCDU/CSU - Aktuelle Stunde zum Umgang mit der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „ Gerade als Freunde der Türkei beobachten wir manche Entwicklungen bei Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und dem Umgang mit Minderheiten mit Aufmerksamkeit und – zweifellos auch mit weiter wachsender – Sorge.“ Dies habe ich als Türkei-Berichterstatter meiner Fraktion in den vergangenen zweieinhalb Jahren vielfach so oder ähnlich festgestellt, nicht nur von diesem Pult aus, sondern selbstverständlich auch in zahlreichen Gesprächen mit Regierungsvertretern und Parlamentariern in der Türkei, zuletzt Anfang März gemeinsam mit Staatsministerin Böhmer in Ankara. Hören Sie doch bitte auf, ständig so zu tun, als hätten wir in dieser Frage irgendeinen Nachholbedarf.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Natürlich sind Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit für uns nicht hinnehmbar. Allein die Zahl von über 2 000 Verfahren wegen Beleidigung ist sicherlich Beleg für die überaus ausgeprägte Empfindlichkeit des türkischen Staatspräsidenten. Es war deshalb ein wichtiges und auch in der Türkei stark beachtetes Signal, dass der deutsche Botschafter in Ankara, Martin ­Erdmann, im März den Auftakt des Prozesses gegen zwei Redakteure der Zeitung Cumhuriyet persönlich beobachtet hat. Auch wenn es nur den Anschein gibt, es gäbe schwarze Listen mit den Namen ausländischer Journalisten, denen systematisch Akkreditierung oder Einreise verweigert wird –

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen haben Sie Herrn ­Erdmann ja auch komplett hängen lassen, sich null für ihn eingesetzt!)

dies ist natürlich völlig inakzeptabel. Auch das sollte doch in diesem Hause völlig unstrittig sein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Deshalb fordern wir hier umfassende Aufklärung und eine Rückkehr zur Einhaltung international üblicher Standards auch beim Umgang mit ausländischen Pressevertretern.

Diese bedauerlichen Entwicklungen vollziehen sich aber auch vor dem Hintergrund einer zunehmenden politischen Polarisierung in der Türkei. Neben dem gewaltsamen Konflikt mit der PKK trägt dazu gerade auch im Bereich der Medien und der Justiz die Auseinandersetzung mit der Gülen-Bewegung bei. Es ist nicht hilfreich, dass sich die parteipolitische Aufstellung in der Türkei zunehmend an religiös-weltanschaulichen und ethnischen Trennungslinien zwischen Religiösen und Laizisten, Sunniten und Aleviten, kurdischer Minderheit und türkischen Nationalisten orientiert. Das erschwert eine Zusammenarbeit über Parteigrenzen immer mehr.

Wir in Deutschland sollten uns aber davor hüten, zu dieser Polarisierung unsererseits gezielt weiter beizutragen. Wir alle miteinander sollten auch der Versuchung widerstehen, mit erhobenem Zeigefinger unseren eigenen politischen Willen an die Stelle des demokratischen Prozesses in der Türkei zu setzen oder aus innenpolitischen Motiven bewusst oder unbewusst gewisse Ressentiments gegenüber der Türkei zu bedienen oder gar zu schüren.

Lassen Sie mich mit Blick auf die jüngste Debatte in Deutschland daher eines klar sagen: Für jeden türkischen Bürger, auch für den türkischen Präsidenten, wie politisch sympathisch oder missliebig er wem auch immer möglicherweise gerade sein mag, gilt das gleiche Recht auf Schutz vor persönlichen Verunglimpfungen und Beleidigungen wie für jeden anderen in unserem Lande auch.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Katja Mast [SPD] und Axel Schäfer [Bochum] [SPD])

Auch das macht unseren Rechtsstaat aus. Deshalb ist es Angelegenheit unserer unabhängigen Justiz, diese Frage im Einzelnen zu klären.

Die Türkei ist nach wie vor – daran muss man hier ja gelegentlich erinnern – ein demokratischer Staat, und wir wollen, dass dies so bleibt.

(Zurufe von der LINKEN: Ja! – Wir auch!)

Wir müssen deshalb auch zur Kenntnis nehmen, dass es politische und gesellschaftliche Mehrheiten in der Türkei gibt, die sich in demokratischen Wahlen ausdrücken. Selbstverständlich ist die legitime türkische Regierung der erste Ansprechpartner der Bundesregierung in der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit. Dass gerade wir als Parlamentarier darüber hinaus breite Kontakte mit Vertretern aller Parteien pflegen, ist richtig und notwendig. Ich treffe mich in Ankara regelmäßig auch mit Vertretern der CHP, und ich habe zusammen mit Jürgen Hardt vor wenigen Wochen auch Herrn Demirtas hier in Berlin getroffen.

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es doch gar nicht! Schauen Sie: Es geht um die Kanzlerin!)

– Darum geht es. Hier brauchen wir doch überhaupt keinen Gegensatz aufzubauen.

Im Hinblick auf die Sicherung der demokratischen Grundstruktur einer Gesellschaft und eines Staates sind Pressefreiheit und Unabhängigkeit der Justiz zweifellos besonders sensible Bereiche. Beides ist nicht verhandelbar.

(Beifall der Abg. Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU] und Martin Dörmann [SPD])

Die Position der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung ist hier völlig unzweideutig.

Aber es gilt auch: Wenn wir berechtigte Kritik üben und vor allem positiven Einfluss ausüben wollen, dann wird uns das eher gelingen, wenn wir es glaubwürdig aus einer Position als Freunde und Partner der Türkei tun.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unter Freunden sagt man doch klare Worte, oder?)

Gerade durch die Eröffnung der Kapitel 23 und 24 im Rahmen des Beitrittsprozesses können wir den Dialog zu Fragen der Meinungs- und Pressefreiheit intensivieren und so unsere Möglichkeiten erhöhen, die Entwicklung in der Türkei positiv zu beeinflussen. Denn hier geht es keineswegs – das wird oft falsch dargestellt – um Verhandlungen, sondern um die Überprüfung der Einhaltung der für die EU unverzichtbaren Standards im Acquis communautaire.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Türkei ist und bleibt für uns, weit über die Flüchtlingspolitik hinaus, ein wichtiger strategischer Partner. Gerade wir in Deutschland haben aus vielfältigen Gründen ein vitales Interesse an einer prosperierenden Türkei mit einer stabilen Demokratie und einer lebendigen Zivilgesellschaft, in der Meinungs- und Pressefreiheit einen selbstverständlichen Platz haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Dietmar Bartsch, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6789205
Wahlperiode 18
Sitzung 166
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zum Umgang mit der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei
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