Dorothee SchlegelSPD - Aktuelle Stunde zum Umgang mit der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! „ Die Gedanken sind frei“, sagt ein altes Volkslied. Aber wir erleben, dass in der heutigen Türkei selbst die Freiheit der Gedanken bedroht ist. Wir beobachten, dass die Presse- und Meinungsfreiheit dort in einem erbärmlichen Zustand ist. Diese Entwicklung hat sich mir in der letzten Woche in Ankara und in Istanbul auch bestätigt.
Als Berichterstatterin war ich mit einer Delegation des EU-Ausschusses vor Ort. Zwei Tage vor der Fortsetzung seines Prozesses trafen wir in Istanbul den Journalisten Can Dündar in den Redaktionsräumen der Cumhuriyet. Der Chefredakteur dieser ältesten Zeitung der Türkei wurde vom Staatspräsidenten persönlich angeklagt – genauso wie etliche seiner Kollegen und annähernd 2 000 Bürgerinnen und Bürger.
Dündar hatte neben kritischen Kolumnen auch Bilder veröffentlicht, auf denen Lastwagen des Geheimdienstes zu sehen sind, die syrische Islamisten mit Waffen beliefern. Die ihm drohende Strafe ist zweimal lebenslänglich.
Bei allem Pessimismus habe ich Can Dündar als sehr geradlinigen Menschen empfunden. Mich hat beeindruckt, dass er entschlossen für seine Sache einsteht – trotz staatlicher Einschüchterung. Ein gutes Vorbild!
Wenige Tage zuvor konnte ich hier im Reichstag ebenfalls mit seiner Ehefrau, Dilek Dündar, sprechen – auch darüber, wie in der Türkei neuerdings Terrorismus definiert wird. Sie sagte: Wir haben Hoffnung, aber Wunder können wir nicht erwarten. – Can Dündar hofft auf die Wachsamkeit der EU und darauf, dass nicht nur sein Prozess international beobachtet wird.
Im Januar letzten Jahres sprach der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu auf Einladung der Körber-Stiftung in Berlin. Auf die Einschränkung der Pressefreiheit hin angesprochen, betonte er, die türkische Presse sei frei. In einem offenen Brief an die „Kanzlerin der freien Welt“, vom Spiegel am Samstag veröffentlicht, weist Dündar auf eine gemeinsame Pressekonferenz von Davutoglu mit Angela Merkel im Rahmen der Verhandlungen zum EU-Türkei-Aktionsplan im Februar dieses Jahres hin. Wieder auf die Pressefreiheit angesprochen, antwortete der Ministerpräsident, dass in türkischen Gefängnissen keine Journalisten säßen, die für ihre Arbeit bestraft würden. Zur selben Zeit, so Dündar, saß er in Haft.
Meine Damen und Herren, wenige Tage nun vor dem Internationalen Tag der Pressefreiheit, am 3. Mai, haben wir letzte Woche erlebt, dass ausländischen Journalisten die Einreise in die Türkei verweigert wurde; meine Kolleginnen und Kollegen haben darauf schon hingewiesen. Sie wurden festgesetzt, verhaftet, freigelassen und wieder zurückgeschickt. Diese Vorgänge sind alarmierend; denn Journalisten müssen ihrer Aufgabe ungehindert nachgehen können.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat recht: In Demokratien haben schwarze Listen weder für Journalisten noch für Akademiker oder sonstige Berufsstände etwas zu suchen. – Wir erleben in der Türkei derzeit ein großes Aber gegen die denkende Elite. In Ankara sagte mir eine Journalistin der oppositionellen Zeitung Sözcü: Wie lange können wir noch weiterschreiben? – Sie war zuvor bei der Tageszeitung Hürriyet entlassen worden. Sie erzählte: Nach einem kurzen Sommer der Demokratie begannen dann im letzten November Repressionen, Kündigungen, Strafgebühren, Übergriffe, und in den Köpfen setzte die Selbstzensur ein.
Der CHP-Vorsitzende Kemal Kilicdaroglu war bei unserem Treffen im türkischen Parlament darin mit mir einig, dass die EU-Beitrittsverhandlungen für eine demokratische Türkei lebensnotwendig seien. Bereits vor 57 Jahren stellte die Türkei einen Assoziierungsantrag an die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Nicht nur Kilicdaroglu ist enttäuscht darüber, dass der Türkei von der früheren schwarz-gelben Bundesregierung die EU-Beitrittstür ohne Not zugeschlagen wurde. Heute stehen wir vor den Folgen dieser Fehlentscheidung. Zehn Jahre eines möglichen Demokratisierungsprozesses gingen verloren. Wir waren mit Gerhard Schröder und Joschka Fischer in dieser Frage schon einmal weiter.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Gerhard Schröder würde ich jetzt nicht erwähnen! Aber jeder, wie er will!)
Es ist höchste Zeit, dass die EU die Verhandlungskapitel 23 und 24 zu Justiz und Menschenrechten öffnet; denn dann müssen die Fakten auf den Tisch und Grundwerte diskutiert werden. Die Einschränkung von Grundrechten und die Rechtsunsicherheiten schaffen in der Türkei ein Klima der Angst. Sie gehen dann Hand in Hand mit dem Verlust von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit, Säkularismus und Religionsfreiheit.
Wir dürfen also die gesellschaftlichen Kräfte in der Türkei, die mit hohem Einsatz gegen Repressionen und für die Annäherung an die EU kämpfen, nicht alleine lassen. Daher ist eine Fortsetzung eines sachlichen, klaren und kritischen Dialogs mit der türkischen Regierung unabdingbar. Wir fordern ein Ende der Gewalt im Südosten der Türkei und eine Fortsetzung der Friedensverhandlungen. Und wir fordern die Freilassung von Journalisten aus türkischen Gefängnissen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Motschmann für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 166 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zum Umgang mit der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei |